Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
in Dortmund findet der interessierte Papiertheaterler noch bis 2.
November eine Ausstellung "Über Unterwelten" statt. Norbert Neumann war
da und berichtet uns. Insbesondere das zu sehende Eidophusikon sollte sich keiner entgehen lassen.
In den Stadtbüchereien ist das Papiertheater oft in Form des japanischen Kamishibai angekommen. Uwe Warrach berichtet.
Viel Vergnügen bei der Lektüre!
(mf)
INHALT – Nr. 36 – April 2014
Robert in der Unterwelt
von Norbert Neumann
Seite 2
Noch ein "Fernseher ohne Strom" ...
von Uwe WarrachSeite 3
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Das PapierTheater Nr.36
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April 2014
Ausstellung
Robert in der Unterwelt
von Norbert Neumann
Robert Poulter, der Wiederendecker
des Eidophusikons, vor der für die Ausstellung der Zeche Zollern
entworfenen Bühne. Auf der Bühne die Szene der Hölle der
Industrialisierung
(Copyright Bild: Stephan Schütze)
„Als die Hölle auf
die Erde kam“ heißt das Stück, aber die Zuschauer waren stürmisch
begeistert und die Spieler und der Entwerfer, Autor und Inszenator
Robert Poulter aus Ramsgate, GB, glücklich. Es war die Eröffnung und
Uraufführung von Poulters nunmehr fünftem Eidophusikon, im Rahmen der
Eröffnung der großartigen Ausstellung „Über Unterwelten“ in der
Dortmunder Zeche Zollern, einem Teil des Westfälischen Landesmuseums
für Industriekultur.
Die Unterwelten sind die Zechen,
Gruben und Kanalisationen, die im Zuge der Industrialisierung unterm
einst grünen Boden des Ruhrgebiets entstanden.
Das Eidophusikon (ein Kunstwort das
etwa „Nachahmung der Natur“ bedeutet) war die Erfindung des
Landschaftsmalers und Bühnenbildners Philippe Jacques de Loutherbourg,
1740-1812. Wie seinen Art-Genossen genügten ihm die
„Momentaufnahmen“ einer Landschaft oder Szene nicht mehr. Er wollte den
ständigen Wechsel der Landschaft oder Szene durch Tag und Nacht, Regen
und Sonnenschein in bewegten Bildern einfangen. Deshalb erbaute
er 1781 in London das erste Eidophusikon, einen der Vorläufer des
Kinos. Eine Guckkastenbühne, auf der durch bewegliche Kulissen, Licht
und Schalleffekte ein lebendiges Bild entstand (empfindsame Damen
sollen bei Blitz und Donner in Ohnmacht gefallen sein).
2004,
rund 225 Jahre später, rekonstruierte Poulter für das Altonaer Museum
das erste, Loutherbourg möglichst historisch getreu
nachempfundene Eidophusikon.
Und nun 10 Jahre später, Dortmund. Ein
Stück ohne Worte aber mit wunderbaren Klang- malereien. Ein
Großgrundbesitzer vertreibt ein junges Bauernpaar von seiner Scholle.
Mittellos ziehen sie durch die Idylle und landen in der grellen,
feuerspeienden, rauchgeschwängerten, von Dampfhämmern dröhnenden Hölle
der Industrialisierung...
Die Begeisterung und der Andrang sind
so groß, dass es eine dreifache Uraufführung wird. „Wirklich eine
unserer Attraktionen“, sagt strahlend der verantwortliche Kurator Dr.
Schinkel.
Wirklich, nicht allein das
Eidophusikon lohnt eine Reise nach Dortmund. „Über Unterwelten“ bietet
eine Fülle von sehenswerten, ja, vielleicht s o nie
gesehenen Dingen. Die Ausstellung auf der Zeche Zollern läuft noch bis
zum 2. November dieses Jahres. Das Eidophusikon wird jeden Sonntag
bespielt (vielleicht auch öfter), jedenfalls empfiehlt es sich, Karten
vorzubestellen Tel. 0231 6961-176, E-Mail unterwelten-projekt@lwl.org
Die Fünf Mitglieder des Fördervereins des
Museums mit Teilen der Kulissen, mit denen sie das Eidophusikon bewegen.
Jede Vorstellung braucht 12 Minuten äussester Konzentration.
(Copyright Bild: Stephan Schütze)
Das PapierTheater Nr.36
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April 2014
Projekte in Büchereien
Noch ein „Fernseher
ohne Strom“ ...
von Uwe Warrach
Theaterstunde in der Gemeindebücherei
In unserer Zeitschrift PAPIERTHEATER (Nrn. 24 und 25 von Mai/September
2003 )sowie in unserer Zeitung DAS PAPIERTHEATER (Printausgabe Nr. 13/
Dezember 2012 und Webseite Nr. 32/ August 2013) haben wir über das
japanische Kamishibai (wörtlich übersetzt: „Papier-Theater“)
berichtet. Horst Römer schilderte 2003 in einem längeren Essay mit dem
Titel „Die Pilgerreise nach Osten“ die Historie, Iris Förster 2012
einen Kamishibai - workshop in der Stadtbücherei Waiblingen.
Gegenwärtig sind Stadt-und Gemeindebüchereien sehr aktiv auf diesem
Gebiet und ermöglichen es und ermuntern Kindergärten und Schulen, hier
pädagogisch, namentlich im Sinne der Sprach- und Sprechausbildung, auf
spielerische Weise tätig zu werden.
Wie
Horst Römer berichtete, hat Kamishibai eine lange Vorgeschichte in der
japanischen Theater- und Papiertradition. Iris Förster, Verlegerin in
Waiblingen und von dort her mit dem Papiertheater vertraut, wurde durch
ihre Stadtbibliothek auf Kamishibai aufmerksam gemacht und hat in ihrem
Beitrag die jetzige Form kurz erklärt:
Kamishibai ist ein populäres Erzähltheater der japanischen
Vorkriegszeit. Die Vorführer erzählen kurze Texte zu wechselnden
Bildern, die in einen bühnenähnlichen Rahmen geschoben werden. Die
Texte und Bilder werden eigens für diese Erzählform erarbeitet und
dienen heute z.T. als Vorlagen für die berühmten japanischen
Comics.
Entstanden ist diese Form des
öffentlichen Theaters zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Süßigkeitenverkäufer fuhren mit dem Fahrrad durch die Dörfer und
Städte. Auf dem Gepäckträger war ein Holzrahmen befestigt, in den er
die Geschichtstafeln einlegte, während er seine Geschichten vortrug.
Die Vorstellungen waren kostenlos, den Unterhalt verdiente sich der
Erzähler mit dem Verkauf von Süßigkeiten.
Aber eben nicht nur die Stadtbücherei
Waiblingen ist hier aktiv, auch die Gemeindebüchereien in
Schleswig-Holstein, Baden Württemberg und wohl auch anderswo pflegen
dieses sich neuerdings verbreitende und sich großer Beliebtheit bei
Kindern und Senioren (!) erfreuende Medium, von dem ein Kind sagte:
„Kamishibai ist wie Fernsehen ohne Strom – nur viel schöner.“
Wie sieht denn so ein Fernseher ohne
Strom heute konkret aus? Susanne Brandt, Bibliothekarin und
Lektorin bei der Büchereizentrale in Schleswig-Holstein und die
Geschichtenerzählerin Helga Gruschka beschreiben es in ihrem Buch „Mein
Kamishibai – Das Praxisbuch zum Erzähltheater“*) als ein Erzähltheater:
ein Wechselrahmen mit Türen davor, der oben geöffnet ist und zwischen
den Leisten so viel Platz bietet, dass mehrere Bilder als Stapel hinein
gestellt, im Rahmen betrachtet und nacheinander wieder heraus gezogen
werden können. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer und Zuschauer wird so auf
den bildlich dargestellten Kern der gesprochenen Worte gelenkt.
Die Autorinnen sehen Kamishibai für
Kinder vor allem als Möglichkeit der Sprachentwicklung. In ihrem Buch
beschreiben sie die Erzählstufen für Krippenkinder, Kindergartenkinder,
Vorschulkinder und Schulanfänger sowie Grundschulkinder. Am Ende steht
auch der Einsatz von Figuren, die auf den Bildvorlagen befestigt werden
können – also noch ein Schritt näher zum europäischen Papiertheater.
Das Buch richtet sich an Pädagog/innen Eltern und Großeltern, die
in ihrem Alltag mit Kindern von 2 bis 10 Jahren deren Freude am
Sprechen, die Kraft der inneren Bilder und die Lust an schöpferischer
Fantasie wecken und anregen möchten.
Das geht am Beispiel der
„Reihengeschichten“ mit Kindergartenkindern so vor sich: Ein Bild zeigt
eine Kuh auf einer Wiese. Es wird gefragt, wie die Kuh heiße und was
sie sich wünsche. Die Kinder meinen: eine Banane. Nun wird gemeinsam
eine Figur ausgesucht, die den Wunsch der Kuh befördert. Das soll eine
Maus sein, ihr Bild wird auf den Hintergrund geklebt. Ein Kind
übernimmt nun die Rolle der Kuh: „Hallo Maus, muh muh, kannst du mir
eine Banane geben?“ Das Maus-Kind erwidert: „Nein, ich muss jetzt in
die Schule.“ So geht es weiter mit anderen Tieren, am Ende zeigt eines
den Weg zum Bananenbaum, und die Kuh freut und bedankt sich.
Berichte aus der Praxis schildern die
große Begeisterung der Kinder; voller Vorfreude erwarten sie die
Geschichtenerzähler/innen und sind sehr bei der Sache. Ihre Mitwirkung
löst sozusagen ihre Zungen, und sie entwickeln eigene Ideen, am Ende
eigene Geschichten.
Und auch wenn man über die
verwandtschaftlichen Beziehungen zum europäischen Papiertheater
streiten mag – Papier, Bilder, Geschichten, Zuschauer hat es auch, und
in einer Phase, da unser Papiertheater wie in Preetz sichtbar neue Wege
sucht und geht, lenkt es den Blick des Erwachsenen auf die Herkunft des
Kamishibai, das japanische Kabuki-Theater und damit auf einen fremden,
sich uns so annähernden Kulturkreis. Da treffen die Kamshibai-Leute
Walter Röhler, den unumstrittenen Experten auf dem Gebiet des
klassischen Papiertheaters, der 1963 schrieb: Um aber dem Kleintheater
seine einstige Verbreitung und Beliebtheit wiederzugewinnen, bedarf es
einer sich weiterentwickelnden, zeitgemäßen Aktualität, sowohl in der
Bühnentechnik wie in Repertoire und Ausstattung. Da kommen doch weniger
bekannte, aber höchst lebendige Formen doch gerade recht.
*)Don Bosco Verlag 2012, 2013; ISBN 978-3-7698-2068-3;