Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
wieder einmal hat nicht der Sammler, sondern der Jäger Christian Reuter zugeschlagen. Seine Beute: ein unbekannter Verleger mit zwei bisher in der Papiertheatergeschichte noch nicht aufgetauchten Stücken – weiter auf Seite 2!
Auch und gerade weil jetzt nicht so recht die Zeit für Papiertheaterabende sein mag – wer im Herbst und Winter spielen will, bastelt und übt beizeiten.
Dafür wirft Uwe Warrach wieder einmal selbstlos eine seiner Perlen vor uns Leser: ein vollständiges Papieropernlibretto für die Aufführung im heimischen Theater.
Viel Lust und Erkenntnis bei der Lektüre!
(rs)
Das PapierTheater Nr.11 SEITE 2 Mai 2009
Geschichte des Papiertheaters
Thomas Driendl – Figurenbogen Nr.129 – „CostÜme aus den Hugenotten.“
Vor einiger Zeit fand ich zwei Bogen eindeutig mit Figuren für das Papiertheater. Es handelt sich um unkolorierte Federlithographien der Lithographischen Anstalt Thomas Driendl, die von 1840 bis 1859 in München wirkte. Die beiden Bogen in der Größe von 34*42 cm zeigen Figurinen zu gängigen Opern und Theaterstücken der Zeit um 1845.
Der eine mit der Nummer 129 bringt acht der neun Protagonisten sowie zwei Nebenfiguren der Oper „Die Hugenotten“ von Giacomo Meyerbeer.
Der Komponist der großen französischen Oper wurde unter dem Namen Jacob Liebmann Meyer Beer als Sohn eines Bankiers am 5. 9.1791 in Vogelsdorf bei Berlin geboren. Die Uraufführung der „Hugenotten“ war am 29. 2. 1836 in der Grand Opéra in Paris. Meyerbeer hatte die 5 Akte ein Jahr vorher nach der Dichtung von Eugène Scribe und Emile Deschamps fertiggestellt. Die Anordnung der Figuren auf dem Bogen entspricht nicht der Reihenfolge der Personenangabe im Originaltext.
Die Originaloper sieht 6 Bühnenbilder vor. Ob Driendl das ganze Papiertheater bediente oder nur Figurenbogen herausgab, wissen wir nicht. Dekorationsbogen von Driendl sind bisher absolut keine bekannt.
Der zweite Bogen mit der Nummer 131 zeigt Figuren zu zwei Stücken. Beide sind erstaunlicherweise bisher noch bei keinem der Verlage für das Papiertheater zu finden.
In der oberen Reihe sind fünf Figuren aus dem Lustspiel „Zopf und Schwert“ von Karl Gutzkow, eine seit der Uraufführung am 3. März 1844 im Oldenburger Hoftheater meistgespielten Komödien des Jahrhunderts. Gutzkow, 1811 in Berlin geboren, war ein Theatermensch, der viele Bühnen geleitet und geprägt hat. Er starb 1878.
Von den 15 Figuren (und vielen Statisten) dieses Lustspiels sind nicht gerade die wichtigsten fünf gezeichnet. Man kann vermuten, dass es einen zweiten Bogen mit den etwa 10 Hauptfiguren gibt – vielleicht die Nummer 130? –, was dem Layout der Bogen und der vollständigen Besetzung entsprechen würde.
Die untere HÄlfte des Bogens Nr. 131 trägt den Stücktitel „Teufels Antheil“, somit den der Oper „Le part du diable“ von Daniel Auber (1782–1871), der ja mit etlichen Werken im Papiertheater zu finden ist. Diese Komische Oper basiert ebenfalls auf einem Text von Eugène Scribe und hatte ihre Uraufführung am 16. Januar 1843 in der Pariser Opéra-Comique.
Die sieben Hauptfiguren zu diesem Stück könnten zwar für das Papiertheater auf fünf reduziert werden und somit in die für Driendl typische Reihe passen. Wenn man die Personen genau anschaut, stellt man aber schnell fest, dass keine einzige davon in die Aubersche Oper gehört.
Schon der Name der ersten Figur führt auf die richtige Fährte. Gezeichnet sind sämtliche fünf Protagonisten der romantischen Oper „Antonio Stradella“ von Friedrich Adolf Ferdinand von Flotow (* 26. April 1812 in Teutendorf, † 24. Januar 1883 in Darmstadt). Die Reihenfolge der Figuren entspricht hier dem Operntextheft.
Das abenteuerliche Leben von Stradella, dem italienischen Violinisten, Sänger und Komponisten aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, regte Flotow zur Komposition der am 30. Dezember 1844 im Stadttheater Hamburg uraufgeführten dreiaktigen romantischen Oper an. Nach der literarischen Vorlage von Pittaud de Forges und P. Dupont schrieb Friedrich Wilhelm Riese unter dem Namen Wilhelm Friedrich das Libretto.
Die Bogen müssen aus der Zeit kurz nach den Uraufführungen stammen. Die relativ niedrigen Bogennummern lassen als Herstellungszeit die Jahre vor oder um 1850 vermuten.
Der Titelfehler und der schlichte Zeichnungsstil der Figuren haben nicht die Qualität der von Driendl oft nach Vorbildern gestalteten Heiligenbilder. Die Perspektive der Beinhaltung verschiedener Figuren ist auffällig ungekonnt. Obwohl mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass Vorlagen für die Theaterfiguren benutzt wurden, konnte ich bisher noch keine finden.
Die „Hugenotten“ als Figurenbogen gibt es bei mehr als 10 Verlagen schon aus der Zeit um 1850 wie bei Renner und Scholz.
„Die Hugenotten“ auf dem Renner-Bogen Nr. 795 sind bei Garde (Theatergeschichte im Spiegel der Kindertheater; Kopenhagen 1971) offensichtlich nach den Kostümbildern der Académie Royale de Musiqu von 1836, und der Scholz-Bogen Nr. 81 nach Bildern der Opéra Comique von 1843 gezeichnet. Mit beiden haben Driendl’s Zeichnungen stilistisch nichts zu tun, wie Vergleiche mit Garde und zumindest mit den Rennerbogen in der Stadtbibliothek Nürnberg ergab. Die Reihenfolge der Figuren bei Driendl stimmt allerdings mit dem Bogen 3117 von Oehmigke und Riemschneider, Neuruppin, überein, jedoch nicht die Figurenhaltung.
„Des Teufels Antheil“ ist ebenfalls bei den frühen Ausgaben von Renner und Scholz zu finden, aber „Zopf und Schwert“ wie auch „Antonia Stradella“, wie gesagt, bisher ausschließlich bei Driendl.
Als Lithographie-Firma wird Driendl kurz mit Andachtsbildern von Wolfgang Brückner („Populäre Druckgraphik - Deutschland“, München 1969) aufgeführt. Sigrid Metken hat ausführlicher über deren Bilderbogen, besonders über die Heiligenbilder, gearbeitet („Thomas Driendl (1805-1859) – Lithograph und Verleger“ in Volkskunst, November 1990); und bei Edward Ryan (Papier Soldiers, London 1995) taucht sie mit zwei Soldatenbogen auf. Viel mehr ist über die Firma nicht zu erfahren und gar nichts über ihre Theaterbogen.
Vor einiger Zeit zeigte ein größeres antiquarisches Angebot im Internet mit Herrscher- und historischen Bogen, mit Genrebildern und Soldatenbogen einen Themenquerschnitt des Verlags. Die über 100 beschriebenen Bogen und Bilder scheinen jedoch eher auf die Charakteristik einer Sammlung hinzuweisen, als sämtliche Themenbereiche der Firma abzudecken. Es fehlen dem Konvolut jedenfalls das in graphischen Sammlungen bekanntere Gebiet der Heiligenbilder.
In der Papiertheaterliteratur ist die Firma bisher nirgends erwähnt.
Nach meinen Recherchen bei Graphiksammlungen, Theater- und Puppentheatermuseen und besonders Papiertheatersammlungen schien der Verlag mit unserem Thema nirgends bekann zu sein, auch nicht in München, wo ich es am ehesten erwartet hatte.
Nach zwei Jahren fand ich vor Kurzem endlich sehr erfreut in einer Sammlung die Kopie der unteren Hälfte eines Driendl- Bogens der Figuren zu Wilhelm Tell. Die undeutliche Bogennummer könnte 31 sein. Die Kopie ist möglicherweise aus der früheren Menschik-Sammlung gemacht worden. Da Gerd Menschik in München lebte, ist nicht ausgeschlossen, dass er diesen Verlag als Münchener Sammler für das Thema Papiertheater entdeckt hatte.
Über Informationen zu Driendls Arbeiten für das Papiertheater würde ich mich freuen. Vielleicht ist irgendwo doch mehr darüber bekannt, als ich herausgefunden habe.
Es gibt in unserem Sammelgebiet auch heute noch immer wieder etwas neues Altes zu finden und zu erkunden.
Verleger | ||||||||
Kühn 1825–1925 |
Scholz 1830–1920 |
G.N.Renner 1839–1866 |
F.G.Schulz 1830–1920 |
Driendl 1840–1855 |
Oehmigke & Riemschneider 1840–1910 |
Wenzel 1830–1920 |
Pellerin ab 1840 |
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Die Hugenotten | 1915 | 49 oder 29 | 795 | 133 | 129 | 3117 | 433 | 1494 |
dito | 69 | 807 | 7045 | |||||
Teufels Antheil | 113 | 796 | ? | |||||
Zopf und Schwert | 131 | |||||||
Antonio Stradella |
131 |
Thomas Driendl – Figurenbogen Nr.129 – „CostÜme aus den Hugenotten.“, Ausschnitt
Thomas Driendl – Figurenbogen Nr.131
„Zopf und Schwert“ und „Antonio Stradella“ (unter dem Titel „Teufels Antheil“)
Thomas Driendl – Figurenbogen Nr.31(?) – „Wilhelm Tell“ (Kopie aus einer Sammlung)
Das PapierTheater Nr.11 SEITE 3 Mai 2009
Papieroper
Mozarts frühe erotische Begegnung, lange vor der Reise nach Prag
(Gemälde von P. A. Baudouin, aus Eduard Fuchs, „Sittengeschichte“, München 1911)
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Inhalt
Herbst 1787; Prag fiebert einer großen Opernpremiere entgegen. Während Mozart auf der Reise nach Prag in seiner Kutsche noch die Ouvertüre komponiert, verbricht der Librettist Lorenzo da Ponte eine der üblichen lüsternen Räuberpistolen: „Der bestrafte Wüstling – Don Giovanni“ soll das Machwerk über den größten Schürzenjäger aller Zeiten heißen.
Der zufällig in Prag anwesende Giacomo Casanova wird Zeuge der Proben. Überzeugt, dass Mozart die größte Oper aller Zeiten abgeliefert hat und dem Hintertreppenplot da Pontes seine Musik sozusagen als Perle vor die Sau wirft, dient er sich Mozart mit Erfolg als Unternehmensberater an. Er streicht den lüsternen Sexkitsch und die lustfeindliche „katholische“ Höllenfahrt und lässt der lebens- und liebesbejahenden Musik die Freiheit, nach der Don Giovanni seiner Meinung nach verlangte. Aber dazu muss er da Ponte los werden.
Mit einer Intrige, die er der Oper selbst entlehnt, schafft es Casanova, den Dichter aus Prag zu vertreiben. Da Ponte aber wird unterwegs gefilzt, das „unsittliche“ Stück des noch anstößigeren Regisseurs Casanova verboten.
Nun muss der alte Schwerenöter alle Register seiner Lebenserfahrung und seiner Raffinesse ziehen, um die Premiere zu retten, wobei ihm ein junges Paar zur Seite steht, das zum Lohn und, damit die Liebe nicht zu kurz kommt, zueinander findet.
Musik: „Don Giovanni“ – Ende der Ouvertüre
Landschaft, Nacht, Mondschein. Fahrende Kutsche.
Mozart singt zu der Musik:
Dadadada … Yieppiiiiehh! Hahaha! Fertig!! Schtanzerl! I hab fertig!
Constanze (verschlafen):
Wos is? Bist narrsch, Wolferl odar wie odar wos?
Mozart:
I hab fertig! Die Ouvertür’! Zum Don Geilo! Den depperten Hosenstallmeister!
Constanze:
Na, hoffentlich bringt dös a Knätn.
Mozart:
Aber genaa! Für den Hintertreppenporno werf i ja mei Perlen vor aa Sau! Apropos! I muss ja noch die Arie für die Saporiti schräibn!
Umbau!
Prag, Altstädter Markt, nachts. Ein einsamer Sänger.
Mozart:
Da, schau her, Schtanzerl! Da san ja scho die Türme von Prag!
Rest der Ouvertüre
Übergang zur Arie Antonio: Deh, vieni …
Casanova (tritt hinter einer Säule hervor):
Im Oktober 1787 hielt ich mich zu Verlagsverhandlungen im Auftrag des Grafen Waldstein in Prag auf. Als ich in der Nacht meiner Ankunft aus einem Weinkeller – oh, ich bitte um Vergebung, ich vergaß: Casanova,
GiacomoCasanova. Also, als ich zum Altstädter Markt hinauf stieg, vernahm ich eine Arie, so rein und vollkommen, als käme sie direkt vom Himmel. Gerade wollte ich mich dem Sänger nähern, als ich binnen Sekunden Zeuge einer wüsten Auseinandersetzung wurde.
Donna Anna: „Don Ottavio, son morta!“
(Das Beschriebene spielt sich gleichzeitig ab.)
Der Schrei einer Frau in Todesnot gellte über den Platz, und augenscheinlich dessen Urheberin flüchtete sich in die Arme meines Sängers, der darauf seinen Gesang abbrach,
Gesangsende
was dafür sprach, dass es sich trotz des hohen musikalischen Ranges nicht um eine Opernszene, sondern um grobe Realität handelte. Der jungen Dame auf dem Fuße folgte eine Gestalt in schwarzem Umhang, deren Gangart mir irgendwie bekannt vorkam. Diese versuchte nun, die Dame dem von ihr erwählten Kavalier zu entreißen, brüllte dazu etwas von „Kanaille“ und „Kündigung“, zog aber den Kürzeren, da plötzlich ein dritter Mann auftauchte, der erst ihn vermöbelte, dann den Sänger bedrohte, bis er mich erblickte und, etwas irritiert, den Schauplatz mir und dem Troubadour überließ.
Nachdem der seinen Anzug geordnet und mir versichert hatte, dass ihm nichts fehle außer einer gewissen Susanna, fragte ich ihn, weshalb er seine Stimme nächtens auf dem verlassenen Altstädter Markt verschwende, woher er diese phantastische Melodie kenne und wer er sei.
Antonio außer Atem:
Ich bin – nein, Herr, ich war bis eben Diener bei dem berühmtesten Operndichter der Welt. Vor einer Minute hat er mich rausgeschmissen!
Casanova:
Rausgeschmissen? Der berühmteste Operndichter der Welt? Und warum? Hast du ihn beklaut? Oder wolltest du seine Tochter vernaschen?
Antonio:
Aber nein, Herr! Er wollte meiner Susanna an die Wäsche, der alte Bock, meiner Susanna, dem liebreizendsten Mädchen der Welt. Und eine Stimme hat sie, Herr – wie die Callas!
Casanova:
Hm. Wenn ich richtig gezählt habe, waren es zwei alte Böcke?
Antonio:
Ja. Nein. Der zweite war ihr Vater, der Herr Requisiteur der Oper, ein gewisser Pawlitschek aus Budweis. Er hält den Operndichter für einen Ehrenmann und mich für Susannas Verführer.
Casanova anzüglich:
Und?
Antonio:
Und? Leider nein, Herr, kein Und.
Casanova:
Was? Ein junger, attraktiver Meistersinger wie du lässt sich von einem verstaubten Fundusverwalter und einem drittklassigen Stückeschreiber hindern, seine Susanna zu … (schnalzt)
Antonio:
Herr, Sie unterliegen einem großen Irrtum. Mein bisheriger Chef ist nicht drittklassig, es ist der berühmte Opernlibrettist Lorenzo da Ponte, und er schreibt gerade an der neuen Oper des Herrn Mozart! „Don Giovanni – der bestrafte Wüstling“.
Casanova:
Ach, du Elend! Lorenzo da Ponte …!? –
elektrisiert: MOZART?? Ist in Prag?! …
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Achtung! Bei öffentlichen Aufführungen Urheberrechte für die vorgeschlagene Musik, evtl. auch für Bühnenbilder und Figurinen beachten. Siehe dazu Das PapierTheater Nr. 3 / September 2007
Theaterzettel der Wiener Erstaufführung von „Don Giovanni“
Vorhang auf für „Der bestrafte Wüstling“!
(Ausschnitt aus einem Farbstich von Desrais aus Eduard Fuchs, „Sittengeschichte“, München 1911)