Das PapierTheater Nr.38
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August 2014
PAPIERTHEATERFESTIVAL
Die Ersten Wolgaster Papiertheatertage vom 1. - 3. August 2014
Die Bilder in diesem Beitrag stellen eine Auswahl der AuffÜhrungsorte vor
Ein neues Festival: Papiertheatertage in Wolgast
Die erste Veranstaltung vom 1. bis 3. August war ein voller Erfolg, wie
die Ostseezeitung gleich am 4. August meldete (siehe unter „Aktuell“).
Die Nummerierung verrät die Absicht, weitere Termine folgen zu lassen,
umso mehr, als das erste Unternehmen bei Gästen und Spieler/innen
offenbar sehr gut ankam.
In der Folge berichten wir gerne weiter und ermuntern die
Besucher/innen: Schreibt doch, was Ihr erlebt habt. Und schickt Bilder,
wenn Ihr fotografiert habt.
Den Anfang macht Martin Haase mit seinem Beitrag über zwei Debütantinnen.
Der „Holländer“ in Wolgast
von Martin Haase
Bei den Wolgaster Papiertheatertagen vom 1.-3. August 2014 debütierte
„Fabula's Papiertheater“ mit dem „Fliegenden Holländer“. Brigitte
Lehnberg und Susanne Schuchardt hatten sich (als ihr erstes Stück
überhaupt!) die alte Geschichte vom verfluchten Seemann vorgenommen,
der alle sieben Jahre an Land kommt, um eine Frau zu finden, die ihn
erlöst. Das Fazit gleich vorweg: es war eine herrliche Aufführung mit
vielen Überraschungen!
Der fliegende Holländer
Die Idee der Veranstalter, das Seefahrer-Melodram an Bord eines
Schiffes im Wolgaster Hafen aufführen zu lassen, war gut, erwies sich
aber als unerwartet tückisch. Denn das Schiff hatte sich in der prallen
Sonne dermaßen aufgeheizt, dass unter Deck Temperaturen von weit über
30 Grad herrschten. In diesem „Backofen“ und in bedrückender Enge
Papiertheater zu spielen, war schon eine extreme Zumutung für die
beiden Spielerinnen. Trotzdem hielten sie durch – wenn auch
schweißgebadet. Und welch ein Glück! Denn sonst wäre dem Publikum ein
ganz besonderes Vergnügen entgangen.
Nun aber genug der Vorrede! Vorhang auf! - Man reibt sich die Augen,
denn das stürmische Meer ist so überzeugend dargestellt, dass es fast
aus der Bühne heraus schwappt. Die Wellen brechen sich mit lautem
Getöse; wechselnde Lichtfarben machen das Ganze noch lebendiger. Das
Schiff des Holländers ist in Seenot – alle Mann gehen über Bord!
Zuletzt ragen nur noch die Hände der Ertrinkenden aus den eiskalten
Fluten. Das Entsetzen löst sich auf, als Hans Albers und Heinz Rühmann
ihren unverwüstlichen Schlager schmettern: „Das kann doch einen Seemann
nicht erschüttern!“ Herrlich, diese Wendung ins Ironische – die
Zuschauer grinsen, manche singen sogar mit. Dann jedoch ertönt wieder
die gruselige Stimme des Holländers – von Susanne Schuchardt in die
„Donnertrommel“ gesprochen. Und man freut sich darüber, dass diese Oper
diesmal nicht so ernst und schwermütig daherkommt, sondern leicht und
witzig und originell.
Dem Zuschauer bleibt das melodramatische Ende des Originals
(glücklicherweise) erspart: der Holländer und seine Braut versinken
nicht
bei Glockengeläut in den Fluten des Meeres, sondern er steht als
Gondoliere im Kahn und genießt mit seiner angebeteten Senta die
herrliche Bootspartie. Mit dieser wunderbaren Schattenspielszene endet
die Aufführung.
Man kann Brigitte Lehnberg und Susanne Schuchardt nur gratulieren zu
ihrem Erstlingswerk und freut sich insgeheim schon auf das nächste
Stück der beiden!
Trotz besten Strandwetters und umfangreichen Verkehrsstaus...
Ein Rückblick auf die ersten Wolgaster Papiertheatertage
Text und Foto von Brigitte und Lothar Rohde
Unsere Sommerferien verbrachten wir dieses Jahr wieder
einmal auf der Ostsseeinsel Usedom. Was lag näher, als an unsere
sonnigwarmen Strandtage den Besuch der ersten Papiertheatertage im
benachbarten Wolgast anzuschließen.
das alte Rathaus
In Vorfreude auf die Aufführungen und die Gespräche rund ums
Papiertheater, die Begegnungen mit uns bekannten Spielern und
Besuchern, gelangten wir in die Stadt am Peenestrom. Wolgast begrüßte
uns mit einem großen Papiertheatertransparent am Giebel des
historischen Rathauses (siehe Foto). Durch Schaufensterauslagen und
zahlreiche Plakate wurde die kleine Stadt für ein Wochenende
Papiertheaterstadt.
Hinter der Bühne der Familie Ruf
Foto: D. Kroll
Der engagierten Initiative von Robert Jährig (Papiertheater
Heringsdorf) und der Unterstützung durch viele helfende Köpfe und Hände
unter der organisatorischen Leitung von Frau Gisela Kretschmer vom
Förderverein für Kultur, Kunst und Bildung in Wolgast ist es zu
verdanken, dass 13 Bühnen aus Deutschland, Holland und Dänemark
an mit gutem Gespür ausgewählten Spielorten ihre Stücke präsentieren
konnten.
So fand z.B. Der fliegende Holländer auf einem Schiff, wenn auch unter
beengten Verhältnissen, seinen ihm gebührenden Aufführungsort.
Das Programm spannte den Bogen von der Oper über selbst geschriebene
Stücke bis zum Märchen. Schön, dass unter den Besuchern auch Kinder
waren, die darüber hinaus auch Gefallen an einem Workshop von Benno
Mitschka fanden.
Neben Preetz-erfahrenen Spielern zeigten sich neue Bühnen mit
ihren bemerkenswerten Produktionen erstmals einer größeren
Öffentlichkeit. Dabei wurden neben der klassischen
Papierkulissentechnik auch Beamer unterstützte Bühnenbilder eingesetzt.
Besonders erfreulich ist es, mitzuerleben, wenn sich Stücke, die in
Preetz ihre erfolgreiche Premiere hatten, durch spätere Aufführungen,
wie hier in Wolgast geschehen, eine noch perfektere Präsenz in
Spieltechnik und Sprachgestaltung erfahren.
Organisatoren im Gespräch
Foto: Kulturverein
Trotz besten Strandwetters und umfangreichen Verkehrsstaus, fanden an
diesem Wochenende zunehmend auch Zuschauer, die nie zuvor etwas vom
Papiertheater gehört hatten, Gefallen an den Aufführungen. Ein
Papiertheaterneugieriger segelte sogar extra mit seinem Schiff
von der Insel Rügen nach Wolgast.
BegrÜssung der Gäste bei der ersten aufführung duch Frau gisela Kretschmer
Foto: Kulturverein
Die Spieler hatten im Postel (einem Hostel in der ehemaligen Post)
ihren Treffpunkt und bei Bedarf auch ihre Unterbringung, was zu einem
regen Miteinander einlud.
Sicherlich werden die Organisatoren nach den gelungenen
Veranstaltungen auch Erfahrungen gemacht haben, was anders gestaltet
werden kann.
Insgesamt möchten wir zum Gelungenen gratulieren und uns eine Fortsetzung wünschen.
Möglicherweise wird sich in Wolgast im 2 Jahresrhythmus für
Papiertheaterspieler, neben Preetz mit seinen Premieren, im großen
Rahmen eine weitere Möglichkeit bieten, sich zu präsentieren.
Christina Siegfried vom Paperback Papiertheater
Foto: Kulturverein
GenovevA
Foto: Kulturverein
Hanauer Papiertheater
Foto: D. Kroll
Zauberflöte feiert Premiere in Wolgast
von Joachim Rüeck
Eine aufwendige Inszenierung der „Zauberflöte“ durch Multum in Parvo
erlebten die Gäste beim Papiertheaterfestival in Wolgast. Die
Papiertheaterbühne aus Mering präsentierte Mozarts Singspiel als
gelungene Kombination von Altem und Neuem, als traditionelles
Gassentheater mit moderner Technik: farblich aufgefrischte Kulissen und
projizierte Hintergründe, die Figurenführung sowohl mit klassischen
Schiebern als auch mit Animationen. So konnte die Königin der Nacht
schwerelos vom Himmel schweben, und die drei Knaben kamen mit einem
Heißluftballon angeflogen.
Benno Mitschka setzt bei seiner Inszenierung nicht auf die Kulissen
eines einzigen Papiertheater-Verlages, sondern fügt Bühnenbilder und
Figuren der Verlage Scholz, Trensentsky, Schreiber und Chroust auf eine
organische Weise zu einem Gesamtkunstwerk zusammen. Die Kulissenwechsel
folgen dabei in Sekundenschnelle aufeinander. Denn alle zwölf Bilder
der Zauberflöte hängen im Schnürboden des von Mitschka selbst gebauten
Theaters, sodass der Bühnenbildwechsel mit zwei simplen Handgriffen
möglich ist.
Ansonsten wäre die Koordination der Figuren kaum zu bewältigen:
Insgesamt 94 Figuren müssen während der Aufführung auf- und abtreten
sowie bewegt werden. Dies erfordert eine punktgenaue Absprache der
beiden Spieler Benno Mitschka und Christine Schenk.
Zum Spektakel machte die 62-minütige Premiere der filmisch wirkende
Lichteinsatz – eine Leidenschaft Mitschkas, der dabei seine
umfangreiche Erfahrung als Filmausstatter einbringt.
Das Multum-in-Parvo-Team gewährte seinen Gästen in Wolgast nach der
Aufführung gerne noch einen Blick hinter die Kulissen, damit es den
aufwendigen Theaterbau und die eingesetzte technische Ausstattung
bestaunen konnte.
Mit der „Zauberflöte“ wird bald auch das kleinste Opernhaus
Deutschlands eröffnet – am 5. September 2014 in den Räumen von Multum
in Parvo in Mering. Auf dem Spielplan stehen in diesem Jahr außerdem
noch die Opern „Der Freischütz“ sowie „Hänsel und Gretel“. Künftig sind
vier Opernpremieren im Jahr geplant. Die beiden Macher versprechen
dabei noch so manchen Paukenschlag.
Papiertheater-Workshop für die ganze Familie
von Joachim Rüeck
Papiertheater-Basics und „Hänsel und Gretel“ zum Selberbasteln: Kinder,
Eltern und andere Erwachsene nahmen beim Papiertheaterfestival in
Wolgast mit Freude an einem dreistündigen Workshop von Multum in Parvo
teil.
Benno Mitschka und Christine Schenk zeigten die einzelnen Bühnenbilder
der „Zauberflöte“ aus der Perspektive der Zuschauer und aus dem
Blickwinkel der Papiertheater-Spieler. Die Demonstration der
Spezialeffekte sorgte bei den kleinen Kursteilnehmern für besonders
große Begeisterung, weil sie auch selbst auf den Auslöser für die
Explosion drücken durften.
Dazu gab es nicht nur jede Menge Informationen zur Geschichte des
Papiertheaters, seiner gesellschaftlichen und technischen Entwicklung,
sondern auch eine Bühne zum Selberbauen. Jeder bekam ein umfangreiches
Bastelpaket inklusive Theater, Vorhang, Kulissen, Figurenschiebern und
einer Bauanleitung. Eine Teilnehmerin zeigte sich äußerst erstaunt über
das üppige Set und meinte: „Für die Kursgebühren hätte ich allenfalls
einen Schuhkarton erwartet.“
Alle waren mit großem Eifer bei der Sache und freuen sich schon sehr
auf ihre persönliche Papiertheaterpremiere – daheim oder auch im
Kindergarten.
pAPIRNIKS pAPIERTHEATER
Foto: Kulturverein
Foto: Kulturverein
Foto: Kulturverein
Eindrücke von den Ersten Wolgaster Papiertheatertagen
von Horst Römer
Das Erste, das man von Wolgast schon vor dem Ortsschild wahrnimmt, ist
ein Stau. Er zieht sich bis zur Penebrücke hin, die zur Insel Usedom
führt. Die Autoschlange verdankt sich den zahlreichen Inselbesuchern
und der Tatsache, dass die Brücke eine Klappbrücke ist, die von Zeit
zur Zeit hochgeklappt wird. In einigen Jahren soll ein neuer Übergang
gebaut werden. Bis dahin muss man als Papiertheaterbesucher oder
Spieler noch etwas Geduld mitbringen und für die Anreise eine gute
Stunde mehr einplanen. Um so größer ist aber die Freude, wenn man nach
der Ankunft entdeckt, dass links und rechts des Staus eine liebenswerte
Kleinstadt liegt mit Fachwerkhäusern, Gassen, einem wunderschönen
Rathaus und einem Marktplatz, der von Restaurants und Cafés gesäumt
ist. Eine wunderbare Kulisse für ein Papiertheaterfestival! Die
Spielorte befinden sich stilecht in alten Gemäuern und auf einem Schiff
und erweisen sich fast alle als theatertauglich: eine alte Post zum
Hostel umgebaut, ein Museum, ein Café, das historische Rathaus, eine
Mühle, ein Kornspeicher, eine Galerie…
zUSCHAUER BEI DER pREMIERE DER sCHATZINSEL UND DER mÜHLE AM pASCHENBERG
Foto: Kulturverein
Organisiert wurde das Festival von Robert Jährig und dem Förderverein
für Kunst, Kultur und Bildung Wolgast e.V., der Stadt Wolgast und den
Städtischen Museen Wolgast. Die Besitzer der Räume haben die Spieler
freundlich unterstützt und vor Ort für einen reibungslosen Ablauf
gesorgt. An Sponsoren hat es nicht gefehlt: die Stadt, die Sparkasse
Vorpommern, das Forum Papiertheater, das Papiertheater Heringsdorf und
das Multum in Parvum Papiertheater. Natürlich kann man jede
Organisation noch verbessern, das gilt auch für die Wolgaster
Papiertheatertage, aber was dazu anzumerken ist, wurde oder wird noch
dem Initiator Robert Jährig mitgeteilt. Wir können uns getrost weiteren
positiven Seiten zuwenden.
bEGRÜSSUNG DER zUSCHAUER BEI DER pREMIERE DER sCHATZINSEL
Foto: Kulturverein
Neben der entspannten Atmosphäre und den schönen Örtlichkeiten fiel uns
die professionelle Werbung auf. Außer den zahlreichen und nicht zu
übersehenden Bannern und Plakaten entdeckte man, dass auch die
Buchhandlung Bühnen und Figuren ausgestellt hatte. Die Spielstätten
lagen eng beieinander, waren leicht zu erreichen, der Zeitplan war so
gestaltet, dass man auch als Spieler Gelegenheit hatte, Kolleginnen und
Kollegen zu besuchen. Die Verpflegung für die Artisten fand zentral
statt, so dass alle zusammenkamen. Der „kommunikative“ Marktplatz wurde
schon erwähnt. Man konnte alte Bekannte begrüßen und neue kennenlernen
– zählen wir alle Bühnen und Stücke auf: Vischmarkt Papierentheater
(„Land ohne Musik“), Papirniks Papiertheater („Der Freischütz“),
Svalegangens Dukketeater („Ehrengard“), Paperback Papiertheater
(„Genoveva“), Invisius („Von den Fischer un sine Frau“), Fabulas
Papiertheater („Bimbo und sein Vogel“ und „Der fliegende Holländer“),
Hanauer Papiertheater („Hänsel und Gretel auf Hessisch“), Papiertheater
am Ring („Martha oder der Markt zu Richmond“), Multum in Parvo
Papiertheater („Zauberflöte“), Haases Papiertheater („Vom Zauber des
Rheins“), Papiertheater Heringsdorf („Die Schatzinsel“), Thalia Theater
(„Die Hosen des Herrn Bredow“), Römers Privattheater („Das Magische
Theater“).
Und nun zur Gretchenfrage: Wie waren die Besucherzahlen? Es gab gut
besuchte Veranstaltungen und weniger gut besuchte. Insgesamt war es für
das erste Mal in Ordnung. Man hätte sich mehr gewünscht, konnte es aber
realistischerweise nicht erwarten. Wie immer waren die „Erstkontakter“
mit dem Papiertheater von ihm fasziniert und werden ihre Begeisterung
weitergeben. Auf jeden Fall sollte man das Projekt fortführen, es hat
eine Chance verdient. Robert Jährig vertritt ein vernünftiges Konzept.
Die Papiertheatertage werden alle zwei Jahre stattfinden, sich eher im
nationalen Rahmen bewegen und Neulingen die Gelegenheit zu ersten
öffentlichen Auftritten bieten. Wir jedenfalls freuen uns auf das
nächste Mal und werden dann sicherlich an allen drei Tagen spielen
können (diesmal war die Zeit etwas knapp), uns die „Anderen“ anschauen,
die Gaststätten rund um den Marktplatz ausprobieren und dabei
fachsimpeln.
DER FLIEGENDE hOLLÄNDER AUF DEM FÄHRSCHIFF sTRALSUND
Foto: Kulturverein
Foto: Kulturverein
bLICK HINTER DIE KULISSEN
Foto: Kulturverein
pER BRINK ABRAHAMSEN
Foto: Kulturverein
Betrachtungen eines „Stock- Konservativen“...
... geäußert angesichts der Wolgaster Papiertheatertage
von Klaus Loose
In Wolgast ging es vor allem darum, das historische Papiertheater
wieder in die Familien zu bringen. Dies zu vermitteln und zugleich
vorzuspielen, "wie man�s macht", ist dort sehr gut gelungen.
Jeder mit kulturellem Interesse weiß in Deutschland, was unser
„Regie“-Theater dem Zuschauer zu bieten hat. Wollen Sie
vielleicht damit Ihren Kindern etwa Schillers "Wilhelm Tell" näher
bringen? Tell im Landrover mit Wumme auf dem Schoß und Neusprech im
Mund? Na also! Was ist es für ein beglückendes Erlebnis, gemeinsam die
Kulissen und Figuren aufzukleben und sauber auszuschneiden, bis es
schließlich vor einem steht und nach und nach das ganze Stück auf diese
Weise erst einmal optisch fassbar wird. Und wenn�s dann zur Vorstellung
kommt! Man kann Freunde, Nachbarn, Kollegen einladen — das ist für die
Erziehung und das soziale Leben viel mehr wert, als wenn Mama den
Sohnematz mit dem Zweitwagen wochenlang zu einem "Kreativ- Projekt"
namens "wir machen Theater" fährt.
Peggy und Lutz Reinhold Thalia Papiertheater
Foto: D. Kroll
Wer das historische Papiertheater pflegen will, soll vor allem
bedenken, wer auf dem Gebiet des Theaters der "Kreative" ist. Eben
nicht der Regisseur, der uns Zeitgenossen eines “ganz neuen"
Zeitalters dank seiner eigenen Erleuchtung erklären will, wie wir die
gutgemeinten Ideen des Autors h e u t e auszulegen haben (und
deshalb - etwa hier in Coburg - Lohengrin in einer riesigen Kanzlei mit
Regalwänden voller Kartons mit Akten aufführt). Der Kreative ist
nämlich der Autor, und dessen sind sich auch die wahrhaft großen
Theaterleute immer bewusst gewesen. So sollten auch wir
Papiertheaterspieler ganz gezielt und mit voller Absicht mit den
vollendet schönen Kostümen und Dekorationen umgehen. Theater machen, ob
groß oder en miniature, ist Handwerk, Handwerk, Handwerk.
Genieren Sie, verehrter Leser, sich nicht, als konservativ
eingestuft zu werden. Die großen Werke haben ihrer Größe halber Bestand
und brauchen keine intellektuelle Durchleuchtung, denn die Menschen
haben sich innerlich nicht verändert, sondern werden von außen
manipuliert. An Kindern lässt sich das erkennen. Vor der Mitte des 19.
Jahrhunderts gab es ein besonderes kindliches Theater gar nicht. Das
Repertoire war im wandernden Marionettentheater das gleiche wie bei
wandernden Theatergesellschaften und den festen Bühnen. Die Kinder
wurden einfach mitgenommen in die Aufführungen und haben sie auch
begriffen. Deshalb wussten auch Sechsjährige, wer Wilhelm Tell ist und
drängten später die Eltern, sie doch auch woanders mitzunehmen. Die
gehobene Sprache (die auch nicht zum "Neusprech" wurde, als um 1850
Verlage speziell kindliche Stoffe wie z.B. Schreiber in Esslingen in
den Vordergrund stellten) deuten die Kinder für sich aus der Handlung
ganz richtig und merken dabei nicht, dass ihnen nebenbei ein ganz
kleines Stück Bildung vermittelt wird.
Schatzinsel
Foto: D. Kroll
Vorsichtig sei man auch mit technischen Entwicklungen, die erst lange
nach unseren Dekorationen entstanden sind. Natürlich ist es sinnvoll,
elektrisches Licht statt Kerzen oder Petroleumlichter zu benutzen — es
lässt sich 1000 mal leichter regeln. Nur muss es sich auch problemlos
regeln lassen! Irgendwo sah ich in Wolgast bewundernswert kleine,
LED-artige Birnchen, die sich sogar in der eigenen Farbigkeit regeln
ließen, also einmal rot, einmal hell oder blau leuchteten — praktisch
wie eine Vierfarbenbeleuchtung, die man bei unserem historischen
Kulissensystem als Allgemeinlicht hinter jeder Gasse und als
Oberlichter statt großer Lampen sehr gut anwenden kann. Doch wehe, wenn
die sich nicht ganz, ganz fein regeln lassen.
Die Universal-Oberlichter, die ich in Wolgast sah und die mich so stark
beeindruckten, schienen per Knopfdruck zu regeln gewesen sein. Wehe,
wenn man bei so etwas eine Viertelsekunde zu lange drückt... Doch damit
muss der Einzelne fertig werden. Aber ich sah auch etwas ganz Modernes,
einen Beamer. Er hatte den Zweck, eine große Tiefe optisch zu erzeugen.
Das hat er leider nicht geschafft. Seine Projektion (von hinten wohl)
war gestochen scharf und sehr hell, viel heller als im vorderen Drittel
der Bühne die Figuren agierten. Das hatte leider einen großen
Nachteil: wird es im Theater zu duster, so nimmt die Aufmerksamkeit der
Zuschauer ab! Es ist ein Kardinalfehler moderner Regisseure, Nacht
dunkel zu machen — sie sei blau; dass dies "dunkel" sei, ergänzt der
Zuschauer in seinem Unterbewusstsein. Vorne, wo gespielt wurde und etwa
zwei Gassen tief, vielleicht auch drei, wo richtig farbige Kulissen und
Soffitten waren, war es ganz einfach "zu dunkel", und zwar keineswegs
nur für Nacht-Szenen. Man muss sehr exakt prüfen, was sich von
der allerneuesten Technik eignet.
bEGRÜSSUNG BEI DER ERSTEN vORSTELLUNG
Foto: Kulturverein
Einmal sah ich einen Hohlhorizont. Der ist zwar auch ein nicht exakt
„zeitentsprechendes Mittel“ im Verhältnis zum historischen
Papiertheater (der Rundhorizont wurde erst im Anfang des 20.
Jahrhunderts im Theater populär) und dient zur Erzeugung großer Tiefe:
Und diese Aufgabe erfüllt er auch auf unserer Papierbühne ausgezeichnet!
Noch etwas zur Beleuchtung: hüten Sie sich vor Spielereien mit dem
Licht! Das Theater von heute meint oft, man müsse das Bemühen etwa des
Komponisten unterstützen, indem man eine Szene oder eine Arie mit
Beleuchtungsänderungen unterstreicht, sei es verinnerlicht oder
aufgewühlt durch Lichtschwankungen in Intensität oder gar Farbe
"bereichert". Es ist der größte Unsinn, den man auf diesem Gebiet
anstellen kann. Lässt der Autor etwas in der Dämmerung stattfinden,
dann findet es auf der Bühne eben in der Dämmerung statt und bedarf
keiner beleuchtungstechnischen "Untermalung". Wenn es dessen je bedurft
hätte, wäre es längst von den Spielplänen verschwunden!
Aufführung der Martha
Foto: D. Kroll
Und wie bewegt man Figurinen auf der Bühne? Als ich als Kind anfing,
führte man sie an einem steifen Draht von oben. Erst viel später lernte
ich, dass man das wohl nur in Deutschland so machte, anderswo, in
Dänemark und in England, führte man die Figuren von der Seite. In
Wolgast habe ich nur eine Bühne gesehen, wo man von oben führte. Das
ist nicht nur anstrengend, sondern es bringt die Figur (wie zu erleben
war) mitunter zum Wackeln und Schwanken.
Vorsicht, größte Vorsicht ist bei heftigen Bewegungen angebracht. Eine
Figur im Gespräch bewegt sich nur um Millimeter hin und her, damit so
eine Szene nicht zum Gezappel wird. Es sind mir in Wolgast drei Bühnen
aufgefallen, die das aus dem ff beherrscht haben.
Wie geht man vor, wenn zwei Figuren im Dialog die gleiche
Blickrichtung haben, etwa beide den Blick nach links richten?
Einmal habe ich in Wolgast einen Lösungsversuch gesehen, der Unruhe
brachte. Die betroffene Figur, rückseitig spiegelgleich beklebt, drehte
sich bei Bedarf um und schaute nun den Partner an. Das sollte nicht zu
oft in einer Szene realisiert werden. Denn das Resultat war, dass oft
schon beim Umdrehen gesprochen wurde. Dazu noch auf ein starkes Material von
4 oder 5 mm geklebt, wirken Figuren auf der Bühne nur , wenn man sie
parallel zur Rampe sieht.
Haben Sie als Stock-Konservativer (zu diesem" Ehrentitel" habe ich es
kürzlich in einer Buchrezension gebracht, und ich bin sogar wirklich
stolz darauf) keine Angst
vor
der S p r a c h e. Ein Marionettenspieler vertrat mir gegenüber die
Ansicht, nur so was wie "Neusprech" wollten die Kinder von heute sehen,
das "Alte" und „Uncoole“ langweile sie nur. Ein Kinderstück aus unserem
Repertoire mit einem Text von etwa 1910 habe ich 44 Jahre lang jedes
Jahr zu Weihnachten eingeschoben und nicht den allerkleinsten Flop
damit erlebt, sondern nur volle Häuser mit begeisterten Zuschauern — ob
jung, ob alt. Der Verstand des Kindes muss Wörter wie Etikette,
Exzellenz oder Majestät nicht kennen, im Zusammenhang erlebt es die
Geschichte voll und ganz. Und den modernen Eltern ("super", "echt
OK") geht es genau so.
Im Gespräch kamen wir in Wolgast auch auf die Pausen. Soll
man die nicht tunlichst mit Hintergrundmusik ausfüllen, wenn nun mal
umgebaut werden m u s s ? Ich schließe mich da der Dame an, die
mit aller Entschiedenheit NEIN und drei mal NEIN sagte. Das Theater
braucht die Pausen, denn da wird der Spannungsbogen verarbeitet. Statt
solcher Untermalung wie im Supermarkt ist die Stille ein Geschenk, das
viele gar nicht mehr kennen. Das ist zwar auch "konservativ", aber es
ist gut für's Publikum.