Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
wieder einmal eröffnet der unermüdliche Willers Amtrup den Reigen – mit dem Bericht über eine Künstlerin vom diesjährigen Straßenzirkusfestival in Bremen.
Es folgt Christian Reuters reichhaltig bebilderte Dokumentation der neuesten Ausstellung im Hanauer Papiertheatermuseum, in der viele in Zeitschriften als Bastelbögen erschienene Miniaturtheater zu sehen sind.
Und dann voller Spannung erwartet: Willers Amtrups und Uwe Warrachs Berichte vom 21. Preetzer Papiertheatertreffen.
(rs)
INHALT – Nr. 8 – September 2008
Willers Amtrup über eine niederländische Papierkünstlerin Seite 2
Christian Reuter über die Ausstellung „Zeitungspapiertheater“ Seite 3
Theaterkritik I: Willers Amtrup
vom 21. Preetzer Papiertheatertreffen
Seite 4
Theaterkritik II: Uwe Warrach
vom 21. Preetzer Papiertheatertreffen
Seite 5
Das PapierTheater Nr.8 SEITE 2 September 2008
Seitenblick
Marieke de Hoop in Erwartung ihres ersten Zuschauers
LA STRADA 2008
Internationales Straßenzirkusfestival in Bremen
14.–17. August 2008
ORIKADABRA – Marieke de Hoop
http://de.orikadabra.nl/
„Es ist nichts als Papier …“ wußte schon Peter Hoeg – und doch, so könnte man leicht abgewandelt fortfahren, läßt sich auf dem Theater eine ganze Welt daraus gestalten. Das erleben wir alljährlich besonders in Preetz, aber auch anderswo in begeisternder Vielfalt.
Eine der vielfältigen anderen Möglichkeiten präsentierte die Niederländerin Marieke de Hoop mit ihrem „Origami-Theater“ während des diesjährigen Straßenkunst-Festivals „La Strada“ in Bremen. Während an –zig anderen Stellen der Stadt Jongleure, Clowns, Marionettenspieler und andere Artisten auftraten, erschien sie mit einem Wägelchen auf der Straße vor einer Buchhandlung, hängte sich ihre kleine Bühne vor den Bauch, bat mich als ihren ersten Zuschauer auf einem
Stühlchen Platz zu nehmen und verkündete dann, sie gebe jetzt eine Privatvorstellung für Willers.
Alsdann versteckte sie sich ein wenig hinter einer Sichtblende, wie von Zauberhand öffnete sich die Front des kleinen Theaters, zwei Hände erschienen in schwarzen Stulpen, griffen in einen Kasten mit Papier und falteten im Handumdrehen aus einem unscheinbaren Papierquadrat einen kleinen Schwan, später für andere Zuschauer Krebse, Frösche, Vögel mit sich bewegenden Flügeln, Hunde, die ihr Maul aufrissen und bellten, und anderes mehr.
Das Ganze wurde begleitet von sanfter Musik und zu den jeweiligen Figuren passenden Geräuschen und wirkte, weil nur die geschickt agierenden Hände zu sehen waren, tatsächlich ein wenig wie ein Zauberkunststück. Beobachtete man die Künstlerin allerdings von der Seite, so lüftete sich das Geheimnis und man merkte, daß sie natürlich nicht blind arbeitete, sondern durch eine Sichtöffnung oben in der Bühne alles sehen konnte.
Alles in allem ein gelungenes, lebhaft beklatschtes Papiertheater der etwas anderen Art!
Ein Blatt Papier …
… verwandelt sich …
… in einen Frosch!
Das PapierTheater Nr.8 SEITE 3 September 2008
Ausstellung in Schloss Philippsruhe
Titelblatt „Mon Theatre“, Paris 1905
ZEITUNGSPAPIERTHEATER
Ausstellung des Vereins Forum Papiertheater
Eröffnung am 22. Mai 2008
Hanauer Papiertheatermuseum –
Museum Hanau Schloss Philippsruhe
Philippsruher Allee 45
63454 Hanau
www.hanau.de/kultur/museen
museen@hanau.de
Tel: 06181 - 295 564 oder -571
Fax: 06181 - 295 554 oder -1665
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag 11–18 Uhr
Viele Zeitschriften oder Zeitungen haben seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die heutigen Tage das Familien- und Kinderspielzeug Papiertheater als Thema aufgegriffen. Etliche wurden sogar speziell dafür gegründet.
Andere haben sich über Jahre für das Thema engagiert und viele Zeitungen brachten auf ihren Beschäftigungsseiten für die Kinder hin und wieder Bastel- und Spielanleitungen.
Für die Ausstellung wurden solche alten Zeitungen und Zeitschriften aus Deutschland, Dänemark, Frankreich, Holland, Italien und den USA von verschiedenen Sammlern des Vereins zusammengetragen. Die Zeitungsseiten mit Hintergründen und Kulissen für die Bühnendekoration, mit Figuren, Vorhängen und Proszenien, die zum Aufziehen auf Pappe, Ausschneiden und Aufbauen entworfen wurden, liegen lichtgeschützt in den Schubern der Vitrinen. Diese Schübe kann man herausziehen, um die gedruckten Konstruktionsentwürfe in Ruhe zu betrachten. Auch eine Reihe der Bühnen in den Vitrinen sind Originale aus der Zeit, manche wurden allerdings aus Kopien der Zeitungsvorlagen gebaut, denn als vergängliches Spielmaterial haben sie die Zeiten nicht überlebt.
Den größte Teil des ersten großen Museumsraumes füllt die Rotunde aus.
Blick in die Rotunde (Im Hintergrund das Engelhardt-Theater)
In den Fenstern ihres Mittelganges werden sechs (von 10) Märchentheatern in Schuhschachtelformat - deutlich für das Kinderzimmer gedacht - gezeigt. Sie erschienen gegen Ende des ersten Weltkriegs in der amerikanischen Familienzeitschrift „Delineator“ auf den Kinderbeschäftigungsseiten.
BÜhne „Snow White“, The Delineator. USA, Juli 1918
Ringsherum sind in den Außenfenstern verschiedene Bühnen zu sehen, von der ältesten bis zur jüngsten. Das im Einsteinjahr 2004 von der FAZ veröffentlichte Theater mit dem Dürrenmatt-Stück „Die Physiker“ ist das zuletzt erschienene in unserer Ausstellung.
„Einsteintheater“, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Dezember 2004
Daneben ist der Nachbau des ältesten Theaters der Ausstellung aus der „Quelle nützlicher Beschäftigungen“, die der Karlsruher Verleger Döhring 1834 herausgab. Seine Zeitschrift konnte nicht im Original ausgestellt werden. Ein ausführlicher bebilderter Artikel darüber in unserer Zeitschrift „PapierTheater“ Nr. 30 liegt stattdessen in den Schubern.
„PapierTheater“ Nr. 30, MÄrz 2005 (erste DÖhring-BÜhne)
Das aufgebaute Zimmer ist eine der beiden veröffentlichten Dekorationen dafür. Stücke mit Figuren waren angekündigt, sind aber dann doch nicht erschienen.
Nachbau der zweiten DÖhring-BÜhne
1854 brachte Döhring eine neue Bühne mit einem aufführbaren Stück und allem Zubehör. Sie wurde mit dem der Dresdener Hofoper nachempfundenen Proszenium aus Kopien der Zeichnungen nachgebaut.
Viele der Bühnen waren auch Erzähltheater, in denen man sich die Szenen zu vorgelesenen oder erzählten Geschichten aufbaute, viele andere sind für echte Aufführungen gedacht und manche der Konstruktionen sind lediglich Szenendarstellungen aktueller Theaterstücke. Zu diesem Typ gehört das Theater aus „The Pittsburg Daily Dispatch” von 1896 mit der Atelier-Szene zu George du Maurier’s „Trilby“, einem Stück um den Occultismus Ende des 19. Jahrhunderts.
„The Pittsburg Dispatch“ USA, 1896 (Trilby-Szene)
Comic-Zeitschriften brachten ebenfalls Theater zum Aufbauen und Spielen: 1990 das Heft der belgischen Zeitschrift „Schtroumpf“ ein Schlumpftheater. Die englische Ausgabe der „Mickey Mouse“ von 1952 veröffentlichte Theater mit vor allem im anglistischen Raum bekannten Märchen wie „Jack and the Beanstalk“ oder „Peter Pan“.
„Mickey Mouse“, England Dez. 1952 (BÜhnenbau-Bogen)
Die italienische Jugendzeitschrift „Corriere die Piccoli“ bot 1967 ein Theater einer Straßenszene mit den typischen Commedia-dell-Arte-Figuren an.
„Corriere die Piccoli“, Italien, Feb. 1967, Baubogen und BÜhne
In diesem Raum, der auch das attraktive Theater der Familie Engelhart (von 1860 bis 1985 bespielt) zeigt, sind neben der Rotunde in den drei Vitrinen dänische Bühnen aufgebaut; so die älteste Bühne des Kopenhagener Verlegers A. Jacobsen von 1880. Der Verleger und Lithograph begann damals Theaterbogen zu drucken. In seiner Zeitschrift „Suffløren“ (Der Souffleur), die er werbewirksam für die jugendlichen Theaterspieler herausgab, konnte man die Bauanleitung für eine hölzerne Bühne finden, mit viel Theatertechnik, wie automatisch drehbare Seitenkulissen, Versenkung und Farbänderung für das Kerzenlicht.
Theater von A. Jacobsen, Kopenhagen 1880 (SufflØren)
Das gedruckte Proszenium, die Dekorationen, die Stücktexte mit den zugehörigen Figuren zum Ausschneiden lagen den darauffolgenden Nummern der Zeitschrift bei. Möglicherweise ist das ausgestellte Exemplar das einzige original erhaltene Theater dieser Ausgabe
In den beiden anderen Vitrinen sieht man das „Pegasustheater“ in zwei Variationen. Diese große Bühne erschien 1940 – wieder im Krieg, wie 1914 die ersten Theater dieser Zeitschrift – im Kopenhagener „Familie Journal“ von Carl Aller. Die notwendigen Bogen dazu waren diesmal nicht in der Zeitung abgedruckt, sondern mussten beim Verlag gekauft werden. Für den Kauf machten die bebildert beschriebenen Theaterstücke und Tipps in der Zeitschrift Reklame. Bis 1948 erschienen 11 Stücke mit allem, was zu den Aufführungen gehörte. Das große Proszenium sollte aus Sperrholz gebaut werden. Nur benötigte es für die großen applizierten Bogen allzu viel dieses im Krieg nicht erhältlichen Materials, so dass sich Aller entschloss, ein Papierproszenium zu drucken, welches das zweite Theater zeigt. Im Holz-Pegasus ist die Schiffsdekoration zu „Die Schatzinsel“ aufgebaut, eine seltenes Bühnenbild, da der größte Teil der Bogen bei einem Lagerbrand zerstört wurden.
An der Wand findet man ein anderes Theater. Aus dem „Kinder-Courant“, einer niederländischen Jugend- und Bastelzeitschrift aus den Jahren um 1846 werden in den Rahmen ein Proszenium, Bühnenbilder, Figurenbogen und einige originale Zeitungsseiten gezeigt.
„Kinder-Courant, Niederlande um 1850 (Bogen und Proszenium)
Der zweite große Raum beschäftigt sich mit zwei der wichtigsten Zeitschriften, die sich intensiv den größeren Theatern für Aufführungen im Familienkreis, nicht nur im Kinderzimmer gewidmet haben. „Mon Théâtre“ vom Buch-Verleger Albert Mericant aus Paris bestand 1924/5 nur ein gutes Jahr.
Vitrine mit Mon Theatre BÜhne
Sie brachte in ihren 24 Nummern jeweils vollständige aufführbare Stücke mit Text, doppelseitigen Figuren und der Dekoration, wie auch Werbung für den beim Verlag zu kaufenden Theaterbau und viele Anregungen neben Theater-Comics und anderen besonders die Jugend ansprechenden Themen füllte die andere Hälfte des 16-seitigen Blattes. Der Jugendstilsalon für das Stück „Der Klavierstimmer“ ist eine eindrucksvolle plastische Dekoration.
„Mon Theatre“, Paris, MÄrz 1905 (Dekorationsbogen)
Die übrigen 12 Vitrinen zeigen die meisten der Theater aus dem oben genannten Allerschen „Familie Journal“.
Familie Journal, Kopenhagen 1916 („Lilleputteater“)
Von 1914 bis etwa 1935 erschienen dort 15 Bühnen in verschiedenen Größen. Für jedes Theater wurden neue Möglichkeiten und Strukturen erfunden, die oft Techniken des großen Theaters abgeschaut waren. Für jede der Bühnen gab es mehrere Stücke, wiederum vollständig mit Figuren, Texten und allen Dekorationen und jedes Mal neuern Tricks.
Familie Journal, Kopenhagen 1925 (Baubogen Plastisches Proszenium)
Familie Journal, Kopenhagen 1914 (Baubogen der ersten BÜhne)
Es gibt keinen anderen Verlag – jene der „reinen“ Theaterbogen einbezogen - der so viele Variationen und Möglichkeiten für das Papiertheater entwickelt hat.
Familie Journal, Kopenhagen 1922 (Theater mit SeitenbÜhne)
Gerade diese beiden alten Zeitschriften bieten auch heute noch wichtigste Anregungen für die Papiertheatergemeinde.
In England sind ebenfalls viele Zeitungstheater zu finden, doch leider nicht in dieser Exposition. Vielleicht wird man sich denen in späterer Zeit einmal widmen.
Viel Freude nun bei Besuch unserer neuen Ausstellung.
Das PapierTheater Nr.8 SEITE 4 September 2008
Theaterkritik I
Die Pestalozzischule in Preetz
21. Preetzer Papiertheatertreffen
12.–14. September 2008
Pestalozzi-Schule
Kirchenallee 31
24211 Preetz
www.vhs-preetz.de
15 Theater aus 9 Ländern
61 Vorstellungen
Links zu den Bildseiten
der besprochenen Aufführungen:
Peter und der Wolf
The Garden of Allah
Dracula del Lobo
Der kleine Häwelmann
The Buccaneer’s Bride
Ubu, vos papiers!
Peace unto you all
Mackuse fliegt Übers Kuckucksnest
Die II
Reise zum Mittelpunkt der Erde
Von Riesen, Feen und anderen Wesen
FÜr mich war dieses Jahr sozusagen ein Jahr der Familientage: zu Himmelfahrt das alljährliche Treffen des mit dem Papiertheater eng verbundenen Arbeitskreises Bild Druck Papier in Hagenow, kurz darauf das 10. Symposium des Forum Papiertheater in Hanau, etwas später ein „echtes“ Treffen meiner Großfamilie in Schleswig und nun zum Abschluß – alle Jahre wieder – das nunmehr 21. Papiertheater-Treffen in Preetz. Gäbe es dieses Treffen nicht, man müßte es erfinden! Hier ist tatsächlich so etwas wie eine Familie von Spielern, Sammlern und Zuschauern zusammengewachsen, man begegnet alten Freunden, macht neue Bekanntschaften, aus denen oft Freundschaften werden, diskutiert das jeweils Gesehene, empfiehlt besonders Gelungenes, kritisiert auch das eine oder andere – und am Ende mischt sich in das Bedauern über das Ende des Festivals die Vorfreude auf das nächste. Bei dem enormen Enthusiasmus aller Beteiligten erscheint es mir keineswegs vermessen, daß in der offiziellen Eröffnungsveranstaltung bereits ein Silber-Jubiläum, nämlich ein 25. Preetzer Papiertheater-Treffen als Vision im Raum stand.
Peter und der Wolf
Wie immer konnte ich natürlich nur eine Auswahl der vielen Aufführungen sehen – also der Reihe nach: Der Freitag begann für mich mit „Peter und der Wolf“ von Serge Prokofieff, dargeboten von Kamilla und Gert Strauss mit ihrem „Wiener Papiertheater“. Sie hatten aus dänischen Bögen der 30er Jahre ein wirklich vorzüglich in die Tiefe gestaffeltes Bühnenbild geschaffen, das zudem durch eine beeindruckende Lichtregie Manfred Hellers sehr wirkungsvoll zur Geltung kam. Überzeugend auch die Figurenführung, die durchgehend dem Rhythmus der Musik folgte und Gelegenheit zu allerlei witzigen „Schmankerln“ bot – so wenn die Ente im Takt mit dem Kopf wackelte oder der Wolf bei starken Orchesterschlägen in die Höhe sprang, um einen Vogel zu fangen. Etwas geteilt war die Reaktion der Zuschauer auf den Schluß der Vorstellung, weil die Spieler den Wolf abweichend von der Vorlage nicht im Zoo, sondern in einem Zirkus enden ließen und dabei dann nicht die Komposition Prokofieffs, sondern Zirkusmusik einsetzten. Einige bemängelten das als Stilbruch, doch halte ich diese Variation für absolut legitim, bot sie doch Gelegenheit zu einem sehr gelungenen Schlußtableau mit Seiltänzern und Feuerwerk.
The Garden of Allah
Von ganz anderer Art war die zweite Vorstellung, die ich sah, „The Garden of Allah“, gespielt von Sylvia, Sarah und Peter Peasgood mit ihrem „Thimble Theatre“ – ich sah und besprach das Ehepaar Peasgood vor Jahren (vgl. PapierTheater Nr. 23 vom Dezember 2002) mit einer burlesken Harlekinade, sah nun eine eher tragische, verhaltene Aufführung und staune über die Bandbreite dieses Teams. Die etwas verwirrende, weitgehend in der Wüste spielende und nach einem Film von 1936 gestaltete Geschichte schildert die nur kurze Zeit glückliche Begegnung einer tief religiösen Frau und eines Mannes, der sein Mönchsgelübde gebrochen hat. Peter Peasgood hatte dazu 15 (!) meist sehr kurze Szenen geschaffen, deren Dekorationen durchweg überaus stimmungsvoll, teilweise einfach überwältigend schön waren (Wüste!) und gut ausgeleuchtet wurden. Durchweg beeindruckend gelang auch die Führung der teilweise beweglichen Figuren – den Szenen mit einer Bauchtänzerin oder einem seinen Körper auf und nieder wiegenden Wahrsager hätte ich noch viel länger zusehen mögen. Gut gefiel mir auch die lebendige sprachliche Gestaltung (auch wenn es bei den Einsätzen gelegentlich etwas haperte und die Aufführung manchmal etwas zu textlastig war ).
Dracula del Lobo
Weiter ging es mit dem „Little Blue Moon Theatre“ von Michael und Valerie Nelson. Bei den beiden ist man ja immer schon im voraus gespannt auf ihre kleinen Frivolitäten – und ihr „Dracula del Lobo“ enttäuschte die Erwartung (natürlich) nicht. Wir erleben eingangs die Ermordung eines Inka-Fürsten durch einen (spanischen) Grafen Dracula – Blutsauger jeder Art gibt es ja bekanntlich überall –, seine Verfluchung zum Leben als untoter Vampir durch einen Tempelpriester und dann, knapp 400 Jahre später, seine Attacke auf zwei junge, schöne Damen, die zu Besuch in die Gegend kommen, in der er sein Unwesen treibt. Prompt werden auch sie seine Opfer, obwohl sie eigentlich mit Männern (noch) gar nichts am Hut haben und sich viel lieber miteinander und mit der ausführlichen Lektüre einer bebilderten Ausgabe des Kamasutra vergnügen. Rettung (??) naht schließlich in Gestalt einer Haushälterin, die in einem früheren Leben der schon erwähnte Tempelpriester war, dann aber ebenfalls zum Vampir wurde – Blutsauger sterben eben auch nicht aus! Das Ganze wurde in von Michael Nelson entworfenen, wunderbaren Dekorationen (10 verschiedene Szenen!) und Figurinen live gesprochen und gespielt und war ein weiterer Höhepunkt des Tages! Die vielen Glanzlichter aufzuzählen oder genauer zu beschreiben – z.B. die das Haupt des Tempelpriesters umflatternden Vögel, die „anregenden“ erotischen Skulpturen, die schwungvollen Figurinen bei Draculas Tango mit den beiden Schönen etc., etc. – würde den Rahmen dieses Beitrags bei weitem sprengen. Toll – zumal uns Valerie Nelson am Schluß noch mit ihrem schönen Gesang erfreute!
Der kleine HÄwelmann
Etwas ruhiger ging es am nächsten Morgen beim „Kleinen Häwelmann“ zu, den Helmut Wurz, Terry Andrews und Annegret Garrecht mit ihrem „Hanauer Papiertheater“ spielten – obwohl ja der Protagonist dieser bekannten Kindergeschichte dauernd in Bewegung ist und ständig „Mehr, mehr!“ schreit. In schönen, sehr gut ausgeleuchteten Dekorationen, die weitgehend aus Allers „Familienjournal“ stammten, gestalteten die drei Spieler das Geschehen sehr stimmungsvoll und überzeugten immer wieder mit gelungenen Einfällen – so wenn die Mutter mit einem beweglichen Arm Häwelmanns Bettchen hin und her bewegt, bis sie darüber einschläft oder wenn er anschließend, gehalten von einem unsichtbaren Magneten, an Wänden und Decke entlang fährt. Sehr schön auch die Fahrt auf dem Mondstrahl und durch die nächtliche Stadt vor immer neuen Hintergründen (und einem auf dem Kirchturm krähenden Hahn), die Reise durch Wolken und Sterne und schließlich ein eindrucksvoller Sonnenaufgang. Verdienter, einhelliger Applaus!
The Buccaneer’s Bride
Am Nachmittag dann häuften sich weitere Höhepunkte des Festivals. Es begann mit der Aufführung von Robert Poulters „The Buccaneer’s Bride“, einer höchst verwickelten, von Poulter selbst verfaßten Geschichte über die Suche einer verlassenen Piraten-Braut nach ihrem entlaufenen Mann und mehrerer miteinander verfeindeter Piraten nach einer Schatzinsel, die vermutlich gar nicht existiert. Poulters rasante Spielweise mit ständigem Dekorationswechsel auf offener Szene und seinem inzwischen geradezu berühmten Rollhorizont ist ja schon verschiedentlich beschrieben worden, doch übertraf er sich diesmal fast selbst: 14 verschiedene Szenen in 35 Minuten, jede einzelne ein optischer Genuß! Dazu eine Beleuchtung, die mit einfachsten Mitteln wirklich erstaunliche Effekte erzielt. Wieder würde es zu weit führen, die Szenen detaillierter zu beschreiben; ich greife deshalb nur zwei von ihnen heraus, nämlich einen tollen Vulkanausbruch und eine Schlacht zwischen den verschiedenen Piratenschiffen, ein von Explosionen und Geschützdonner begleiteter sekundenschneller Wechsel zwischen rabenschwarzer Nacht und den immer stärker zusammengeschossenen Schiffsleibern, die als schwarze Silhouetten vor hellem Hintergrund erschienen. Ich habe Besseres auf dem Papiertheater noch nicht gesehen. Hinzu kamen zahlreiche größere und kleinere Gags, beispielsweise ein Eisbär, der in einem mit einem Pelzmantel bekleideten Piraten seine Mutter zu erkennen meint und ihm mit dem Ruf „Mother, mother“ ständig hinterher rennt. Komik, Bühnenbild und Intensität der Handlungsabläufe gehen bei Poulter eine umwerfende Synthese ein.
Ubu, vos papiers!
Den nächsten Paukenschlag tat anschließend Éric Poirier mit „Ubu, vos papiers“, einer auf dem bekannten Drama über den polnischen Usurpator Ubu basierenden Handlung, der, angestachelt von seiner Frau, im Stile Macbeth’ den rechtmäßigen König umbringt, sich selbst zum König aufschwingt, sein Volk unterdrückt und ausraubt und schließlich von dem einzig überlebenden Sohn des rechtmäßigen Königs wieder entthront wird.
Aber Poirier wäre nicht er selbst, wenn er diese im Grunde traurige Geschichte ungebrochen stehen ließe. Vielmehr verfremdete er sie zu einer Slapstick-Komödie sondergleichen und entfachte aus ihr ein
Feuerwerk, bei dem ein Gag den anderen jagte. Wie gewohnt, spielte er nicht innerhalb einer geschlossenen Bühne, sondern auf einem blanken Tisch, auf dem wenige Versetzstücke mal Säulen des Königspalastes, mal etwas gedreht Marsch“säulen“ kämpfender Heere darstellten. Alle Figurinen waren äußerst stilisierte, ausgeschnittene Linolschnitt-Drucke, die er teilweise nach Bedarf ergänzte, indem er Druckplatten, Farbe, Farbroller und Druckpresse hervorholte und sich das zusätzliche Personal damit während der Vorstellung herstellte – allerdings nur, um diese Figuren gleich darauf zu töten, sprich zu zerreißen oder zu zerknüllen. Mein Französisch ist nur sehr mäßig, und ich bezweifle sogar, daß bessere Sprachkenner entscheidend mehr von dem herausgesprudelten Text verstanden – aber Poirier hätte auch eine völlig entlegene Fremdsprache benutzen können, und man hätte der Handlung dennoch folgen können: er selbst brachte sich als Hauptdarsteller in Mimik, Körperhaltung, Stimmvariationen und schließlich sogar Kleidung so unmittelbar und plastisch ein, daß er sein bester Dolmetscher war; und schließlich benutzten einige der Personen ja auch eine Abart der deutschen Sprache. Man mag diskutieren, ob das noch Papiertheater im strengen Sinne war – aber jedenfalls war es ein Hochgenuß!
Peace unto you all
Welcher Kontrast zum nächsten Glanzlicht dieses Tages, zu Hana Voriskovás „Peace unto you all“! Sehr verhalten und ruhig, ja geradezu weihevoll präsentierten sie und ihre Partnerin Hana Vedralova die biblische Erzählung von der Geburt Jesu, beginnend mit der Marienverkündigung bis hin zur Anbetung der Hirten und der heiligen drei Könige. Beim Licht einer Kerze las Vedralova in einem anrührend gebrochenen Deutsch zunächst jeweils die entsprechenden Textpassagen und reichte dann die Kerze betont gemessen an Vorisková weiter. Auf einer winzigen, nur mit einer durchsichtigen Folie bespannten Bühne spielte diese dann die jeweilige Handlung mit filigranen, unsichtbar an feinen Fäden bewegten Figürchen nach. Ohne jede zusätzliche Dekoration, fast spartanisch vollzog sich dieses Schattenspiel, und man konnte nur staunen, wie diese delikaten, schlanken Gestalten ihre Knie beugen, mit beweglichen Armen die Krippe wiegen und sich bewegen konnten, als wären sie lebendig. Man sah den Zug der Hirten und der Könige zum Stall, auf einer zusätzlichen Oberbühne schwebte mit seinen Posaunen der Chor der himmlischen Heerscharen – alles das begleitet von Volksmusik aus Böhmen und Mähren in der Fassung u.a. von Leos Janacek. Es will mir nicht gelingen, den bewegenden Eindruck dieser Aufführung in nüchternen Worten wiederzugeben – ein Freund nannte ihn „magisch“, und das trifft es wohl am ehesten. Kennzeichnend war, daß alle Zuschauer erst eine Besinnungspause brauchten, ehe der Beifall losbrach.
Mackuse fliegt Übers Kuckucksnest
Die nächste Vorstellung galt sozusagen dem Requiem für einen weiteren Untoten – „Mackuse fliegt übers Kuckucksnest“, entworfen und gestaltet von Walter Koschwitz mit seinem „Papiertheater der urbanen Kriminalität“ und gespielt von ihm und seiner Frau Megi Koschwitz-Hermann. Ich muß gestehen, daß ich eine Weile dazu gebraucht habe, mich auf diesen letzten Teil des Mackuse-Zyklus innerlich einzulassen; denn er unterschied sich um einiges von den vorangegangenen. Gab es dort vielfältige „action“, so dominierten jetzt beklemmende Tristesse und gezielte Irritationen durch die Darstellung eines psychisch deformierten Menschen: Mackuse als nach einer nur unvollkommen gelungenen Operation nur noch als Schatten seiner selbst erscheinender Insasse einer Irrenanstalt – der Titel paraphrasiert nicht von ungefähr den Titel eines ebendort spielenden Films. Ein genialer Verbrecher, der von Ärzten mit Hilfe von Psychopharmaka gerade noch so weit therapiert wird, daß er als Toilettenwärter verwendbar ist und von den Ärzten als „Restmensch“ bezeichnet wird. Diese Deformierung führt dann zu Haßausbrüchen in quälend langen Gesängen, eben einem dies irae, mit Attacken gegen die Frauen und die ganze Welt, schildert das Bild einer zerrütteten Seele mit Allmachtsphantasien und andererseits einer Regression in kindliche Gedankengänge – bei allem Wissen um seine verbrecherischen „Qualitäten“ konnte einem dieser Mackuse streckenweise schon wieder leidtun. Die wie bei Koschwitz üblich nur zweidimensionale Dekoration entsprach dieser Tristesse – eindrucksvoll die trostlose Aufreihung von Urinalen am künftigen Arbeitsplatz und im Schlußteil des Spiels die Darstellungen des von Mackuse in seiner Wahnvorstellung als Flottenadmiral zerstörten Berlins, der Wüstenszenen und der Begegnung mit untoten Geistern am Rande von Gräbern. Die Reaktion der Zuschauer schwankte zwischen schroffer Ablehnung und begeisterter Zustimmung – ich selbst halte die Aufführung als Schlußakkord der vorangegangenen Teile für konsequent und in ihrer atmosphärischen Dichte für stimmig, ziehe aber die weniger deprimierenden früheren Teile des Zyklus vor.
Die II
Gehen wir zum Sonntag über. Zwar hätte es auch am Samstag noch einen weiteren Vorstellungstermin gegeben, aber meine Aufnahmekapazität war schlicht erschöpft – und man wollte ja auch noch die Kraft haben, bei der späteren Auktion mitzubieten.
So sah ich denn am Sonntag gut erholt „Die II“ vom „Papiertheater Pollidor“, eine von Dirk Reimers erdachte und inszenierte Komödie über zwei Privatdetektive mit dem Auftrag, einer Erbin sehr vertraulich und geheim ein Schriftstück zu überbringen; dabei passieren dann natürlich einige Verwicklungen und Dummheiten, zumal die beiden Mündel der Erbin bei dem Versuch, sie zu übervorteilen, selbst mächtig hereinfallen. Aber zuerst galt es Barbara Reimers’ wunderschönes neues Proszenium zu bewundern, das bei diesem Festival eingeweiht wurde. Hier ist ihr wirklich ein überzeugender Wurf gelungen, der hergebrachte Dekorationselemente wirkungsvoll aufnimmt und neben den großen Proszenien aus früherer Zeit ohne jeden Zweifel bestehen kann. Kompliment! Das Stück selbst lief in gut gestaffelten spanischen und dänischen Dekorationen mit schönen Figurinen von Barbara Reimers ab, bestach u.a. durch einen gut eingesetzten Rollhorizont und lebte natürlich besonders vom Sprachwitz und der gekonnten Art, mit der die beiden Spieler ihre Rollen schon seit langem lebendig zu gestalten vermögen. Insgesamt ein schöner Spaß – auch wenn mir die Komödie im Vorjahr noch besser gefiel.
Reise zum Mittelpunkt der Erde
Zum ersten Mal in Preetz dabei war „Haase’s Papiertheater“ mit der „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ nach Jules Verne – ein überaus gelungenes Debut! Martin und Sieglinde Haase führten 9 Szenen dieser Entdeckungsreise auf, und schon die teils aus herkömmlichen Bögen, teils aus bearbeiteten eigenen Fotos geschaffenen Dekorationen haben mich durchgehend überzeugt; die Lichtregie ließ kaum etwas zu wünschen übrig und der Soundtrack hätte kaum besser sein können. Hinzu kamen schöne Einzeleffekte – ein beweglicher Schaukelstuhl, aus dem Wasser auftauchende, einander bekämpfende Seeungeheuer, die Sprengung eines Felsens etc. etc. Besonders hervorzuheben ist die mit einfachsten Mitteln, nämlich auf einen Spiegel projizierten Wellenbewegungen gestaltete Darstellung eines unterirdischen Flusses – prima! Zur Nachahmung empfohlen sei schließlich der Einfall, die (kurzen) Umbaupausen nicht wie meist üblich nur mit Musik zu füllen, sondern in dieser Zeit ein fiktives Tagebuch zu verlesen, das von einer Szene zwanglos zur nächsten überleitete; der manchmal entstehende Eindruck eines „Lochs“ während des Umbaus konnte so gar nicht erst aufkommen. Einzig zu kritisieren habe ich, daß die Figurenführung ziemlich starr wirkte und vielleicht auch durch die Verwendung etwas unterschiedlicher Körperhaltungen lebendiger gemacht werden könnte.
Von Riesen, Feen und anderen Wesen
Zum Schluß schließlich Peter Schauerte-Lüke mit seinem „Don Giovanni, Käthchen& Co.“ Etwas irreführend war „Von Riesen, Feen und anderen Wesen“ angekündigt – Feen aber habe ich vergeblich gesucht. Riesen gab es dann tatsächlich, menschenfressende sogar, und zwar in zwei Geschichten von Tomi Ungerer und Wolfgang Hildesheimer. Schauerte-Lüke benutzte in der ersten, die mir am besten gefiel, die gekonnten Illustrationen des bekannten Zeichners für Dekorationen und Figurinen und stellte uns einen am Hungertuche nagenden Menschenfresser vor, dem seine gewohnte Nahrung, kleine Kinder nämlich, ausgegangen war, weil er einen Großteil von Ihnen bereits verspeist und die übrig gebliebenen so verängstigt hatte, daß sie sich nicht mehr aus dem Hause wagten. Dann aber geschieht ein Wunder der Läuterung: Als der Riese einen Schwächeanfall erleidet, wird er von einer Bauerntochter mit einer Mahlzeit, die einen Michelin-Stern verdiente, wieder auf die Beine gebracht, will fortan nur noch dieses „slow-food“ verzehren und bekehrt auch seine bisher menschenfressenden Kumpane dazu. Ende gut, alles gut – und alles in gewohnter Manier vom Spieler live und flott auf die Bühne gebracht. Etwas schwächer dann die zweite Geschichte mit von Schauerte-Lüke selbst entworfenen Dekorationen und Figurinen: Zwei Bauernsöhne versuchen in der Hoffnung, damit die Hand der Königstochter zu erringen, nacheinander, einen menschenfressenden Riesen zu beseitigen, scheitern aber beide, jeder auf seine Art. Auch das war gekonnt gespielt, doch kam für mein Empfinden der Erzkomödiant nicht ganz so überzeugend zur Geltung, wie wir es in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt haben.
Gleichwohl das immer erneute Fazit: Es war ein wunderbares Festival, und ich erhoffe mir nicht nur ein silbernes Jubiläum, sondern noch viele Male darüber hinaus.
Das PapierTheater Nr.8 SEITE 5 September 2008
Theaterkritik II
Die Wand der neuen Halle, vor welcher gleich die ErÖffnungsfeier stattfindet
21. Preetzer Papiertheatertreffen
12.–14. September 2008
Pestalozzi-Schule
Kirchenallee 31
24211 Preetz
www.vhs-preetz.de
15 Theater aus 9 Ländern
61 Vorstellungen
Links zu den Bildseiten
der besprochenen Aufführungen:
Jim und Jonna
20.000 Meilen unter’m Meer
Der kleine Häwelmann
Mackuse fliegt Übers Kuckucksnest
Peter und der Wolf
„Ausverkauft!“ hieß es schon wenige Stunden, nachdem der Kartenvorverkauf begonnen hatte. Enttäuschte Stimmen an der Kasse: „Und was machen wir jetzt?“ Tja, wat den een sin Uhl … Die Nachtigall jedenfalls war in jeder Hinsicht auf Seiten der Akteure. Einige wurden sogar Opfer ihres Erfolgs. Angesichts des gerammelt vollen Theaterraums fingen sie schon vor der angesetzten Zeit an, hofften paradoxerweise, „dass nun keiner mehr kommt“. Entsprechend überpünktlich lag andächtiges Lauschen über den virtuellen Reisen zum Mittelpunkt der Erde, unter dem Meer, im Bett, durch nächtliche Straßen, übers Kuckucksnest und so weiter …
Jim und Jonna
Abenteuer unter der Bettdecke
Hier wird, bevor es los geht, erst einmal kräftig gesungen- vom Publikum, im Kanon, dirigiert von Marianne Castegren mit ihrem Teater Buffa aus Schweden. Dann erzählt sie uns auf ihrer Bühne eine Geschichte aus dem Kinderalltag. Jim wird von anderen Kindern gepiesackt, seine Freundin Jonna möchte ihm helfen, traut sich aber nicht und verkriecht sich, vom Schlechten Gewissen geplagt, im Bett. Da die Kinder noch im „magischen Alter“ sind, geschehen zwischen Bettdecke und Matratze Dinge, von denen sich unsere Erwachsenenweisheit nichts träumen lässt. Totales Theater wird hier gespielt, damit die Abenteuer in den Federn ebenso überstanden werden wie die konkrete Lage draußen. Marianne Castegren musiziert, spricht, lässt eine Handpuppe agieren und bedient die Bühne mit Kulissen und Figurinen.
Fünf Kinder in der ersten Reihe sind ebenso gebannt wie die mehrheitlichen Erwachsenen. Zweifelnd erkundigt sich eins von ihnen, als der Vorhang fällt: „Geht es nicht weiter?“ Nein, aber auch ich hätte es noch gern auf der harten Tischplatte in der letzten Reihe ausgehalten.
20.000 Meilen unter’m Meer
Imponierendes Unterwasserkino
Was Olaf Christensen da mit seinem Hamburger Altpapier aufstellt, ist perfekt wie gutes Kino, in Bild und Ton. Zwar erfordert es längere Umbaupausen, für die er schon im voraus um Nachsicht bittet, aber die
Bilder haben es dafür auch in sich: die stürmische See, die Unterwasserszenen mit der gespenstischen „Nautilus“, dem U-Boot des ebenso genialen wie wahnsinnigen Kapitäns Nemo. Nebenbei lässt „Das Boot“ musikalisch grüßen. Die Gelassenheit, mit der die Schiffbrüchigen ihre kritische Lage bewerten, überrascht etwas, kann aber auch trocken wie britischer Humor genossen werden, es ist ja ansonsten nass genug auf der Bühne.
Der kleine HÄwelmann
Kleiner Kerl auf großer Reise
Die Hanauer Helmut Wurz, Terence Adams und Annegret Garrecht spielen eine der berühmtesten Gutenachtgeschichten nicht nur kindgerecht, sondern auch bühnenperfekt. Der kleine Junge in schlafloser Nacht, der sein Hemdchen als Segel setzt und zum Erschrecken des Mondes in seinem Rollenbettchen erst die Wände hinauf und hinunter kutschiert, dann die Fahrt durch die schlafende Stadt antritt, in den Wald und den Sternenhimmel, sind stimmungsvoll und liebenswert gestaltet. Sehr passend dazu die Stimmen der Erzähler, voran unverkennbar Hans Paetsch. Auch hier wieder am Ende ein kleiner Zuschauer, besorgt: „Ist jetzt Schluss?“
Mackuse fliegt Übers Kuckucksnest
Ein krankes Hirn stellt sich vor.
Endlich mal eine Bühne, die jeder sehen kann, auch wer hinten sitzt. Kulissen, Figuren, Ton und Sprache, wie immer beim Theater der urbanen Kriminalität, meisterhaft in der Idee, der Ausführung und der Technik. Ein expressionistisches Gruselstück, das Assoziationen an all die Schrecken auslöst, die unsere Welt beherrschen oder zu beherrschen drohen: Lust am sinnlosen Töten und Zerstören, perverse Triebe, Hass auf Frauen - nichts ist so niederträchtig, als dass Mackuse es nicht erträumen und besingen könnte. Gut, dass das alles nur in seinem kranken Hirn stattfindet, mitsamt dem er in eine Anstalt gesperrt ist. Noch? Spürbar auseinander gingen beim Publikum Begeisterung und Beklommenheit über dieses böse, bissige und sarkastische Werk, das keine Gnade mehr kennt. Ich gestehe, dass ich zu den letzteren gehöre, vernahm aber ebenso viele begeisterte Stimmen.
Peter und der Wolf
Neu: mit happy end
Niemals sah ich einen so blitzschnellen Umbau. Das mag als Nebensache erscheinen, aber es beeindruckt den Papiertheaterspieler nun mal und spiegelt die unglaubliche Perfektion des Wiener Papiertheaters wider. Obwohl Computer gesteuert und mit allen Mitteln moderner Beleuchtung, Vernebelung und Feuerwerken ausgestattet, wirken Bilder und Spiel lyrisch und lebendig. Sehr schön ausgewählt auch die Erzählerin Romy Schneider. Reizvolle Variante: Der Wolf überlebt nicht nur, er muss auch nicht in den Zoo, sondern darf in den Zirkus, und so erscheint er in der (fix gezauberten) Schlussszene als Artist bei lustiger Jahrmarktmusik. Drei Vorhänge und eine Zugabe!