Editorial
Hier beginnt die zweite Ausgabe der Papiertheaterzeitung im Web, und wir können nur immer wieder betonen, das sie für die Betrachtung und Lektüre am Bildschirm gedacht ist; allerdings werden die Artikel etwa vierteljährlich auch in einer gedruckten Fassung erscheinen.
Im ersten Beitrag, der Geschichte von Ulrich Chmel aus Wien, kehrt das Papietheater zurück zu seinem Ursprung: ins Herz des Familienlebens.
Zur Nachahmung empfohlen!
Weiter geht es mit dem Festivalbericht aus Waiblingen; inzwischen gibt es in der Galerie auch Bilder eines weiteren Festivals: Harderwijk in Holland.
Es folgen das Tagebuch eines Papiertheaterdirektors, die ersten Folge unserer Kleinen Papiertheater-Hochschule mit dem Thema „Libretto“ und – ganz frisch – die Eindrücke eines Besuchers von Schloss Philippsruhe.
Die Redaktion
INHALT – Nr. 2 – April 2007
Familienthetater: Ulrich Chmel
erlebt das Wunder der Muse
Seite 2
Iris Försters Bericht vom
5. Internationalen Dr.-Kurt-Pflüger-
Papiertheaterfestival in Waiblingen
Seite 3
Wir machen den Troubadour!
Aus dem Tagebuch des Papieroperndirektors Uwe Warrach
Seite 4
Hans-Jürgen Gesches
Kleine Papiertheater-Hochschule:
Was ist ein Libretto?
Seite 5
Reisebericht: Uwe Warrach besucht
das Papiertheatermuseum in Hanau
Seite 6
figuren aus der
Grabbelkiste
von Mary-Ann und Sven-Erik Olsen
Das PapierTheater Nr.2 SEITE 2 April 2007
Familientheater
Oma, Opa und ihre sieben Kinder
Ulrich Chmel war eingeladen, im März 2007 in einem Gasthof in Baden bei Wien zum Geburtstag von Franziskas
Großmutter auf seiner Papiertheaterbühne zu spielen.
Franziska zeigte mit ihrer Schwester Stefanie ebenfalls ein Stück auf der Bühne eines selbtsgeferigten
Papiertheaters, basierend auf der Lebensgeschichte des Geburtstagskinds.
Der Autor bespielt seit etwa vier Jahren in Wien „Ulrich Chmel’s Papiertheater“.
Ulrich Chmels Papiertheater im Internet
„Und es schneite und schneite“ beginnt Franziska die erste Geschichte und lässt es dabei aus der „Schneemaschine“ auf den Bühnenboden ihres selbstgebauten Papiertheaters so richtig schneien. Es ist eine Szene aus dem Leben der Oma. Diese sitzt umgeben von ihrer großen Familie vor dem Papiertheater, welches ihre Enkelin Franziska selbst gebaut hat. Alle sind begeistert und leben so richtig mit, wenn die Figuren, die Franziska mit Hilfe Großmutters Fotoalbum und dem Scanner des Herrn Papas hergestellt hat, als Akteure, zu dem von Franziska selbst verfassten Text, über die Bühne gleiten.
Es könnte die Situation nicht besser inszeniert sein. Wir befinden uns im Keller eines 600 Jahre alten Gasthauses „Zum Reichsapfel“ in Baden bei Wien. Vor der Papiertheaterbühne ist die gesamte Familie versammelt, um bei Kuchen und Kaffee Geschichten aus dem Leben der Großmutter zu erleben, die heute ihren Geburtstag feiert. Man könnte meinen, ins 19. Jahrhundert versetzt zu sein. Genauso muss es gewesen sein, wenn die Eltern und die Tanten und Onkel im abgedunkelten Wohnzimmer dem Papiertheaterspiel der Kinder zugesehen haben.
Franziska, ein Mädchen von 13 Jahren, welches gerne tanzt, liest und Geschichten schreibt, hat das „Papiertheater“ erst vor kurzem kennen gelernt. Es war im Dezember des vergangenen Jahres, als ich mit meiner Papiertheaterbühne bei einer
Krippenausstellung in Wien „Die Weihnachtsgeschichte“ spielte. Wenn Josef und Maria durch den Winterwald von Nazareth nach Bethlehem gehen, dann schneit es (Seidenpapier aus der Schneemaschine). Da war Franziska von diesembiedermeierlichen Spielzeug so begeistert, dass sie spontan beschloss, selbst eine solche Bühne zu bauen und für die Oma ein Stück zu inszenieren. Die Muse hatte sie in diesem Augenblick geküsst!
Schnell wurde aus auf dem Dachboden gefundenen Holzstücken eine Papiertheaterbühne gebaut, der Giebel selbst entworfen und die Bühnenbilder und Versatzstück selbst gemalt. Per Scanner wurden die Figuren dem großmütterlichen Fotoalbum entnommen (sic!), der Text nach alten Familienerzählungen selbst geschrieben. Nur bei der Schneemaschine durfte Papa helfend eingreifen. Der Draht von Luftballonen wurde zu Führungsstäben der papierenen Schauspieler umfunktioniert.
Papa war es auch, der beim zweiten Stück aus Omas Leben „Als Atapa vom Bahnhof abzuholen war“, zum richtigen Zeitpunkt – durch das rasche betätigen des Lichtschalters – den „Blitz“ zum Sommergewitter machte. Bei dieser Geschichte „regnete es und regnet es“ diesmal allerdings – zum Wohle der papierenen Schauspieler – nur in der Erzählung Franziskas.
Es war Überhaupt ein berÜhrender Geburtstag. Fast hätte man meinen können, eine Zeitreise gemacht zu haben. Lediglich das Stegreifspiel der Schwestern und Cousinen hat darauf hingewiesen, dass das Medium Fernsehen bekannt ist. Die Mädchen spielten der Großmutter eine Universumserie vor, in welcher sie alle Verwandten als seltsame Tiere mit ihren Eigenheiten vorstellten.
Ich, der ich eingeladen war, für diese außergewöhnliche Familie zum Geburtstag der Großmutter Stücke auf meiner Papiertheaterbühne zu spielen, war berührt von der Begeisterungsfähigkeit all dieser Menschen, die tatsächlich im 21. Jahrhundert in der Nähe von Wien leben.
Steffi kündigt Theater an
Franzi spielt Oma in Ried
Das PapierTheater Nr.2 SEITE 3 April 2007
Festival-Bericht
Der Eingang zum AuffÜhrungsraum
Das 5. Internationales Kurt-Pflüger-Papiertheater-Festival fand statt in Waiblingen vom 30. März. bis 1. April. 2007
Privilegiert ist vielleicht das richtige Wort, wenn man sich für Papiertheater interessiert, selbst mit einer kleinen Bühne mehrere Auftritte im Jahr hat und zudem noch in Waiblingen wohnt. Hat man doch sowohl das einzige als auch sicherlich das kleinste Papiertheaterfestival im Süddeutschen Raum direkt vor der Haustür und somit die Gelegenheit die Crème de la crème der Papiertheaterspieler zu treffen.
Schön war es, das fünfte Papiertheaterfestival in Waiblingen vom 30. März bis 1. April 2007. Bescheiden in den Ankündigungen, zurückhaltend in der Umsetzung. Hier weiß man einfach, welch ein Schatz in den acht Vorstellungen verborgen liegt und nimmt an, dass das Publikum auch weiß, worauf es sich einlässt. Und siehe, es werden jährlich mehr, die sich verzaubern lassen …
Das AuffÜhrungs-GewÖlbe
Zur Eröffnung sprechen der Waiblinger Oberbürgermeister Andreas Hesky, der – vom Organisator Dr. Helmut Herbst kurz gebrieft – jenen Theaterdirektor glücklich preist, der bei 37 Zuschauern von ausverkauftem Hause sprechen kann, und Dr. Herbst, bekannt als Erforscher des Schreiberschen Papiertheaters, der es verstanden hat, das klassische Papiertheater nach Waiblingen zu holen.
Dr. Herbst
Und da sitzen sie nun, die üblichen Verdächtigen. Spieler, Sammler und Bewunderer, vereint in erstauntem Entzücken über Robert Poulters schlicht gehaltene Bühne und „Wilhelm Tell“. In gewohnt gekonnten Strichen sind Kulissen und Figuren gezeichnet, der drehbare Hintergrund bietet immer wieder Anlass für Überraschungen, wenn das Bühnenbild sich während des Spiels verwandelt und immer neu entsteht. Der Text dankenswerter Weise auf deutsch, übrigens gesprochen von Peter Schauerte-Lüke, der bescheiden auf den seitlich bereit gestellten Stühlen das Stück mitverfolgte und natürlich bei Worten der Söhne Tells die Lacher auf seiner Seite hatte, wenn er mit hoher Stimme fiepst „Ich bringe dir auch etwas mit, Mutter“.
Der zweite Tag des Festivals zeigte die breite Spanne der Möglichkeiten, die dieses Theater zu bieten hat. Familie Römer aus Wildeshausen zeigte mit der „Odyssee – frei nach Homer“, wie klassische Themen ansprechend und unterhaltsam umgesetzt werden können. Die comichaft gehaltenen Gefährten Odysseus kamen endlich auch einmal zu Wort, allerdings ahnt man nach diesem Stück, warum sie im Original doch eher im Hintergrund wirken … So schön kann Papiertheater sein, die ganze Familie ist beteiligt, die erwachsenen Töchter, deren Stimmen man vom Band hört, reichen in der Pause Süßigkeiten, das Publikum genießt.
Horst RÖmer betrachtet
die Angebote der „BÖrse“
Ganz anders „Die Zauberflöte“ vom Wiener Papiertheater mit Kamilla und Gert Strauss. Technisch perfekt, elegant auf 75 Minuten gekürzt, Schinkel-Kulissen und -Figuren. Ein Augen- und Ohrenschmaus.
Gert Strauss hinter seiner BÜhne
Und zum krönenden Abschluss des Abends „Ehrengard“, gespielt von Svalegangens Dukketeater“. Per Brink Abrahamsen, nicht zu übertreffen in Ruhe und Ausstrahlung, spielt das Stück von Tania Blixen in gewohnter Professionalität. Aber, wer war denn nun der Vater des Kindes?
Den undankbarsten Termin hat sicherlich Rüdiger Koch vom Papiertheater „Invisius“, der mit „Der rote Luftballon“ eine Geschichte von Albert Lamorisse inszeniert hat. Die Zuschauer sind gebannt, Kinder wie Erwachsene! Zum ersten Mal während dieses Festivals wird zum Spiel direkt gesprochen. Ich persönlich finde diese Art zu spielen am schönsten, betont sie doch die Präsenz des Spielers.
Ted Hawkins und Kamilla Strauss
„Clod Hans“ nach dem Märchen von Hans Christian Andersen wird gespielt von den Victorian Table-Top-Theatres mit Ted und Enid Hawkins aus Blackpool. Zu sehen ist das wohl prächtigste Schloss des Festivals in einer liebevollen Inszenierung. Trotz Spiels in englischer Sprache sind die vielen anwesenden Kinder durchaus mit Interesse und Spannung dabei, was sicherlich auf die eindeutige und textgetreue Umsetzung des Märchens zurückzuführen ist.
Jens und Pauline Schröder aus Bremen zeigen mit Bode’s Koffertheater wie es aussehen kann wenn Vater und Tochter gemeinsam das Papiertheaterspiel pflegen. Der geerbte Multifunktionskoffer, in den die Bühne eingebaut ist, hat schon eine lange Theatergeschichte hinter sich. Pole Poppenspäler von Theodor Storm als Jugendgeschichte geschrieben („Wenn man für die Jugend schreiben will, so darf man nicht für die Jugend schreiben“) könnte statt in einer „mitteldeutschen Stadt“ ebenso gut in Waiblingen gespielt haben. Darin waren sich das Publikum und die Spieler einig. Für die Fachwerkkulissen des Handwerkerhauses und des Gefängnisses hätten die malerischen Häuser der Waiblinger Altstadt als Modell herhalten können. Fantasievolle Effekte und zur Aufführung gesprochene Texte bereichern das fürs Papiertheater durchaus geeignete Stück, das übrigens (gekonnt gekürzt) den Originaltext verwendet.
Jens und Pauline SchrÖder
Und dann das „Burgtheater“ mit seinem „Käthchen von Heilbronn“: unnachahmlich die spielerische und stimmliche Leistung von Peter Schauerte-Lüke, der auch in den absurdesten Situationen weiter spielt und ohne den Faden zu verlieren, den Text dann „eben etwas freier“ spricht – ein Scheinwerfer war ausgefallen und musste in Gang gesetzt werden, das Publikum konnte ahnen, was sich hinter dem Vorhang abspielt, da seitlich die Beine des Spielers heraus ragten …
Waiblingen mit Kameralamt (rechts)
Nun wurde zum Abschluss des Festivals zuversichtlich von einem sechsten Mal gesprochen, wo die Zukunft des Waiblinger Papiertheaterfestivals durchaus noch nicht gesichert ist, werden doch die Zuständigkeiten im Fachbereich Museum neu geordnet. Wenn Dr. Herbst im nächsten Jahr die Leitung der Galerie übernimmt, ist er nicht mehr im Städtischen Museum, das seither das Festival organisiert hat. Jedoch wird er in der Tagespresse zitiert mit den Worten: „Wenn ich in Rente bin, werde ich professioneller Papiertheaterspieler und schreibe eigene Stücke.“ Da wäre es doch allzu schade, wenn es kein weiteres Festival gäbe, bei dem er auftreten könnte …
Ted Hawkins baut seine BÜhne auf
Das PapierTheater Nr.2 SEITE 4 April 2007
Tagebuch
Teilkulisse aus „Der bestrafte Wüstling“ – hier als Traum eines Papiertheaterdirektors:
Auf seiner eigenen Bühne auftreten!
Auf der Bühne, die der CD „Papiertheater – Die Bühne im Salon“ des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg entnommen ist, steht eine Kulisse aus derselben Quelle, in die eine „galante farbige Lithographie von Deveria, 1835“ kopiert wurde (Quelle: „Illustrierte Sittengeschichte/Das bürgerliche Zeitalter“ von Eduard Fuchs, Privatdruck, ca. 1911). Das anmutige Mädchen fand auch Verwendung als Figurine mit der Möglichkeit, dank des Spiegels sozusagen über Antlitz und Hinterkopf zu verfügen.
Bei dem Papieroperndirektor Uwe Warrach handelt es sich um einen Pensionär, dessen Karriere kurz vor der Währungsreform 1948 mit einem Papiertheater aus einer Tauschzentrale begonnen hatte und der bis zur Papiertheaterausstellung in Lübeck 2000/2001 nicht ahnte, dass es außer ihm noch mehr erwachsene Enthusiasten gibt. Seitdem mutet er den Seinen und einigen Freunden jedes Jahr eine neue Inszenierung zu. 2006 hat er den ersten Papiertheaterroman geschrieben und gesprochen: „Wie Belisa und Max auf der heimlichen Reise mit dem Papiertheaterschiff die Welt der Magie entdecken, mit einer echten Königin Theater spielen und ihren verschollenen Großvater finden”, dessen Verkaufserlös dem Verein Forum Papiertheater zugute kommt (siehe Aktuell und Angebote).
Der Librettist Hans-Jürgen Gesche, ebenfalls im Ruhestand, ist bisher u.a. durch Textbeiträge für die Hamburger Theatergemeinde aufgefallen. Er lernte das Papiertheater 2006 durch die Aufführung „Der bestrafte Wüstling” des soeben vorgestellten Papieroperndirektors kennen und ist seitdem beim Verseschmieden nicht mehr zu bremsen – warum auch.
12. Oktober
Vorpremiere meines Papiertheater-Don Giovanni. Hans-Jürgen sieht zum ersten Mal Papiertheater und ist begeistert. Er hat den „Troubadour“ neu gereimt und fragt scheu, ob das etwas wäre.
13. Oktober
E-Mail von Hans Jürgen mit dem Libretto.
Das Stück, das wir euch heute bieten,
besitzt verschiedene Meriten:
Es geht um Rache, Hass, Amore
und heißt ganz schlicht „IL TROVATORE“,
deutsch übersetzt „DER TROUBADOUR“.
Es ist dramatischer Natur.
Funke übergesprungen, Libretto angenommen. Ganz jieperig: Wie war das noch mit der Musik? Alte LP- Gesamtaufnahme angehört. CD Karajan/ Callas besorgt.
Frau Callas gibt die Leonore,
Herr Stefano singt – mit dem Chore –
Manricos Part, ganz filigran.
Die Leitung hat Herr Karajan.
Wir nennen den Troubadour ab jetzt kumpelhaft „Troubi“.
20. Oktober
CD „Papiertheater- Die Bühne im Salon“ vom Germanischen Nationalmuseum auf Kulissen durchforstet. Im eigenen Archiv nach Figurinen gefahndet. Immer die schöpferischste und damit schönste Phase. Ansonsten keine Zeit mehr, weil die diesjährige Spielsaison nun richtig los geht.
2. Advent
Tochter liest das Troubi- Libretto beim Kaffee vor, Familie begeistert. Tochter will dankenswerterweise die Frauenrollen übernehmen.
24. und 31. Dezember
Jahreswechsel
12. und 24. Januar
Weitere Aufführungen „Don Giovanni“
12. Februar
Endlich wieder Zeit für Troubi. Versuche mit dem Soundtrack.
13. Februar
O Mann! Krise! Wie bringe ich den deutschen Reim mit dem italienischen Gesang zusammen? Und kürze von gut 2 Stunden auf eine Dreiviertelstunde – so, dass alles passt?
22. Februar
Die Gesamtaufnahme mindestens ein Dutzend Mal angehört, eingetaucht und die passenden Stellen markiert und in Hans-Jürgens Libretto geschmuggelt. Soundtrack fertig. Begeistert (aber nur ich bisher).
27. Februar
Hans-Jürgen übermittelt Fehlermeldungen bei der Betonung. Tochter und Schwiegersohn ermitteln auf ihrer Top-Anlage unreine Stellen der Karajan- CD. Zweite Krise. Entdecke DDD- Aufnahme von Sir Colin Davis mit José Carreras und Katia Ricciarelli. Textänderung nötig:
Sir Colin Davis, souverän
steht er am Pult, als Kapitän.
José Carreras (mit dem Chore)
Singt den Manrico. Leonore,
wie alle andern picobelli,
gibt wunderschön Frau Ricciarelli.
3. März
Krise 3: Wie rette ich die herrliche Musik vor der schaurig-blöden Moritat? – Noch’n Problem: Fast alles spielt im Dunkeln. Manrico umarmt aus Versehenanstatt Leonore den Grafen. Wie stellt man auf dem Papiertheater Verwechslungen dar? Wir beschließen, die Regieanweisungen mitzusprechen. Das ist auch spaßig, muss aber angekündigt werden:
Da viel im Finstern wird verbrochen
Wird all das von uns mitgesprochen,
was bei „Regieanweisung“ steht.
Ihr merkt dann gleich, worum sich’s dreht.
11. März
Die Kulissen sind gelungen, die Bühne richtig schön tief. Ich selbst auch, nämlich in der Geschichte drin
und in der Musik.
Das ist das Glück des Papieroperndirektors …
15. März
Krise 4. Der Soundtrack hat immer noch Übersteuerungen und zu lange Sprechpausen, der Schluss ist so schnell, dass einem der Vorhang sozusagen auf die Füße fällt.
19. März
Ich muss die Bühne umbauen. Bei der Gelegenheit kriegt sie eine neue Fassade: Die Kanning Bühne, die Norbert Neumann im Hamburgmuseum ausgegraben hat (siehe PapierTheater Nr. 32).
27.–29. April
Den gesamten Soundtrack neu aufgenommen und an Tochter und Hans-Jürgen geschickt. Hans-Jürgens Kommentar: „Picobello!“ Das tut gut.
7.–23. Mai
Kulissen geschneidert, Figurinen gebastelt. Erste Stellprobe. Fünfte Krise: Nichts passt. Die Figurinen sind „falsch rum“, die Beleuchtung ist eine Katastrophe, der Sound stimmt nicht mit dem Geschehen überein.
16. Juni
Zwanzigste Stellprobe, jetzt geht es. Nein, es ist sogar recht hübsch! Nun wird der hohe Spiegel vor die Bühne gestellt, die Proben könnten beginnen, aber jetzt fahren wir in Urlaub.
29. Juli
Beginn der Proben. Ich habe fast alles vergessen. Eine Umbaupause ist viel zu lang, eine andere zu kurz. Wieso fand ich es neulich so toll?
12. August
Überspielung des Soundtracks mit Stimmen der Tochter und des Regieanweisungssprechers. Ich könnte inzwischen den „Troubadour“ dirigieren.
18.-–29. August
Proben, kleine Veränderungen auf der Bühne und im Soundtrack. Ertappe mich im Alltag beim Rezitieren:
Die Liebe reißt mir schier die Brust
in Stücke und in Fetzen.
Hätt ich das alles eh'r gewusst ...
Ich muss mich erst mal setzen.
9. September
Vorpremiere vor ausgesuchten Papiertheater-Experten. Norberts üblicher Verriss: „Text und Musik wie immer sehr gut bei dir, aber mit deinen szenischen Umsetzungen kann ich mich nicht anfreunden.“ Hans: „Deine Zigeunerin ist mir etwas zu albern, aber die Umbaupause mit den lärmenden Bühnenarbeitern hinterm Vorhang sind eine gute Idee.“ Georg: „Du solltest endlich in Preetz spielen!“
10.–16. September
Norbert pointiert zwar manchmal etwas, aber im Kern hat er immer recht. Nacharbeiten an der Szenerie.
15. Oktober
Lampenfieber, Stress und Pannen – die Premiere. Natürlich bin ich glücklich, wenn ich spüre, dass die Aufführung ankommt. Aber im Nachhinein war das „Machen“ das Schönste. Und schon geht der Kopf eigene Wege. Was machen wir als nächstes?
Szenenhintergrund-Entwurf zu „Der Troubadour”, Zweiter Aufzug: „Die Zigeunerin”
Das PapierTheater Nr.2 SEITE 5 April 2007
Kleine Papiertheater-Hochschule
Unser kleines Mosaik
zum Begreifen der Musik
setzen wir nun munter fort
mit dem nächsten Zauberwort.
Heute: Was ist ein Libretto?
Hier die Antwort gleich in petto:
Libro, Buch auf italienisch,
wird verkleinert um ein wenig
zu libretto, kleines Buch.
Beispiele gibt es genug:
kleine Oper – Operette,
die Zigarre – Zigarette,
ein Allegro – Allegretto
Largo, breit, leicht das Larghetto.
Oder unser Wort Libretto:
Nur ein Heft, ein Textbuch eben.
Nicht die Kunst ist sein Bestreben,
nicht die hohe Lit’ratur,
sondern Hilfestellung nur,
wenn es gilt, den Text zu nützen,
um Musik zu unterstützen.
Einer, der dies glänzend konnte,
war der Librettist Da Ponte.
Ohne ihn wär längst vergangen,
was dann alle Bühnen sangen:
Mozarts geniales Hirn
schuf daraus das Dreigestirn
Figaro – Der tolle Tag –;
Cosí; auf der Fahrt nach Prag
eilends noch, denn Time Is Money,
seinen großen Don Giovanni.
Teamarbeit, wie hier erkenntlich,
ist gewiss nicht selbstverständlich,
Mozart blieb auch bei der Feder
des Emanuel Schikaneder
ohne jede Textbuchnöte.
Der Erfolg hieß Zauberflöte.
Doch im großen Musentempel
gibt’s auch Negativexempel.
Beispielhaft zu nennen sind
Weber und sein Autor Kind.
Jeder selbst ein Virtuose,
hat, in selt’ner Symbiose,
dieses Duo klug erdichtet,
was als jenes Werk gewichtet,
das als Klimax – sanft wie wild –
unserer Romantik gilt.
Klar, vom Freischütz ist die Rede.
Doch schon liegen sie in Fehde
Friedrich Kind und Carl Maria,
welch ein Jammer, Mamma mia.
Texter Kind vor allem schmollte,
Weber könnt’ nicht oder wollte
nicht die Arien vertonen,
wo Kind meint, es würd’ sich lohnen.
Welche großen Unterfangen
sind der Nachwelt da entgangen,
welche ungehob’nen Schätze!
Unvereint die Gegensätze.
Manche Oper noch schrieb Weber
treu für seine Auftraggeber:
Oberon und Euryanthe,
textlich gänzlich unbekannte,
völlig wirr die Textbroschüre.
Allenfalls die Ouvertüre
konnte hier und da bestehen,
der Vergänglichkeit entgehen.
Doch stets fehlten dem Traktat
Librettisten von Format.
Resultat aus dem Zerwürfnis
war denn schnell auch das Bedürfnis,
Texte künftig selbst zu schreiben.
Albert Lortzing ließ es bleiben,
nach dem rechten Mann zu spüren
und als Librettist zu küren.
Und auch Wagner sah die Grenzen,
zog daraus die Konsequenzen,
schrieb nicht selbst nur jede Note,
sondern auch das Jotohote.
Wie man sieht, sind Librettisten
eng verknüpft mit Komponisten
und vorzügliche Berater.
Ganz wie beim Papiertheater.
Librettist Da Ponte
Das PapierTheater Nr.2 SEITE 6 April 2007
Reisebericht
Der Theaterraum
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Schloss Philippsruhe
Für Besucher aus Richtung Frankfurt besteht eine günstige Verbindung von Frankfurt-Ost nach Hanau-West. Von dort zum Park von Schloss Philippsruhe (ca. 1 km) beträgt der Fußweg etwa 30 Minuten.
Falls Sie mit dem Zug am Hanauer Hauptbahnhof aussteigen, können Sie die Busse der Hanauer Straßenbahn zur Weiterfahrt benutzen. Die Busse der Linien 2, 7 und 10 finden Sie auf dem Vorplatz des Hanauer Hauptbahnhofs. Alle 15 Min. fährt werktags die Linie 10 direkt zum Schloss. Fahren Sie mit Bussen der Linien 2 oder 7 bis zum Marktplatz, steigen Sie dort in einen Bus der Linie 1 um (Haltestelle um die Ecke gegenüber Sparkasse / McDonald’s).
Die Linien 1 und 10 fahren direkt zum Schloss.
Falls es Papiertheaterleute gibt, die noch immer nicht dort gewesen sind – für sie vor allem ist dieser Bericht. Über Hanau ist schon wiederholt in PapierTheater berichtet worden (z.B. Nr. 24/Mai 2003 und 27/Mai 2004 – anscheinend ein Mai-Thema), und als Papiertheaterdirektor hätte man schon längst … ich gestehe: Ich war erst jetzt zum ersten Mal da, auch im Mai. 2007. Und es drängt mich, es zu empfehlen. Nachdrücklich!
Das Gebrüder-Grimm-Denkmal
Erst einmal Hanau selbst: Geburtsstadt der Brüder Grimm. Hier, an der „Märchenstraße“ begegnet man ihnen öfter, aber in Hanau erhielten sie ihre ersten Kindheitseindrücke. Jetzt stehen sie auf dem Neustädter Markplatz und begucken ein Buch – wahrscheinlich Grimms Märchen.
Von hier sind es zu Fuß 15 bis 20 Minuten zum Schloss Philippsruhe im früheren Vorort Kesselstadt, teilweise auf schönem Weg unmittelbar am Mainufer entlang.
Nur ganz kurz dazu: Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut, heute Historisches Museum mit heimat- und kulturgeschichtlichen Sammlungen- und, seit 17 Jahren, Heimstatt des Papiertheatermuseums mit angeschlossenem Papier-Theatersaal(!).
Schloss Philippsruhe
Der Schlosspark bietet Erbauung bei entspannendem Rundgang, das Museum lädt zu aktuellen Ausstellungen ein (bei uns war es gerade Picasso. Vorm Eingang weisen Stellschilder auf die nächsten Papiertheateraufführungen im Hause hin.
Drinnen, gleich rechts, bietet der Museumsshop unter anderem allerlei für den Papiertheaterliebhaber an.
Unsereiner tigert natürlich erst mal ins Obergeschoss, wo sich anschließend an die Gemäldegalerien ein schmaler Gang auftut, in dem lebensgroße Figurinen stehen und einen sozusagen hinein winken in die Ausstellung. Hier kommt in einem Bühnen-Themenpark unsere Zeitschrift PapierTheater zum Zuge.
Figurine am Eingang zum Papiertheatermuseum
Die einzelnen Ausgaben sind den Vitrinen zugeordnet, was zum einen dem besseren Verständnis der Exponate dient, zum anderen dem „Blättchen“, wie es sein Redakteur bescheiden zu nennen pflegt. Ich kann und will nun nicht alle Proszenien beschreiben, viele sind dem Namen nach sozusagen Alte Bekannte, die in den einschlägigen Katalogen angeboten werden oder auf der CD des Germanischen Museums Nürnberg zu finden sind. Was den besonderen Reiz ausmacht, sind die Fülle und die Inszenierungen in bühnengerechter Beleuchtung, die der Besucher selbst in Betrieb setzen kann. Besonders beeindruckend fand ich den dramatisierten Robinson Crusoe nebst Texten und Bildern zur Herkunft seiner Bühne. Diese erzählenswerte Geschichte kann man besser als ich das hier könnte, unter Engelhard-Theater nachlesen. Hier nur kurz: Eine Familie des 19. Jahrhunderts eignet sich den (damals noch deutlich jüngeren) Robinson Crusoe an, indem sie das Stück selber schreibt, malt und spielt. (Gute Idee: Keine Urheberrechtsprobleme!) Auf einer Robinsonartigen Odyssee gelangt die Bühne im Jahr 2000 nach Hanau und würde unsereinen zum Spielen reizen, wären da nicht Respekt vor seinem Lebensabend und die Sorge, etwas kaputt zu machen.
Frank Buttler in der Theaterwerkstatt
Nach dem Rundgang erwartet die Papiertheaterspieler die Materialisierung ihres Traums: Ein Theater, gar nicht mal so klein, mit 25 Plätzen. Klein ist allenfalls die Bühne, doch fürs Papiertheaterwesen wiederum relativ groß, wie überhaupt in diesem Metier sehr vieles sehr relativ ist. Besonders glücklich, wer hinter die perfekte Bühne schauen darf, wo sich für jeden Papiertheaterdirektor ein zweiter Wunschtraum verbirgt: die Theaterwerkstatt.
Der Hanauer Papiertheaterspieler Frank Buttler zeigte uns die professionelle Bühnentechnik, seine Kulissen zum Münchner im Himmel und die Kulissen- und Figurenschneiderei.
Nicht unerwähnt bleiben soll der nette Biergarten mit italienischer Küche,
der an der Straße zum Hanauer Zentrum liegt.
So, also: Hin nach Hanau!
Frank Buttler hinter der BÜhne
Das Museum empfiehlt folgende Anfahrten mit dem Pkw:
Aus Richtung Frankfurt: Von Frankfurt über die ehemalige B 8/40 Richtung Hanau Maintal-Dörnigheim fahren Sie am Ortsende (rechts liegt der Wal-Mart, links eine ARAL-Tankstelle) an der Ampelanlage rechts – folgen der Landstraße am Main entlang – in Hanau (zwei Ampelanlagen hintereinander) sehen Sie rechts schon den Schlosspark – auf der linken Seite und auch rechts vor dem Schloss finden Sie Parkmöglichkeiten, sowie direkt an der Spielstätte.
Über die A 66 von Frankfurt Abfahrt Hanau West, an der 1. Ampel rechts (Burgallee) bis Schloss Philippsruhe, dann rechts in die Landstraße zu den Parkplätzen.
Aus Richtung Friedberg (B 45): Von der B 45 kommend an der Ampel am Stadteingang rechts abbiegen in Richtung Maintal-Dörnigheim. An der 2. Ampel links geradeaus bis zum Schloss – hier rechts fahren zu den Parkplätzen in die Landstraße.
Aus Richtung Nordhessen (A 45), Fulda / Kinzigtal (A 66) und Aschaffenburg (A 45): Über die A 45 zum Hanauer Kreuz auf die A 66 in Richtung Frankfurt bis Hanau Nord. An der Ampel rechts Richtung Maintal-Dörnigheim, 2. Ampel links (Burgallee) geradeaus bis zum Schloss, hier rechts fahren zu den Parkplätzen in die Landstraße.
Aus Richtung Darmstadt/Dieburg (A 3): Autobahn A 3, Abfahrt Hanau, auf der B 45 in Richtung Hanau. Nach der Mainbrücke links durch die Unterführung, nächste Straße links (Konrad-Adenauer-Straße) bis zum Ende, an der Ampel links (Philippsruher Allee) direkt auf das Schloss zufahren, rechts das Schloss umfahren zu den Parkplätzen.