Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
Erste Ausgabe im neuen Jahr: Für alle, die nicht in Hamburg wohnen, der Bericht in der Mopo über Norbert Neumann.
Willers Amtrup präsentiert seine neueste Entdeckung: „Kamishibai“.
Iris Förster verlegt nicht nur, sie schiebt auch Papier: Sie erzählt uns in dieser Ausgabe von den Aufführungen zusammen mit ihrer Familie.
Auch diesmal wieder: viel Vergnügen bei der Lektüre!
(rs)
Das PapierTheater Nr.15 SEITE 2 Februar 2010
Medien
„Norbert Neumann (77) hat ein ungewöhnliches Hobby.“
Norbert Neumann öffnet Schublade um Schublade, fummelt einen Ordner nach dem anderen vom Regal, erzählt begeistert und kramt. Seine Winterhuder Wohnung ist prall gefüllt mit Kunstwerken. Der 77jährige sammelt Papiertheater. Ja, das gibt es noch.
Mitte der 70er Jahre entdeckte der Ex-Journalist seine Leidenschaft für die kleinen Figuren und Bühnen, mit denen große Geschichten erzählt werden können. „Ich wollte einer alten Freundin ein originelles Geschenk machen“, erinnert er sich. „In der Buchhandlung Kerckhoff in der Poststraße sah ich ein Papiertheater stehen.“ Das war es.
Spätestens nach einer Stippvisite in „Pollocks Toy Museum“ in London wurde aus Neugier Leidenschaft. Betritt man seine Wohnung, kommt einem schnell der Begriff Lebenswerk in den Sinn. „Bei der Frage, wie viele Bögen ich habe, muss ich passen. Es dürften Tausende sein“, sagt Neumann, der nicht nur Papiertheater sammelt, er weiß auch fast alles darüber.
Einfach war es nicht, die mehr als 100 Jahre alten Schätze zu finden. Papiertheater hatte seine Hochzeit im 19. Jahrhundert, spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg und mit der Geburt des Kinos war diese Form der Unterhaltung in Deutschland zerstört. „Ich habe aber mit der Zeit immer mehr Liebhaber des Papiertheaters kennengelernt“, erzählt er. Sein teuerstes Stück ersteigerte ihm ein Freund bei Christie’s in London. Preis: 1100 Pfund.
Unglaublich, aber wahr: Neumann hat nur ein Mal Papiertheater gespielt. „Das war Kuddeldaddeldu und Fürst Wittgenstein von Ringelnatz“, verrät er. Es blieb jedoch bei der Premiere.
Jedes Jahr im September treffen sich die Freunde des Papiertheaters aus aller Welt in Preetz. Ein Stelldichein, das den Grafikfan bestärkt, an eine Zukunft des Papiertheaters zu glauben. „Vor 30 Jahren wusste in Deutschland noch keiner, wovon ich spreche. Aber das Interesse wird größer“, sagt er.
Das PapierTheater Nr.15 SEITE 3 Februar 2010
Schulpapiertheater
Im Jahrbuch 2009 des Ratsgymnasiums in Osnabrück, das der Ehemaligen-Verein alljährlich herausgibt, entdeckte Ex-Pennäler Willers Amtrup den Bericht einer Schülerin, die im WPU – Wahlpflichtunterricht – das japanische Papiertheater „Kamishibai“ zum Thema hatte.
www.kamishibai.com
de.wikipedia.org/wiki/Kamishibai
www.kreashibai.de
bibliomedia.ch/de/angebote/kamishibai
Buchempfehlungen:
Eric Peter Nash
Manga Kamishibai
The Art of Japanese Paper Theater.
250 full-colour illustrations.
Erschienen: 10.2009
ISBN-10: 0-8109-5303-X
EAN: 9780810953031
Abrams Books
Sprache: Englisch.
www.libri.de
www.abramsbooks.com
www.popmatters.com
www.comicbookresources.com
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www.amazon.de
Weitere Abbildungen aus Eric Peter Nash – Manga Kamishibai
Das PapierTheater Nr.15 SEITE 4 Februar 2010
Kinder-Theater
Der Standhafte Zinnsoldat im Boot
Die Redaktion freut sich besonders über Beiträge, in denen über Papiertheateraktivitäten mit oder von Kindern berichtet wird, wie in unserer WebZeitung Nr. 12 / August 2009 und in der gedruckten Ausgabe Nr. 6 / Dezember 2009. Auch in Waiblingen (von Stuttgart schnell mit der S-Bahn erreichbar) tut sich da etwas.
Waiblingen macht ja seit vielen Jahren von sich reden als eine höchst papiertheaterfreundliche Stadt. In unserer Zeitschrift PAPIERTHEATER, Nr. 31, Dezember 2005 berichteten wir über das ”4. Internationale Dr. Kurt Pflüger Papiertheater-Festival – Schiller en miniature”, im Gewölbe des Kameralamts in der Altstadt und unter der Schirmherrschaft des Bürgermeisters, finanziert aus dem kommunalen Haushalt.
Leider scheint zur Zeit die Sache stillzustehen. Aber eine Bühne tummelt sich hier auf jeden Fall: „Peters Papiertheater“ mit Peter Kundmüller, seiner Frau Iris Förster und ihren Kindern Annika (14) und Lasse (7). Beliebt sind ihre Märchenaufführungen wie „Hänsel und Gretel“, „Brüderchen und Schwesterchen“ und jetzt „Der standhafte Zinnsoldat“, die sie zum Beispiel in der Stadtbücherei und in Kindergärten aufführen. Die Aufführungen werden live gesprochen und musikalisch untermalt.
Peter Kundmüller hat überdies drei Kinderkrimis („nicht nur für Kinder“) geschrieben, die in Waiblingen spielen. Erschienen sind sie in Iris Försters Verlag, der auch die Papiertheater-Hörbücher von Belisa und Max verlegt hat.
Iris Förster berichtet hier von ihrer Aufführung des „Standhaften Zinnsoldaten“ und einem Papiertheater-Workshop in der Weinstädter Stadtbücherei mit Kindern. (Weinstadt liegt 8 km von Waiblingen entfernt.)
„Das wäre eine Frau für mich! “ Sehnsüchtig himmelt der standhafte Zinnsoldat die schöne Prinzessin an, die – genau wie er– vermeintlich nur auf einem Bein daherkommt. Das andere Bein streckt sie hoch in die Höhe, während sie kunstvoll ihre Pirouetten dreht.
Peters Papiertheater aus Waiblingen tritt an einem
Montagnachmittag im Januar in der Stadtbücherei in Weinstadt auf. Sie sind keine Unbekannten hier, Peter Kundmüller, seine Frau Iris Förster und Lasse Förster, der 7jährige Sohn. Auch vor zwei Jahren war die kleine Waiblinger Papiertheaterbühne zu Gast in Weinstadt, damals mit dem Stück „Brüderchen und Schwesterchen“ und mit Tochter Annika (14 Jahre) statt mit Lasse als Mitspieler.
Von Peter Kundmüller werden die Zuschauer auf die Zeit eingestimmt, die man wohl guten Gewissens als Geburtsstunde des bürgerlichen Papiertheaterspielens bezeichnen kann: „Stellt euch eine Zeit ohne Strom und Batterien vor. Da gab es keine CD-Player, keine MP3-Player, keine Gameboys. Welch ein armseliges Kinderleben!“ „JA, das waren arme Leute früher“, erwidert spontan eine junge Zuschauerin.
Der Vorhang hebt sich, auf der Bühne steht Hans Christian Andersen und beginnt zu erzählen: „Es waren einmal fünfundzwanzig Zinnsoldaten, die waren alle Brüder, denn sie waren aus einem alten zinnernen Löffel gemacht worden. Das Gewehr hielten sie im Arm und das Gesicht gerade aus; rot und blau, überaus herrlich war die Uniform; das Allererste, was sie in dieser Welt hörten, als der Deckel von der Schachtel genommen wurde, in der sie lagen, war das Wort „Zinnsoldaten!“ Das rief ein kleiner Knabe und klatschte in die Hände; er hatte sie erhalten, denn es war sein Geburtstag, und er stellte sie nun auf dem Tische auf.“
Die jungen Zuschauer sind begeistert. Sehen sie doch zum großen Teil zum ersten Mal eine Papiertheateraufführung und konnten sich im Vorfeld kaum etwas darunter vorstellen.
Das Märchen von Hans Christian Andersen ist wohlbekannt: Ein Zinnsoldat, der, weil er als letzter aus einem alten zinnernen Löffel gegossen wurde, nur ein Bein hat, verliebt sich in die schöne Prinzessin aus Papier. Durch ein Unglück wird er von der Fensterbank auf die Straße gestoßen und landet in der Gosse. Zwei Straßenjungen schicken ihn in einem Papierschiffchen auf eine weite Reise, an deren Ende er von einem großen Fisch verschlungen wird. Der Fisch wird gefangen, auf dem Markt verkauft und in eine Küche gebracht. Und durch einen märchenhaften Zufall ist es doch haargenau die Küche des Hauses, in dem die Geschichte ihren Anfang nahm. Der Zinnsoldat, inzwischen ungeliebt, wird ins Feuer geworfen. Die Prinzessin wirbelt durch einen Windstoß ihm hinterher, und im Ofen verglühen die beiden – endlich in heißer Liebe vereint – zu einem zinnernen Herz.
Der Vorhang fällt, das Publikum applaudiert.
Auch die erwachsenen Zuschauer sind nach der Vorstellung begeistert: Mit geübtem Kritikerblick bestaunen sie allenthalben die räumliche Tiefe des Bühnenbildes, die präzise gestalteten Figuren, die ausgefeilten Bühnenhintergründe.
Und die Figuren und Kulissen sind tatsächlich etwas ganz Besonderes: Die Künstlerin Gisela Pfohl hat alles in Absprache mit Peter Kundmüller gezeichnet und gemalt. Die Hintergrundkulisse ist zu einer langen Bahn zusammengeklebt, die über zwei Rollen hin- und her bewegt werden kann, so dass der Zinnsoldat auf seiner Bootsfahrt durch die Straße wahrhaftig an der Häuserzeile entlang gleitet.
Auch Gisela Pfohl, die nicht nur Illustratorin sondern auch Lesepatin ist, war bei der Vorstellung anwesend und ist vom Ergebnis ihrer künstlerischen Arbeit sichtlich angetan.
Zwei Tage nach der Vorstellung bietet die Stadtbücherei für Kinder ab 5 Jahren einen Workshop an: „Wir basteln unser eigenes Papiertheater“. Vier Kinder waren angemeldet, 21 Kinder sind gekommen. Glücklich findet sich für jeden zu guter Letzt ein Plätzchen.
Die beiden Weinstädter Lesepatinnen Gisela Pfohl und Angelika Glück tragen abwechselnd das Buch „Wo die wilden Kerle wohnen“ von Maurice Sendak vor. Eine von ihnen liest, die andere geht durch die Reihen und zeigt den jungen Zuhörern die eindrucksvollen Bilder von Max, der mit seinem Schiff auf eine einsame Insel fährt, auf der ihm viele wilde Kerle begegnen.
Letztlich wird Max als einer der wildesten zum König gekrönt und reist wieder nach Hause in sein Zimmer zurück, wo bereits das Abendessen für ihn bereit steht. Und dann geht es an die Stifte, Schere, los! Da wird gemalt, geschnippelt und geklebt. Die Kinder zeichnen Max, Boote und Monster und kleben sie anschließend auf Papierstreifen.
Den Hintergrund bildet zumeist ein farbenprächtiger Wald, mit Bäumen, die kein Durchkommen ahnen lassen. Das Theater wird praktischerweise aus vorhandenen Buchschubern eines vor kurzem angeschafften Literaturlexikons geschnitten, schließlich befinden wir uns in einer Stadtbücherei. Hierbei brauchen die Kinder natürlich Hilfe, denn die starke Graupappe lässt sich nur schwer bändigen.
Nach einer Stunde intensiven Bastelns werden stolz die ersten Theater präsentiert. Emily, 7 Jahre, spielt spontan vor versammelter Runde die ganze Geschichte nach. Alle Anwesenden applaudieren begeistert.
Die Pappkameraden halten Einzug ins Kinderkulturprogramm – Nachwuchsförderung allerfeinster Art!
Der Standhafte Zinnsoldat zu Hause
Der Standhafte Zinnsoldat im Meer
An die Stifte, Schere, los!
Lexikon-Schuber für den Theaterbau
Monster, selbst gemalt, geschnippelt und geklebt