Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
ein trauriges Ereignis für alle Papiertheaterinteressierte beschloss
das Jahr 2014: Norbert Neumann ist tot. Er starb am 22.Dezember letzten
Jahres.
Uwe Warrach berichtet von den letzten Gesprächen mit ihm.
Eine prall gefüllte Webzeitung kann diesmal präsentiert werden,
Berichte aus Hamburg, Kopenhaben, Preetz und Barcelona zeigen, dass
Papiertheater in vielen Städten beheimatet ist. Hans Ahrens, Iris
Förster und Uwe Warrach waren unterwegs und gehen mit uns auf
Entdeckungsreise.
Auch schon vor 32 Jahren wurde vom Papiertheater berichtet, Ursula Amtrup erinnert sich.
Ein Bericht über Dr. Hans Wiesecke von Christian Reuter rundet diese Ausgabe ab.
(mf)
INHALT – Nr. 40 – Februar 2015
Letzte Gespräche mit Norbert
von Uwe Warrach
Seite 2
Wunder, die auf Dachböden liegen
von Uwe Warrach
Seite 3
Ein Papiertheaterschiff mit 100 Besuchern
von Hans Ahrens Seite 4
Dr. Hans Wiesecke - ein unbekannter bekannter Spieler
von Christian Reuter Seite
5
Vor 32 Jahren Papiertheater bei Radio Bremen
von Ursula Amtrup Seite 6
Papiertheater zum Anfassen - das Theatermuseum im Hoftheater Kopenhagen von Uwe Warrach Seite 7
Die Sammelwut des Frederic Marès
von Iris Förster Seite 8
alle Ausgaben
Das PapierTheater Nr.40
SEITE 2
Februar 2015
Erinnerung
Letzte Gespräche mit Norbert
von Uwe Warrach
Er wusste, dass es sein letzter Sommer
sein würde, trotzdem war er bis zum Schluss voll bei unserer Sache. Im
vergangenen Winter, als die 1. Wolgaster Papiertheatertage sichtbar
Formen annahmen und hier und da skeptisch beäugt wurden und das Thema
im Diskussionsforum seltsame Blüten trieb, riet er, es dennoch ebenso
freundlich wie kritisch zu begleiten. „Wollen wir hinfahren?“ überlegte
er. Denn er sah darin eine Chance für sein letztes großes Thema: „Die
Renaissance des Papiertheaters“.
Eine lange geplante und gebuchte Reise
zu einer Buchdruckkunst-Tagung nach Italien musste er aber schon Anfang
des Jahres schweren Herzens aufgeben.
Er sorgte sich um sein Lebenswerk:
sein großes Archiv und die Bühnen. Sein Arbeitszimmer war hoch genug,
dass sie sich übereinander türmen konnten, gegenüber den Regalen voller
Ordner, Kästen, Bücher: Papiertheater, Papiertheater. Allerdings
reichte der Platz hier nicht ganz, weitere Bühnen standen in Vitrinen
im Wohnzimmer, wo noch viel mehr Bücher die Wände bis zur Zimmerdecke
des Winterhuder Altbaues bedeckten. Die oberen Ebenen nur per Leiter
erreichbar. Wer das liebt, fühlte sich in Norberts Wohnung wohl und von
guten Dingen umgeben. Nebenbei freundlichst bewirtet. Am frühen
Nachmittag gab es Tee und Gebäck, ab 17 Uhr Whisky.
Seine größte Sorge: Wohin mit all den
Sammlungen, wenn er mal nicht mehr wäre? „Ich habe volles Verständnis
dafür, dass Familie und Freunde daran wenig Interesse haben, aber ich
möchte nicht, dass das alles in den Müll kommt oder in den Moderkeller
irgendeines Museums.“
Dann folgten immer schlechtere
Nachrichten. „Ich lebe gern. Trotz allem.“ Das Leben nach Gaby war eben
nicht mehr halb so gut wie vorher.
„Fährst du mit nach Hanau?“ (Zur Mitgliederversammlung im Juni)
„Ich möchte, aber ich weiß nicht, ob ich es noch schaffe.“
Er schaffte es nicht. Sah bedenklich drein, als er die Geschichte von
Ted Hawkins’ „Geschenk“ hörte. Fand das Werk selbst beeindruckend,
aber: Gehöre das in „unser“ Museum? Und habe der Verein das Geld so
locker sitzen? Und keine anderen Schwerpunkte?
Die Reise zu den Wolgaster
Papiertheatertagen blieb eine Idee. Doch er nahm Anteil an den
Vorbereitungen und freute sich über den Erfolg. Ein Zeichen, dass es im
Norden einen neuen Schwerpunkt gab. Und einen engagierten Macher in dem
Veranstalter Robert Jährig.
Manchmal gingen wir zum Essen in seine
Stammkneipe aus Journalistenzeiten, im Hamburger Sprinkenhof, wo es
„die besten Bratkartoffeln Hamburgs gibt – ich liebe Bratkartoffeln mit
Spiegelei!“ Aber das Köstritzer und der Aquavit dazu schmecken nicht
mehr. Er bewertet das als „Alarmzeichen". Dessen ungeachtet:
Klönschnack über die Zukunft des Papiertheaters, seine Skepsis
gegenüber allzu theoretischen Thesen. „Ich will unterhalten werden und
mich nicht langweilen.“
Und immer wieder: Zweifel am Wirken
des Vereins. „Wir sind zu wenige auf zuviel Raum.“ Sein alter
Vorschlag: regionale „Stammtische“ gründen, als lebende Antwort an den
schwerfälligen Apparat.
Er freut sich über einen viel
versprechenden Kontakt zum Altonaer Museum für seinen Nachlass. Dessen
Direktor besucht ihn zwei Mal, zeigt Interesse, schickt
Mitarbeiterinnen zur Vorbereitung der Archivierung. Es kommt zum
notariellen Vertrag. „Das hat einen großen Druck von mir genommen.“
Im August sind wir noch mal in der Kneipe im Sprinkenhof . Ich spreche
eine etwas heikle erotische Passage in meinem Stück „Moin Moin, Herr
Hofrat“ an, das ich in Preetz aufführen will. Die Idee zu dem Stoff
hatte er mit befördert, der Titel war von ihm. Er wehrt meine Bedenken
ab: „Wir spielen für Erwachsene! Außerdem gefällt mir die Stelle
besonders“, grient er. Mag sein Pils nicht, isst nur eine Vorsuppe.
Schwäche, Probleme mit wechselnden Schmerzmitteln.
Natürlich möchte er unbedingt nach Preetz. „Das ist für mich im Alter,
was Weihnachten für das Kind war.“ Als der Termin näher rückt, ahnt er,
dass es damit nichts wird. „Nur mit Schmerzen im Pensionszimmer liegen,
das ist auch nichts.“ War sehr berührt, als er eine Riesen-Grußkarte
mit dem Foto der Preetzer Mitwirkenden bekam. „Darüber habe ich mich so
gefreut!“
Er wollte dennoch über Preetz
schreiben, Titel: „Von einem, der nicht dabei sein konnte“. Er fragte
mich: „Was meinst du, kann man das machen: Ich will mit dem Ausruf
‚Scheiße!’ beginnen?“ Danach wollte er anhand der Gespräche, die er
nach dem Treffen mit etlichen Teilnehmern gehabt hatte, daraus einen
Text machen. „Da kann ich viel deutlicher werden als sonst, schließlich
sprechen ja die anderen“, feixte er. Der Artikel sollte damit
fortfahren, dass nicht nur seine Lage ‚beschissen’ sei, ‚noch
beschissener’ sei es, nicht nach Preetz reisen zu können.
Im Oktober wollen wir den Artikel zu
Papier bringen- besser: auf Band nehmen, von dem ich es abtippen
könnte, denn selbst schreiben wurde zu anstrengend, auch mit dem neu
erworbenen Notebook. Er legt seine Notizen wieder weg. „Machen wir
nächstes Mal. – Sterben ist eine mühsame Sache.“
Im November/Dezember kommt regelmäßig
der Pflegedienst. Sein Thema lässt ihn nicht los. „Es könnte sich doch
was tun im Norden: Das Altonaer Museum als Zentrum, mit Donatha, und du
und Hans, Olaf und vielleicht Dirk und Robert Jährig könnten dort
spielen.“
Am 17. Dezember erzähle ich ihm von
Hans Ahrens’ Entdeckung und Betreuung: die erfolgreichen Aufführungen
einer Papiertheaterspielerin auf dem Hamburger „Märchenschiff“ auf der
Alster, wo bis zu 100 Kinder in einer Vorstellung zugeschaut haben.
Unglauben. „Doch, wir haben sie gezählt. Sie spielt jeden Dienstag,
insgesamt 36 Aufführungen.“ Eine neue Dimension des Papiertheaters?
„Siehst du, da tut sich was, das Papiertheater ist überhaupt nicht tot,
und schon gar nicht im Norden. Ich freue mich, dass du mir das noch
erzählt hast.“
Am 22. Dezember ist er gestorben, in aller Stille, als sein Sohn einmal kurz das Zimmer verließ.
Das PapierTheater Nr.40
SEITE 3
Februar 2015
Papiertheatermuseum
Wunder, die auf Dachböden liegen
von Uwe Warrach
hereinspaziert!
Nachdem Barbara und Dirk Reimers ihr Ladengeschäft
Pollidor’s Papier Curiosa in Preetz im Sommer 2011 aufgegeben hatten
(siehe DAS PAPIERTHEATER, WebZeitung Nr. 23/August 2011, Printausgabe
Nr. 10/Dezember 2011) ergab sich die Möglichkeit, ihre
Ausstellungsstücke im Dachgeschoss des Preetzer Heimatmuseums
unterzubringen, in den früheren Räumen des Circusmuseums. Barbara
und Dirk haben es mit Hilfe des Heimatmuseums renoviert und
eingerichtet.
„... da rief uns jemand an, er habe
auf dem Dachboden eines alten Mannes so ein Papiertheater gefunden, ob
wir das haben wollten.“ Barbara Reimers bleibt vor einer erkennbar
antiquarischen Rarität stehen, einer Wanderbühne mit Unterbau für das
Equipment und mehreren Kästen mit sauber sortierten Kulissen. „So was
passiert jetzt immer öfter. Ist das nicht toll?“
„Von wegen
alter Mann“, knurrt Dirk, „der war auch erst Siebzig.“
Die vom Ladengeschäft „Pollidor“ in der Bahnhofstraße ins Dachgeschoss
des Preetzer Heimatmuseums umgezogenen Bühnen haben sich deutlich
vermehrt. Und immer wieder werden nun neue „Fundsachen“ gemeldet und
erhalten hier Asyl oder Gnadenbrot. Dirk Reimers: „Wir bekommen Theater
von Menschen, die ihre Schätze gern aufgehoben und für andere
zugänglich machen möchten. Manchmal ranken sich auch kleine Geschichten
um diese Theater; dieses ist ein Grund, warum wir die Theater nicht
restaurieren, fast jedes Theater ist bespielt worden und hat seinen
eigenen Flair.“
Papier-Bauwerke
Der Raum (das frühere Zirkusmuseum)
ist begrenzt, aber dass es sich um einen Dachboden handelt - neben dem
Keller eine beliebte Spielstätte des Papiertheaters - gibt ihm
besonderen Attraktivität für seine neue Bestimmung. Auf Dachböden
glaubt man eher als anderswo an Wunder wie „unendliche Geschichten“ und
findet oder vermutet Bewohner, die es in unserer Welt „unten“ seltener
gibt- Dachbodenmagie, die sich hier mit (Papier-) Theatermagie trifft.
Das Balkengerüst verleiht dem Raum Höhe und Luft. Die meisten Bühnen
sind er- (nicht einfach nur be-) leuchtet, was ihnen erst ihren eigenen
Zauber schenkt, aber einen auch ahnen lässt, wie viel Arbeit hier drin
steckt. Dazwischen stehen manns- (oder frau-) hohe Figurinen und
verweisen auf besondere Sehenswürdigkeiten. Zu alledem kommen noch
Bauwerks- und Schiffsmodelle aus Bastelbögen.
museumswärter
Eine Etage tiefer
überraschen Barbara und Dirk mich mit einem adäquaten „Theatersaal“,
eigentlich ein Vortragsraum, der zum Museum gehört, wo sie aber ihre
Bühne installiert haben und vor maximal 15 Zuschauern spielen können.
Kronleuchter und Intarsien an den Wänden sorgen für gediegene
Atmosphäre. Einmal im Jahr spielen sie öffentlich zu Gunsten des
Museums, sonst haben die Vorstellungen privaten Charakter. Die
Zuschauer sind Gesellschaften unterschiedlichster Art. In der letzten
Zeit kommen öfter mehr Schulen, die Papiertheater für den Unterricht
einsetzen möchten; je jünger die Schüler sind, umso mehr wollen sie
improvisieren. Dirk Reimers: „ Wir haben Aufführungen gesehen, da
konnte man nur staunen. In einer 4. Grundschulklasse haben jeweils 4
Schüler Theater gebaut, Kulissen und Figuren gemalt, Texte entwickelt,
das ganze Programm ihrer eigenen Bücher als Vorlage genutzt. Der
pädagogische Zeigefinger ist nach meiner Meinung da fehl am Platz. In
den letzten zwei Jahren sind mehrfach Schüler von Sozialpädagogischen
Einrichtungen bei uns gewesen, die das Papiertheater für ihre Arbeit in
der Kinder- und Erwachsenbeschäftigung nutzen wollen.“
Da dieses Heimatmuseum nicht mit
„Steinzeit-Äxten“ (Dirk) voll gestopft ist, sondern für
Wechselausstellungen und Veranstaltungen Platz lässt, könnte man sich
hier weitere Spielstätten vorstellen, die ihm Besucher bringen. Wie ich
gerade in Siegfried Lenz’ gleichnamigem Buch noch mal gelesen habe,
muss ein Heimatmuseum nicht langweilig und zeitenfern sein, sondern
kann Brücken zwischen einst und jetzt bauen, was unserem
Geschichtsbewusstsein gut täte und dem Wesen des Papiertheaters ja erst
recht.
Heimatmuseum Preetz, Mühlenstraße 14, 24211 Preetz, Besichtigung auf Anfrage: E-Mail: dirk.reimers@pollidor.de , Telefon: 04342 2346
"das kleine mädchen und die schwefelhölzer"
Das PapierTheater Nr.40
SEITE 4
Februar 2015
Papiertheateraufführung
Ein Papiertheaterschiff mit 100 Besuchern
von Hans Ahrens
märchenschiffe auf der hamburger binnenalster
Jetzt gibt es das Papiertheaterschiff wirklich, aber
nicht geheimnisvoll und verwandelbar wie in dem ersten
Papiertheaterroman gleichen Titels, sondern ganz handfest: auf einem
Hamburger Alsterdampfer. Fünf dieser Schiffe, die als Teil des
Hamburger ÖPNV dienen, aber im Winter ruhen, sind in der
Vorweihnachtszeit vor allem für Kinder als „Hamburger Märchenschiffe“
arrangiert. Sie nennen sich Theaterschiff, Traumschiff, Caféschiff und
Backschiffe.
Heike Schaufuß hatte im Herbst beschlossen, auf dem Theaterschiff
Papiertheater zu spielen. In Preetz auf uns aufmerksam geworden, wandte
sie sich an unseren Vereinskollegen Hans Ahrens. Alles weitere
beschreibt er nachstehend, anschließend kommt sie selbst zu Wort und
hält eine überraschende Erkenntnis für uns Experten bereit: Wer seinen
Theaterraum richtig gestaltet, darf über ganz andere Zuschauerzahlen
als bisher spekulieren...
Es war Anfang Oktober im letzten Jahr,
und ich machte mir Gedanken zu Programmpunkten für meine
Geburtstagsfeier Mitte November. Ich spielte mit der Idee,
das erste Papiertheaterstück, das ich 2002 anlässlich meines
Geburtstages, damals noch mit meiner Frau Heidi aufgeführt hatte,
wieder hervorzuholen.
Es war nicht zu lang und ließ sich im
Gegensatz zu meiner letzten Aufführung "Die Reise in den Mond "
von J. Offenbach, einigermaßen stressfrei ohne viel Technik
spielen. Außerdem hatte ich ja ein nicht benutztes, auf Sperrholz
gezogenes Proszenium (Urania), das mir mein Klassenlehrer vererbt
hatte. Ich hatte nun eine mobile Bühne, aber die Tonaufnahme war
nicht zu finden.
Da ging irgendwann das Telefon, und
eine weibliche Stimme fragte, ob ich ihr helfen könnte. Sie hätte zwar
kaum Erfahrung auf dem Gebiet des Papiertheaters (allerdings
Marionettentheater hätte sie schon gespielt), Papiertheater wäre ein
Stück Kultur, dass unbedingt erhalten und weitergegeben werden müsste.
Sie hätte schon fest zugesagt , auf einem der
Weihnachts-Alsterschiffe jeden Dienstag 7 Vorstellungen zu
geben. Start 25. November 2014. Oh, dachte ich, wie mutig ohne
Erfahrung und entschloss mich, ihr zu helfen. Ich lieferte, nachdem sie
sich für „ Das Feuerzeug“ entschieden hatte, die komplette "Hardware“,
ein Textbuch, und später, nachdem sie feststellte, dass das "live"
Vorlesen der Geschichte "wohl doch nicht klappen würde“, aus Mangel an
Probezeit, produzierten wir beide den „Soundtrack“, sie mit ihrer
schönen Stimme als Vorleserin und Hexe und ich musste einspringen, als
H.C. Andersen und Soldat, weil ein Bekannter von ihr plötzlich unter
Heiserkeit litt. Hinzu kamen dann noch Geräusche wie Wassertropfen,
Türknarren, Pferdegetrappel mit dem Mund hergestellt, Gebell der Hunde
etc. Alles im Gallopp produziert.
Den effektvollen Tropfen habe ich
selektiert aus dem Ausgießen einer Tasse mit Wasser und dann
vervielfältigt (80x) und mit Hall unterlegt. Eine schöne Melodie mit
Trommeln und Flöte hatte Frau Schaufuß mit Freunden aufgenommen, die
ich als Eröffnung und Schluss integrierte und außerdem trotz Zeitdruck
hat sie dann noch eigene Märchen-gerechte Kulissen und einige Figuren
gemalt und dann...
Nach ein bis zwei Proben fand die
Vorvoraufführung dann auf meinem Geburtstag statt. Sie wurde mit
Wohlwollen aufgenommen. Dann fügte ich noch ein paar Pausen hinzu und
dabei gerieten alle Dateien durcheinander. Herrliches Gefühl! Und dann
ging es auch schon bald los. Sie spielte allein und ich erwartete
voller Spannung ihren Anruf. Top oder Flop, wie reagierten die Kinder?
Die Aufführung besteht zu ca. 60 % aus Vorlesen, Rest Stimmen,
Kulissen, Figuren, Action, Musik, wir kennen das.
Für 4 jährige war es leider noch nicht
ganz geeignet. Doch selbst diese Kleinen und natürlich die
darüber folgten voller Spannung dem Geschehen. Es gab so gut wie
keine Störungen. Alle waren begeistert. Auch die Eltern. Morgens
kamen ganze "Kindergärten" einige der Erzieher waren mit ihren Gruppen
mehrmals da.
Als Uwe Warrach und ich am 3. Spieltag
die 2. Vorstellung um 11 Uhr besuchten, waren es, ich konnte es nicht
glauben, aber Uwe hat 2x gezählt, 100 Besucher (inkl. 10 Erwachsener).
36 Vorstellungen gab es (1x hat Frau
Schaufuß im Eifer 8 Vorstellungen gegeben ohne es zu merken). Am 23.
Dezember 17.00 Uhr war ich bei der letzten Vorstellung dabei. 20
Zuschauer trotz Nieselregen. Die Hamburger Innenstadt war ein
einziger Weihnachtsmarkt voller fröhlicher Menschen, dazu
glitzerte der schöne Tannenbaum auf der Alster.
Frau Schaufuß hatte für 19.06 Uhr einen Zugplatz in Richtung Dresden gebucht. Die Frau hat Nerven!
Einige Originalkommentare der Kinder : „Cool“, oder „Das hast du gut gemacht“, „Was bedeutet Urania?“
Ich bin sicher, dass sie nächstes Jahr wieder kommt.
das "Papiertheaterschiff"
Das PapierTheater Nr.40
SEITE 5
Februar 2015
Papiertheaterspieler
Dr. Hans Wiesecke - ein unbekannter bekannter Spieler
von Christian Reuter
Dr. Hans Wiesecke, geboren am 15. 9. 1893 in Berlin,
1946, schrieb während der Zeit seiner englischen
Kriegsgefangenschaft seine Theatergeschichte unter dem Titel
„Historisches und Erlebtes“. (Wir dürfen den Bericht wohl in absehbarer
Zeit vollständig veröffentlichen.) Zur gleichen Zeit entstand seine
Schrift „Das schöne Kindertheater“. Er erklärt darin das Baukonzept
seiner Bühnengehäuse und auch Spieltechniken. Möglicherweise werden wir
auch dieses Material als pdf zugänglich machen können.
Durch
frühe Theaterbesuche mit den Eltern und dem Kontakt zu einem Freund,
der selber ein Papiertheater besaß und bespielte, kam er schon als
Zehnjähriger, nachdem er schon ein erstes Kartontheater selbst gebaut
hatte, in Kontakt mit der Firma Honrath und verliebte sich da in die
Schreiber-Bogen.
Erste Bühne für die Tochter
Von Helmut Wurz erfuhr ich, dass er
als einer der wenigen Mitglieder unseres Vereins Wiesecke und seine
Bühne in den 80er Jahren in Duisburg besucht hatte. Unser
Vereinskollege Kurt Schönhoff erzählt, er sei als 25jähriger zu Hans
Wiesecke in dessen Direktionsbüro bei den Mannesmannwerken gesetzt
worden, was dem gar nicht Recht war, und so war diese Zusammenarbeit
nur von kurzer Dauer. Allerdings war Kurts Hobby damals
ausschließlich der Kartonmodellbau und so kamen sie thematisch nicht
ins Gespräch.
Hans Wiesecke verstarb im Alter von 93 Jahren am 5. Mai 1986 in Duisburg.
letzte Bühne für die Tochter
Im Januar dieses Jahres erhielt ich
einen Anruf aus Holland. Ein Herr Patrick Gallay war am Telefon, er
suchte Rat. Er war bemüht, einen Abnehmer für ein Papiertheater zu
finden, das im Familienbesitz war. Sein Großvater, Dr. Hans Wiesecke,
habe diese und auch andere Bühnen gebaut, und es seien weiterhin viele
Teile zum Spielen dabei. Das Konglomerat lagere in Hagen.
Ich sagte ihm, dass zur Zeit viele Sammler von Papiertheatern
versuchten, einen Ort zu finden, wo man ihre Sammlungen aufnehmen
könnte, und das sei im Moment nicht einfach. Aber ich war
einverstanden, mir die Sachen einmal anzusehen.
Aufbau wieseckes bühne
Am 15. Februar traf ich die Brüder
Patrick und Oliver Gallay, die Enkel des Theatergründers, am Lagerort
der Sammlung, in Hagen. Sie waren aus Holland und Großbritannien
angereist.
In dem Lager, einem kleinen Raum,
standen drei fast mannshohe Kartons wie auch eine große Anzahl normaler
Umzugskartons. Es war dort sehr eng und man konnte fast nichts
auspacken, nur in die Kartons hineinschauen und sah drin eine Fülle von
ausgeschnittenen und aufbereiteten Dekorationen und sehr viele
Zigarrenkisten voller Figuren.
Bühnenhimmel
Da Dr. Wiesecke Spieler und absolut
kein Sammler war, hatte er alles aufgezogen und ausgeschnitten;
komplette Originalbogen waren nicht dabei. Die Dekorationen
schienen fast ausschließlich aus der Neuen Serie des Verlags F. J.
Schreiber zu stammen. Ein zweiter Schwerpunkt waren die dänischen C-
und auch A-Dekorationen und viele dänische Figuren. Einige
Kartons enthielten Ordner mit Briefwechsel, andere viele Texthefte vom
Verlag Schreiber oder aus Dänemark, sowohl Originale als auch Kopien
und eine Menge bearbeitete Übersetzungen aus dem Dänischen. In
den Kartons befanden sich auch viele Nummern der Zeitschrift der Dansk
Dukketeater Forening, also des Suffløren, aus der Zeit von 1945 bis
1985, jedoch viele, aus der Anfangszeit nur als Kopien. Aus
manchen Originalen waren wohl etliche der Bilder herausgeschnitten.
Später stellte ich dann fest, daß Wiesecke vor allem technische Artikel
des Suffløren ins Deutsche übersetzt und die originalen Bilder in die
übersetzten Schriften eingeklebt hatte. Weiter waren da noch
etliche Kartons mit Werkzeugen und Bastelmaterial, Holz-, Papp-
und viele elektrische Teile.
bühnenkasten
Wie es mir schien, war das
Ganze für unsere heutigen Sammler kaum von Interesse. Die vorgefundenen
Dekorationen und Stücke sind fast überall in den Sammlungen bereits
vorhanden, oft als ganze Bogen. Auch eine Versteigerung hielt ich
nicht für sehr aussichtsreich. Für eine Bearbeitung der Unterlagen und
der Geschichte dieses Theaters wäre eine Unterbringung im Rahmen eines
Museums vielleicht machbar und sinnvoller. Doch zur Zeit suchen gerade
fünf Sammlungen eine neue Unterkunft, und man findet momentan wohl kaum
ein Museum, dass man auf dieses Thema ansprechen und dafür
interessieren könnte..
Techniktisch
So riet ich den Gallays, sich an Ab
Vissers in Utrecht, wo auch Patrick Gallay wohnt, sowie an das neue
Puppentheatermuseum von Ludwig und Penny Peil in Schmiedebach zu
wenden. Vielleicht ergäben sich da Ideen und Möglichkeiten der
Unterbringung. Eigentlich sollte das Konvolut als Ganzes abgegeben
werden. Doch es fand sich letztlich niemand, der die Totalität für eine
akzeptable Summe hätte übernehmen können.
Kurze Zeit später wurde ich gebeten,
nach Witten-Herdecke in ein Anwesen der Familie Gallay zu kommen.
Dorthin hatte man inzwischen die Sammlung verbracht, weil der Hagener
Raum anderweitig gebraucht wurde. Hier war nun mehr Platz und man
konnte die Kartons jetzt öffnen und das Material sichten. Nun
stellte ich die Dekorationen zusammen, ebenso die Texthefte, die fast
einen ganzen großen Umzugskarton füllten und ebenso auch die Ordner mit
Zeitschriften und Briefen.
geordnete kartons
Die Gallay-Brüder hatten angefangen,
hier das große Theater des Großvaters wieder aufzubauen: besonders die
Bühnen- und Lichttechnik – natürlich alles weit vor der LED-Zeit -war
eindrucksvoll: Es war eben der Ingenieur Dr. Hans Wiesecke am Werk
gewesen.
Er hatte die beiden heute vorhandenen
selbstgebauten Bühnen mit viel Technik ausgestattet, und die
mussten nun wieder zusammengebaut werden, soweit es möglich war.
Im Verlauf der Gespräche erfuhr ich, dass nicht nur der Großvater sich
seit seiner Jugend mit dem Papiertheater beschäftigt hatte,
sondern dass die ganze Familie bis ins Erwachsenenalter der Enkel
intensiv Papiertheater auf verschiedenen Bühnen gespielt hatte.
Besonders eine seiner Töchter, in München unter dem Namen Gallay
verheiratet, hatte mit einigen unserer Mitglieder im
Papiertheaterverein Kontakt. Selbst in meinen Unterlagen fand ich
Einladungen zu Aufführungen auf ihrer Münchener Bühne. Leider hatte ich
zu diesen Terminen nicht kommen können.
die querstücke
Trotz vieler Bemühungen und Kontakte
ließ sich niemand finden, der das Konvolut hätte übernehmen
können. So beschlossen die Gallays schließlich, nach Gesprächen mit dem
Ehepaar Peil, ihnen die große sowie eine zweite Bühne als
Leihgabe zum Restaurieren und zum Spieleinsatz für längere Zeit zu
überlassen. Die meisten restlichen Kartons mit Dekorationen,
Schriftwechsel und Bastelmaterial wollten sie aber am Ende doch mit
nach Holland nehmen. Der Sohn von Patrick Gallay, der etwa in dem Alter
ist, in dem sein Urgroßvater sein erstes Papiertheaterspiel begann,
wird möglicherweise die Familientradition einmal weiterführen.
dekorationskarton
Patrick überließ mir leihweise den
Briefwechsel, die Texte, Übersetzungen und Artikel des Großvaters zur
Sichtung und partiellen Bearbeitung. Seine Briefpartner waren neben
einigen Museen und dem Schreiber-Verlag vor allem Röhler, Eiselt, Frau
Barfoed-Møller und die Leiter des Deutschen Forums für
Figurentheater und Puppenspielkunst Bochum, Wohmann und später Kreuder.
Am 9. August 2014 brachte ich
die geliehenen Unterlagen nach Witten-Herdecke zurück. An dem Tag war
Ludwig Pell dort gerade dabei, die große Bühne und Material zu
verladen, und Patrick im Begriff, die restlichen Sachen nach Utrecht zu
transportieren.
kulissenkarton
Erstaunlich ist, dass es etliche
Kontakte der Familie Gallay mit dem Forum gab, die aber nicht zu
intensiverem Zusammengehen mit dem Verein führten. Bestimmt gibt es in
Deutschland auch heute noch eine ganze Reihe Sammler zum Thema
„Papiertheater“ und wohl auch Spieler im Familienkreis, die uns gar
nicht oder nur wenig bekannt sind.
Das PapierTheater Nr.40
SEITE 6
Februar 2015
Rückblick
Vor 32 Jahren Papiertheater bei Radio Bremen
von Ursula Amtrup
Verwandlungen: aus groß wird klein ....
Die Verfasserin stieß in ihren Unterlagen auf ihren
Bericht über eine Papiertheater-Ausstellung in Kiel, der am 28.02.1983
im Rahmen eines Beitrags von Radio Bremen gesendet worden war. Er
besticht durch seinen historischen Charakter: vor 32 Jahren war das
Metier noch viel weniger bekannt als heute (wieder):
„Knallrot, blitzblau und donnergrün...
– Papiertheater gibt’s zu sehn!“ Unter diesem Titel ist seit dem 16.
Januar und bis 20. März eine Ausstellung im Kieler Stadtmuseum zu
sehen, die ein besonders liebenswertes Stück Vergangenheit hervorholt
und anschaulich macht: Das Papiertheater – im 19. Jahrhundert ein
außerordentlich verbreitetes und beliebtes Spielrequisit – lehnte sich
eng an das Vorbild des zeitgenössischen Theaters an. Bühnenaufbau und
Kulissen bekannter Theaterstücke und Opern wurden möglichst
originalgetreu in Miniaturformat kopiert – ja, häufig war sogar das so
genannte Proszenium, die Vorderweite des Papiertheaters, das getreue
Abbild eines berühmten Theaterbaus.
Ihre Beliebtheit förderte
selbstverständlich ihren Verschleiß – und so ist es fast erstaunlich,
dass in der Kieler Ausstellung 23 vollständige Theater des 19.
Jahrhunderts aus den verschiedensten europäischen Ländern zu sehen sind
darüber hinaus eine Vielzahl an Dekorationen, Figuren und vor allem den
verschiedensten Kulissen.
Ohne die Leihgaben der Privatsammlung
Metsch/Neumann aus Hamburg und deren aktive Mitarbeit am Zustandekommen
der Ausstellung hätte man einen so umfangreichen, zugleich lehrreichen
wie auch vergnüglichen Einblick in die Papiertheatergeschichte wohl
kaum realisieren können, zumal die Museen erst seit kurzem beginnen
haben, ihr Interesse an der „Volkskunst“ zu intensivieren und die
Sammlungsbestände zumeist noch gering sind.
Was in Kiel an der Präsentation dieser
Ausstellung gefällt, ist die Tatsache, dass man sich der Funktion
dieses „Mediums“ anpasste, seine lehrreichen, teils aber auch überaus
komischen Seiten hervor holte, den Adressatenkreis mit Hilfe
überlieferter literarischer Dokumente einbezog – und – das vor allem –
den Besucher durch geschicktes Design ein wenig von dem Zauber, der
damals von den kleinen Theatern ausgegangen sein muss, nachempfinden
ließ.
Für Groß und Klein gibt es darüber
hinaus eine so genannte Bastelecke, in der aus Nachdrucken historischer
Theaterbögen Kulissen und Figuren ausgeschnitten und in zwei eigens
dafür bereit gestellten Papiertheatern ausprobiert werden konnten.
Diese Art museumspädagogischer
Planung und Durchführung einer Ausstellung hat sicher noch
Seltenheitswert in unserer Museumslandschaft und verdient daher
besonders hervorgehoben zu werden.
Dazu kommt in Kiel ein
außerordentlich umfangreiches Begleitprogramm, das außer Gesprächen am
Kamin auch Führungen anbietet, in denen der Kieler Rechtsanwalt Dr.
Harmut Lange den Zuschauern eine Vorstellung davon vermittelt, wie
Kinder und Erwachsene im 19. Jahrhundert mit diesem Medium umgegangen
sind.
P.S. der Redaktion: Diese Ausstellung
war so etwas wie ein erster Auftakt für das Papiertheater im Norden.
Auf ein Treffen in Kiel folgte 1988 das erste Preetzer
Papiertheatertreffen, und in diesem Jahr feierte man das
Siebenundzwanzigste...
Verwandlungen: ... aus klein wird groß
(Fotos Dieter Knopp, Wuppertal. Da der vermutliche Inhaber eines evtl.
Copyrights für uns nicht auffindbar ist, bitten wir ggf. um Nachricht,
falls es noch besteht.)
Das PapierTheater Nr.40
SEITE 7
Februar 2015
Reisebericht I
Papiertheater zum Anfassen - das Theatermuseum im Hoftheater Kopenhagen
von Uwe Warrach
Blick von der Bühne, in der Mitte des Ranges die königlichen Sessel
Mitten in Kopenhagen, am Schloss Christiansborg,
weist ein kleines Stellschild auf eine Tür, damit man es nicht
übersehe, zum Theatermuseum im ehemaligen Hoftheater. Eine Art
Himmelstreppe führt steil nach oben. Dort tritt man in einen hellen
Vorraum oder besser: -saal, eine freundliche junge Dame begrüßt einen
und reicht einen Handzettel in der gewünschten Sprache.
Anschließend
geht es ins Theater, wo man erst einmal Rot sieht, Theaterrot, Plüsch.
Über dem Parkett rundherum Rang und Logen, etwas eng, auch nicht sehr
hoch, gebaut für kleinere Leute in einer anderen Zeit. Die Logenplätze
sind hochklappbar, damit der vorne sitzende Besucher vorbei kann. Den
Rundgang dahinter schmücken Bilder, Plakate und Zeitungsberichte. Auf
einer Tafel Bilder und Texte von Hamletinszenierungen seit Jahrzehnten
(wegen „es ist was faul im Staate Dänemark“)auf Schloss Kronborg, mit
Stars von Gustaf Gründgens bis zum heutigen Nachwuchs.
In der Mitte des Ranges zwei große
Sessel für die königlichen Besucher. Das führt uns zu einem Ereignis,
das sehr theaterwirksam gewesen wäre, aber tatsächlich passierte.
König Christian VII hatte 1766 hier
ein klassizistisches Theater eingerichtet. Zunächst führte eine
französische Theatertruppe Tragödien und Singspiele auf, später gab es
Schauspiele, und es wurden Maskenbälle veranstaltet. „Der Leibarzt der
Königin“, der Arzt und Staatsmann Graf Struensee, im Grunde Regent in
dieser Zeit und nicht überall beliebt, unterhielt in diesem Theater ein
heimliches Liebesnest mit der Königin Caroline Mathilde. 1772 wurde es
aufgedeckt, Struensee verhaftet und bald darauf öffentlich
hingerichtet. Danach konnte das Theater seinen König nicht mehr
erbauen.
Unter Christian VIII wurde es nach 1840 im Biedermeierstil umgebaut, den es heute noch hat.
1912 gründete ein Kreis Theaterinteressierter das Theatermuseum, 1922
zog es in das ehemalige Hoftheater ein. 2004 nahm man Modernisierungen
vor, die den historischen Charakter bewahrten, aber regulären
Spielbetrieb zulassen.
Museumsbesucher dürfen ausdrücklich
„überall hin“, so dass man das Theater nicht nur von den
Zuschauerplätzen sondern auch von der Bühne aus besichtigen kann.
Dann auf der Bühne kommt der
Papiertheaterfreund zu seinem Recht: ein Modelltheater fesselt ihn, mit
allen technischen Finessen, Figurinen, Kulissen und Beleuchtung.
Wie in den meisten Museen Kopenhagens, die wir besuchten, muss man
nicht fragen, ob man fotografieren darf oder muss es heimlich tun – es
ist wie selbstverständlich erlaubt. Deshalb gibt es hier auch ein paar
Bilder.
(Informationen zur Historie aus dem Handzettel des Theatermuseums im Hoftheater.)
Das PapierTheater Nr.40
SEITE 8
Februar 2015
Reisebericht II
Die Sammelwut des Frederic Marès
von Iris Förster
Barcelona. Schöne alte Stadt. Wohl dem, der eine
sogenannte Barcelona-Card hat, und damit freien Zutritt zu vielen
Sehenswürdigkeiten und Museen. Da nimmt man doch durchaus mal das eine
oder andere Museum mit, das man ohne die Karte nicht unbedingt
angeschaut hätte. Als Schwäbin zumindest.
Auf unserem Spaziergang durch die
Altstadt kamen wir dann auch am Museu Frederic Marès vorbei, das die
bedeutendste spanische Skulpturensammlung enthält und in einem Palast
der Inquisition im Stadtteil Barri G�tic, direkt hinter der Kathedrale
untergebracht ist. Wir nehmen die Herausforderung an und reihen uns in
die Besucherschlange ein. Präsentiert wird die Sammlung des Bildhauers
Frederic Marès, der zu seinen Lebzeiten (1893-1991) wie besessen
Statuen und Kuriositäten sammelte. Es wird sogar behauptet, er selber
sei lediglich als Bildhauer tätig gewesen, um von dem Erlös aus dem
Verkauf seiner Arbeiten seine Sammlungen erweitern zu können.
Zunächst fällt nichts
Außergewöhnliches auf. Erwartbare Kunst. Im Untergeschoss des Museums
finden wir vor allem Skulpturen des 3. und 4. Jahrhunderts, eine
Sammlung von Kruzifixen sowie Statuen der Jungfrau Maria aus der
Romantik und Gotik. Anhand der Kruzifixsammlung können wir immerhin
eindrücklich den Wandel des Christusbildes nachvollziehen.
Je weiter wir nach oben kommen, desto
übersichtlicher wird die Zahl der Besucher in den Räumen. Im
Obergeschoss wird zunächst die kunsthistorische Sammlung fortgesetzt
mit Werken aus dem Barock und der Renaissance.
Doch dann beginnt es skurril zu
werden: In diesem Teil des Museums, dem so genannte Museu Sentinel,
werden in zahlreichen Räumen Gegenstände aus dem bürgerlichen Alltag in
Barcelona der letzten zwei Jahrhunderte gezeigt: reihenweise
Sonnenschirme, Brillen, Kämme, Broschen, Damenfächer oder - wie hier im
Bild zu sehen - Spazierstöcke.
Im Obergeschoss wird es dann aber für
Papiertheaterfans richtig interessant, wenn es in das Zimmer mit altem
Spielzeug geht. Der Trubel der unteren Geschosse bleibt hinter uns, das
Personal müht sich, eigens für uns die Beleuchtung der oberen Räume in
Gang zu bringen. Und dann staunen wir: vitrinenweise Dioramen mit
biblischen und historischen Szenen, sorgfältig ausgeleuchtet oder mit
einer sich auf Knopfdruck einschaltenden Beleuchtung versehen. Die
ersten beweglichen Papierfiguren, man möchte sich zu gerne vorstellen,
wie die Kinder damals - sicherlich unter sorgfältiger Beobachtung ihrer
Eltern - die Figuren in Begewung gesetzt haben um die Szenen
nachzuspielen. So stelle ich mir die Geburtsstunde des Papiertheaters
vor.
Museu Frederic Marès
Pla�a de Sant lu, 5-6, Barcelona
www.museumares.bcn.es
Als Diorama (Plural: Dioramen; zu
altgriechisch dior�ein „hindurchsehen, durchschimmern, durchschauen“,
also Durchscheinbild) bezeichnet man in der Nachfolge von
Krippendarstellungen stehende Schaukästen, bei denen mit Modellfiguren
und -landschaften vor einem oft halbkreisförmigen, bemalten Hintergrund
zum Beispiel historische Szenen, soziale Milieus (ein zeitweilig
beliebtes Motiv waren sogenannte Hochzeitskrippen), Berufe oder Tiere
in ihrer natürlichen Umgebung dargestellt
werden.
( Quelle: Wikipedia am 29.11.14)