Zeitungskopf

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

der Sommer neigt sich dem Ende entgegen. Für die ersten stürmischen Oktobertage und Schmuddelwetter kann etwas Lektüre nicht schaden. Eine überquellende Webzeitung kann diese Bedürfnis hoffentlich zufriedenstellen.

Das 23. Preetzer Papiertheatertreffen ist vorüber. Grund genug eine Rückschau zu halten. Mit Willers Amtrup, Uwe Warrach und Norbert Neumann stehen 3 Rezensenten bereit, um dieses  erfolgreiche Wochenende noch einmal Revue passieren zu lassen.

Im zweiten Artikel schildert Dr. Roland Dreßler einen Tischtheater-Versuch in Freiberg und Döbeln (Mittelsachsen).

Einen Bericht von einer Semesterarbeit seines Sohnes Simon zum Thema "Vergessene Oasen" von Martin Haase zeigt einen modern Blick auf das Papiertheater.

Zuletzt gibt es noch von einem Wechsel des Webmasters für die Homepage des Vereins zu berichten.

Im Prostei-Museum in Schönberg ist noch bis Ende November eine Papiertheater-Ausstellung zu sehen. Damit Interessenten die letzten Wochen noch nützen können, haben wir einen kurzen Ausstellungsbericht nachgeschoben.

Viel Vergnügen bei der Lektüre!

(mf)

 

INHALT – Nr. 18 – Oktober 2010

23. Preetzer Papiertheatertreffen             10.-12. September 2010 von Willers Amtrup, Uwe Warrach und Norbert Neumann
Seite 2

Welttheater im Kleinformat
Ein Tischtheater-Versuch in Mittelsachsen
von Dr. Roland Dreßler Seite 3

"Vergessene Oasen" von Martin Haase Seite 4

In eigener Sache Seite 5

Theater-Träume aus Papier von Uwe WarrachSeite 6

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Das PapierTheater Nr.18                           SEITE 2                           Oktober 2010

Festival

23. Preetzer Papiertheatertreffen 10. - 12. September 2010

Ein Festivalbericht von Willers Amtrup, Uwe Warrach und Norbert Neumann
  Fotos: Uwe Warrach und Martin Fischer 

 

 

Poulter

M
ein letzter Besuch galt einem weiteren Höhepunkt dieses Treffens, "Robert Poulter's New Model Theatre" mit "Valsha, die Sklavenkönigin". Poulter hatte sich dabei ein Melodram des 19. Jh. ausgesucht, eine verworrene Geschichte - very british -, die ihm Gelegenheit zu lebhafter Aktion und ständigem Wechsel von Schauplätzen und Positionen der Akteure bot. Das ganze spielt im "alten" Prag, wo alle Frauen der besiegten Völker versklavt sind, aber ihren Herren heiraten können. Der verwitwete König Przemislaus hat seiner Sklavin Valsha die Ehe versprochen, macht aber einen Rückzieher, dankt ab und übergibt die Krone seinem Sohn Ludgar. Valsha zettelt daraufhin einen Aufstand der Sklaven an, bedient sich dabei der Hilfe des geheimnisvollen, finsteren Graff, besiegt Ludgar, wird Königin, dann wieder abgesetzt und schließlich von Graff als Vollstrecker eines Todesurteils dadurch getötet, daß er sie vom Burgturm in die Tiefe wirft - nach dem Einführungstext Poulters "die (damals) beliebteste Form der Hinrichtung". Wie sich anschließend herausstellt, war er der von König Przemislaus gezeugte uneheliche Sohn Valshas.
Diese schauerliche Geschichte erlebte ihre Uraufführung 1837 im Adelphi Theatre in London, wobei der Schauspieler O. Smith den Graff darstellte - ich erinnere daran, daß Poulter und Peter Baldwin vor 3 Jahren ein hinreißendes Portrait dieses als "König des Schreckens" populären britischen Schauspielers präsentiert hatten. Daß Robert Poulter aber gerade auch als Alleinunterhalter absolute Spitze ist, brauche ich nicht weiter zu betonen - ich kann mich jahrein, jahraus immer nur wiederholen. Auch diesmal gab es seine rasanten Szenenwechsel, seinen abwechslungsreichen Drehhorizont, gab es mehrfach veränderte Bühnenausschnitte, Aktionen auf 2 Ebenen, turbulente Massenszenen und wiederholt ein Geschehen, bei dem innerhalb kürzester Zeit Figuren in vier bis fünf verschieden Posen auftraten - das macht ihm niemand nach! Beeindruckend am Schluß die Turmkulisse. Das Publikum war begeistert - und ich auch!
Wie schon früher einmal schließe ich mit dem abgewandelten Gruß: "Nächstes Jahr in Preetz"!


Lebendige Oase
von Uwe Warrach


Tripp

Ein "Licht im Winter":

Tripp Trapp Troll / Teater Buffa, Marianne Castegren und Schwestern, Schweden
Da sitzen an einem Winternachmittag drei Schwedinnen in ihrem Haus beim Kaffee, es ist längst dunkel draußen, und sie singen und spielen für ihre oder für Nachbarskinder mit Figuren und Bildern ein Märchen - das war meine Assoziation bei Tripp Trapp Troll. Zur Überbrückung der Wartezeit vor Beginn wird üblicherweise das Publikum zu Kanons eingeteilt. Endlich öffnet sich die Bühne, und zwar weiter als andere und für relativ große Figurinen. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen wieder einmal Kinder. Ein anrührendes Abenteuer aus alter Zeit: Drei kleine Mädchen warten auf die Rückkehr ihres Vaters, eines Ritters, der ausgezogen ist, den bösen Riesen zur Strecke zu bringen, der alle Menschen, die ihn ansehen, in Stein verwandelt. Auch die Mädchen verkürzen sich die Wartezeit; sie stricken Strümpfe, und weil es so lange dauert, hängen die Strümpfe schon über den Bühnenrand, als die Kinder sich aufmachen, ihr Versprechen zu erfüllen und ihren Vater zu retten. Auf der gefährlichen Reise begleitet sie der Gesang der drei Spielerinnen. Das ist schön und schlicht gestaltet, mit einem Schuss Ironie, besonders bei den martialischen männlichen Auftritten. Heiter und ohne jeden Perfektionsanspruch- eben wie an einem Winternachmittag in behaglichem Zuhause. Sehr großer Beifall.


Teatro

Theater in der Unterwelt:
Panteón de Fiesta / Facto Teatro, Mercedes Gómez u.a., Mexiko

Mit meinem deutschen Gemüt kam ich mir etwas schwerfällig vor bei diesem Fest für Augen und Ohren, ungefähr wie ein Fremder, der unversehens auf einem Markt oder Bazar im Süden aufwacht. Eine Dame, zeitweise an der Harfe, drei Herren, zeitweise an Gitarre und Geige, mit viel Gesang, Klängen und Rhythmen, die mich an die Inka- Gesangsgruppen in den Fußgängerzonen erinnerten. Mittendrin unterbrechen und beraten die Akteure einander, streiten und feilschen wohl auch, was ich aber nicht verstehen konnte, weil sie Spanisch sprechen. Schade um etliche Pointen. Es ist aber eigentlich ein Musical, heiter, temperamentvoll, südamerikanisch. Jedoch: Auf dem Proszenium steht ein Kreuz, als wolle es respektloses Umspringen mit der Religion in seine Schranken weisen. Dabei ist diese sogar eine Stufe tiefer angesiedelt, nämlich in der Mythologie, die vor den Spaniern da war und die dem Plot zugrunde liegt. Eine fürchterliche Geschichte im Grunde, die da abrollt: eine Art mexikanisches Fegefeuer, der Gang eines Toten durch die mystische Unterwelt des alten Mexiko. Die berüchtigte Schädelpyramide der Menschenopfer aus vorkolonialistischer Zeit fehlt ebenso wenig wie das Fürstentum der Finsternis. Die 40 Minuten vergehen im Nu, langer, starker Applaus. Kein Wunder, dass es sehr mühevoll war, diese Gruppe für Preetz zu buchen.

Schwüles Fantasien:
Roman Reveries / Little Blue Moon Theatre, Valerie und Michael Nelson, USA
Dieses Unternehmen aus Kalifornien hat immer Erotik im Gepäck. So war das Gewackel der Bühne keine Panne, sondern achtersinnige Berechnung. Ein leicht missgestimmtes Touri- Pärchen der Überflussgesellschaft kommt nach Rom und verliert sich in Phantasien altrömischer Dekadenz (die unsereinem ja neuerdings auch nachgesagt wird). SIE badet nackt im See einer Art Tivoli-Landschaft, und wir lachen noch darüber, dass ihr Kleiderständer, ein Hirschgeweih, mit seinem Träger und ihrer Wäsche davon marschiert. Da wechselt die Szenerie zu den Blutorgien im Kolosseum, denen wir durch ein Guckloch zusehen. Ab und an wird der Leichnam eines Gladiators vorbei getragen, manchmal auch ein toter Löwe. Erleichtert finden sich Protagonisten und Publikum in der Gegenwart wieder. Alles ohne Worte und mit schöner Musik, darin Puccini live gesungen von Valerie Nelson- ein extra Bravo!


St�rkste

Er ist der Kleinste, jedoch:

Ich bin der Stärkste im ganzen Land / Hellriegels Junior - Willem Klemmer, Gerlinde Holland, Kiel
Auf seinem T-Shirt steht es wie ein vorsorglicher Protest gegen entzückte Senior/innnen: "Ich bin nicht süß." Denn er ist deutlich jünger als sein Publikum, der jüngste Spieler der Saison, der 8jährige Willem Klemmer, der, begleitet von seiner Großmutter Gerlinde Holland, sein Debüt gab.

St�rkste2

Der Enkel des unvergessenen Papiertheaterspielers (und Rundfunksprechers) Heinz Holland (+ 2001) wurde geboren, als sein Großvater starb und eifert ihm nach. Er bedient geübt, ruhig und besonnen die kleine, selbstgebaute Bühne und spricht die Rollen der verschiedenen Tiere, vor denen sich der Wolf mit seiner Stärke brüstet, klar und mit passenden Stimmen und Betonungen. Souverän, aber bescheiden, freut er sich über den starken, ungeschmeichelten Beifall. Ich verspreche, ihn nicht wieder "süß" zu nennen.


Million�r

Zaubermärchen, computergesteuert:
Der Bauer als Millionär / Wiener Papiertheater, Kamilla und Gert Strauss
Beim Wiener Papiertheater ist wie immer alles super-perfekt: klassische Kulissen, Effekte der großen Oper mit Nebel und Feuer, der reine Klang der Musik, die exakten Bewegungen der Figurinen, die Dramaturgie. Sogar der ungeplante, um die Mittagszeit durch ein Loch in der Dachfensterverkleidung einbrechende Sonnenstrahl, von der erschrockenen Direktion als Panne bedauert, gibt zusätzlichen Glanz von oben. Sehr starker Beifall; auch später, zwischen anderen Aufführungen, hörte ich viel Lob für das computergesteuerte romantische Zaubermärchen von Ferdinand Raimund. Bei soviel Lob wird man auch etwas granteln dürfen: Für 70 Minuten ohne Pause braucht es einen Spannungsbogen, den das Papiertheater kaum tragen kann; auch deshalb wohl halten sich fast alle Bühnen an die 45-Minuten-Vorgabe.


Auch ein "Prager Pitaval":
Valsha, the Slave Queen / Robert Poulter's New Model Theatre, Großbritannien
Robert Poulter ist für mich der unbestrittene und unerreichte Virtuose, der "Titan des toy theatre", wie sie ihn auf den Britischen Inseln nennen. Seine Kulissen und Figurinen wie immer selbst gemacht, passen zu- und aufeinander - ach was, sie rasen oder schleichen wie lebendige Gestalten durch ihre scharf gezeichneten Welten. Fast geht dabei unter, dass Poulter ein ausgezeichnetes Gespür für passende Musikpassagen hat, die er sonst wo her holt. Zu der Geschichte wird gleich erklärt, was man wissen müsse: dass im alten Prag die beliebteste Form der Hinrichtung das Werfen der Delinquenten von Türmen war, wohl eine Vorstufe des Fenstersturzes. Alle geraubten Frauen seien Sklavinnen auf Lebenszeit gewesen, es sei denn, jemand fand sich, sie zu ehelichen. Die Königin ist tot, König Premislaus will wieder heiraten- eine Sklavin. Nun geht es los mit Intrigen, Selbstmord und Totschlag, und auf der Bühne tobt das (sofern verschonte) Leben, ebenso über der Bühne, von wo Robert Poulter Kulissenteile und Figuren schiebt, wirft und stapelt. Schweißüberströmt verbeugt er sich und lädt zum Blick hinter die Bühne ein. Jedes mal glaube ich es nicht, dass von diesem kleinen Kartonhaus mit simplen Lampen und Gerät so viel Illusion ausgehen kann.


Gladwin

"Spoons, spoons, spoons!":

The Miller and his men / Paperplays Puppet Theatre, Joe Gladwin, Großbritannien
An Virtuosität auf der Bühne steht Joe Gladwin seinem Landsmann Robert Poulter nicht nach. Aber ihm ist sie noch zu eng, er tanzt, springt und singt um sie herum und mit den Figurinen um die Wette, hat zumindest so viel Spaß an seinem Spiel wie sein Publikum. Doch auch historische Originalität ist ihm wichtig: Figurinen und Kulissen sind nach der Aufführung im Haymarket Theatre von 1861 gestaltet. Das wohl berühmteste britische Papiertheaterwerk handelt von Liebe, Räubern, Entführung, offenem Kampf aufs Schwert (eine Zuschauerin erhält den Auftrag, für die Geräuschkulisse mit zwei Esslöffeln zu klappern, nach der Regieanweisung: "Spoons, spoons, spoons!") und am Ende explodiert eine Windmühle, heikelster Moment der auf Feuer und Wasser allergisch reagierenden Bühnen.

Gladwin

Auf der Strecke durch die beiden Jahrhunderte seiner Existenz hat dieses Stück schon einige Zimmerbrände hinterlassen. Deshalb freut man sich auch immer besonders auf das Finale. Joe Gladwin verzichtet auf jegliche Kokelei, begnügt sich indessen nicht mit einer auf Pappe gemalten Sprengung, sondern blendet uns unter passendem Lärm mit einer Taschenlampe, bevor der Vorhang fällt.


Reimers

Überhaupt kein Märchen:
Das Kaisers neue ... / Papiertheater Pollidor, Dirk und Barbara Reimers, Preetz
... Kleider, denkt man, und das ist auch richtig, aber der Kaiser ist diesmal ein gelangweilter, wahrscheinlich schwuler Modezar, der im Wellnessbad weilt und alle Kleidermodelle, die man ihm vorführt, gräääääßlich findet. Bis zwei Weber auftauchen, die eine Kreation versprechen, die alles bisher da Gewesene in den Schatten stellt, oder besser: ins Licht, denn sie sei nur sichtbar für absolut ehrliche, gute Menschen. Also für niemand anderen als ihn selbst, denkt jeder nun und glaubt einen Hauch von Stoff zu sehen, zart wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, in Wahrheit: nichts. Die Weber umgarnen den Modeschöpfer mit der Phrasendrescherei modernen Hausierertums aus Wirtschaft und Politik. Auch wenn man schon ahnt, wie es ausgeht und wer am Ende bloß gestellt ist - Andersens Märchen führt uns geradewegs in die Wirklichkeit von 2010. Barbara und Dirk Reimers verstehen es, die verschiedenen Rollen - wie immer live - deutlich unterscheidbar zu sprechen und sparen - auch wie immer - nicht an Ironie.

Mutter

Zärtlich und schmerzend:
Die Geschichte einer Mutter / Amager-Scenen, Winnie Deichmann Ebert, Dänemark
Dies hat mich nun so ergriffen, wie es dem Papiertheater selten gelingt. Aber hier spürt man sofort die Liebe zum Metier und zu der Geschichte: Eine Mutter verliert ihr Kind, sucht es überall, nicht ahnend, dass der alte Mann, der es am Krankenbett besuchte und den sie sogar bewirten wollte, der Tod war. Es endet, wie so oft bei Hans Christian Andersen, durchaus nicht happy, eigentlich sogar fast ohne Trost. Die Bilder des Bauernhauses, des Winterwaldes und des Gartens der Menschenherzen erinnern an Fotos aus dem 19. Jahrhundert und haben eine Tiefe, die man sich bei der anschließenden Besichtigung der engen Bühne gar nicht erklären kann. Winnie Deichmann Eberts bescheidenes Auftreten und ihr dänischer Akzent des live gesprochenen deutschen Textes nehmen ein wenig von der bitteren Härte der Geschichte. Nur 20 Minuten, aber eine starke Wirkung, die mich in den Abend begleitete.

 
Beweglich und bewegend:
Reise zum Mittelpunkt der Perspektive / Muthesius Kunstschule Kiel, Prof. Dr. Ludwig Fromme mit Student/innen
Große Bühne, zahlreiche Mitwirkende, viel Technik, mehr Multimedia als herkömmliches Papiertheater- aber was ist beim heutigen Papiertheater schon herkömmlich? Ein Kind sucht seine Perspektive. In einer Welt, die scheinbar weiß, was sie will, vor allem: was alle zu wollen haben. Manipulation statt Wertevermittlung, e- Book statt Schmökern; es ist schwer, sich zurechtzufinden, nicht nur für einen kleinen Jungen. Zu den Computer gesteuerten Bildern und Tönen sprechen die Spieler größtenteils live, zum Teil akustisch verfremdet. Ein Semesterprojekt ohne Längen und akademischen Anstrich.


Leben und Sterben des armen Romeo
oder Trauerzug mit Starparade
von Norbert Neumann

Compagnie Papierthéâtre mit Romeo and Juliet
 
Er war Schauspieler, Bühnenbildner,  Kostüm- entwerfer, Regisseur,   Stückeschreiber, Holz- schneider und  d e r  Theaterreformator des   
beginnenden 20. Jh. Er arbeitete in seiner Heimat London, in  Deutschland, Russland, Frankreich und anderswo mit den bedeutendsten   Theater- leute zusammen.
Aber als Edward Gordon Craig 1966 im Alter von 94 Jahren starb,  schrieb DIE ZEIT in ihrem Nachruf: "Aber zur Vergangenheit wird,  (zur Recht oder zu Unrecht) zuweilen auch gezählt, - wer einmal  Geschichte gemacht hat: Der jungen Generation ist Craig kaum mehr ein  Begriff."
Doch nach Jahrzehnten bietet ihm das Papier- theater, das er einst  selbst sammelte, die pappenen Bretter für ein bescheidenes Comeback.
Bescheiden...? Unter alten Papiertheater-Hasen war Alain Lecquc immer  für eine Überraschung gut. Diesmal präsentiert sich seine  französische Compagnie Papierthéâtre scheinbar traditionell: Die Bühne, Kopie eines alten englischen Proszeniums, flankiert von der historischen Häuserzeile der Londoner Drury Lane. Hinter denen hervor holen Narguess Majd, Alains großartige iranische Partnerin, und Alain   
als vergrößerte Figuren Shakespeare, andere Stückeschreiber und weitere Theaterleute und - Romeo und Juliet, die unverkennbar die   
Züge des jungen schwarzbärtigen Alain und der charmanten Narguess tragen. Alle gekleidet nach der Mode von 1917, als Craig diese Shakespeare- Parodie schrieb.
Auf der Bühne dann ein schmachtender Romeo- Alain unter dem Fenster der koketten doch den Geliebten immer wieder hinhaltenden Juliet-
Narguess. Als sich die Szene wendet und einen Blick in das Innere des Hauses gewährt erkennt man: Das bezaubernde Gesichtchen Juliets   
steckt auf einer - Schneiderpuppe.
Die für Romeo höchst unbefriedigende Romanze zieht sich in dieser Form über Jahre hin. Nur verliert der Liebhaber dabei eines seiner   
Gliedmaßen nach dem anderen (wohl Ausdruck der Traumata des 1. Weltkrieges), bis er zum Schluss, nur Rumpf und Kopf, im Rollstuhl   
sitzt, während Juliet mit wohlgestalten Glied- maßen und elegant gekleidet auf die Straße tritt.
So folgt sie auch dem Leichenzug des armen Romeo und mit ihr die schwarzen Gestalten aus Craigs Holzschnitten. Den Abschluss bildet   
(und das bei Alain, dessen Produktionen die Papiertheater-Puristen stets mit der bohrenden Frage begleitet haben: Ist das noch Papier- theater?) die fröhlich bunte Starparade der heutigen Papiertheater-Prominenz.  

PS: Großartig, Alain und Narguess! Nur den Ruhm, als erste den EGC fürs Papiertheater entdeckt zu haben, muss ich euch streitig machen.   
Bereits anfangs des neuen Jahrtausends hat Robert Poulter den Edward Gordon als altklugen kleinen Burschen in seiner papiertheatralischen   
Irving-Biographie "Tis I" auftreten lassen. Und in PapierTheater Nr. 27, Seite 23, haben wir das Gemälde abgedruckt, das Craig als  Hamlet darstellt.
"Romeo and Juliet" aber ist ein sprühender Beweis für die lebendige Wechselwirkung zwischen Theatergeschichte und Papiertheater. D. O.


Workshop

Workshop

 

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blick hinter die Kulissen

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Das PapierTheater Nr.18                           SEITE 3                           Oktober 2010

Papiertheater

Welttheater im Kleinformat
Ein Tischtheater-Versuch in Mittelsachsen

von Dr. Roland Dreßler

 

 

Zauberfl�te1

Auf anderen Bogen wurde zum jeweiligen Stück das passende Figurenensemble gleich mitgliefert. Auch sie, die Wallensteins, Fidelios, Julias, Freischützen und Tells, konnten ausgeschnitten, aufgeklebt und zweidimensional in der dreidimensionale Bühne aufgestellt werden. Diese Figuren waren noch unbeweglich, meist im Verhältnis zur Dekoration übergroß. Bewegt wurden sie entweder von der Seite, wie im Falle der Döbelner "Zauberflöte",  oder sie wurden durch einen Draht von oben im Raume verstellt. Sie waren in einer für sie typischen Körperhaltung, mit ausdrucksvoller Mimik festgehalten. Da griff der Ritter gerade zum Schwert, und nach einer Stunde hatte er es noch immer nicht aus der Scheide gezogen.

Zauberfl�te2

Und das schöne Fräulein war in abweisender Geste gebannt und blieb es bis zum Schluß der Aufführung, was auch immer im Laufe der Handlung passierte. Dieses Erstarrung  in einer "dramatischen" Pose erscheint unserem heutigen Theaterverständnis eher lächerlich. Hätte man nicht, könnten wir fragen, die Figuren mehrfach und in variablen Verhaltensweisen drucken können? Dass solche Wechsel-Figuren nicht vorgefertigt wurden, weist darauf hin, wie "eindimensional", auf eine "typische" Ausdrucksweise festgelegt, die meisten Darsteller seinerzeit ihre Figuren auffassten. Auch in dieser Hinsicht ist das Papiertheater ein Spiegel seines großen Vor-Bildes.

Zauberfl�te

Zu den kolorierten Bühnenbild- und Figurenbogen gab es dann auch die passenden Stücktexte, doch auch sie auf das Tischtheaterformat geschrumpft - sowohl in ihrer Länge als auch im sprachlichen oder musikalischen Anspruch. So produzierte der Leipziger Verlag Schmidt & Römer mit dem Proscenium "Thalia" auch Texthefte, von denen sich einige in der Dresdner Puppentheater- sammlung erhalten haben. Die Titel dieser beigefügten Werke lesen sich zwar wie die Bestenliste der Weltdramatik; jedoch wurden Shakespeares, Schillers oder Richard Wagners Werke damals schon auf der Menschentheater- Bühne erheblich reduziert, um so mehr dann in der Fassung für den Hausgebrauch.In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderte sich die Spielbühne für Erwachsene zum Spielzeug für Kinder. Dafür gab es zwei Gründe: Zum einen entstanden in vielen deutschen Städten neue Theaterhäuser. Die meisten waren großzügiger gebaut, technisch besser ausgerüstet, innenarchitektonisch reicher ausgeschmückt als die überkommenen Theatersäle. Diese modernen Bühnen hatten kaum noch Ähnlichkeit mit jenen kleinen Modellen, wie es auf den Tisch gestellt werden konnte. Zum anderen wurden Kinder nun nicht mehr so selbstverständlich in die Welt der Erwachsenen integriert, wie es überkommender Brauch war. Immer nachdrücklicher wird im Laufe des 19. Jahrhunderts eine eigenständige Welt der Kinder gedacht und gestaltet. Folgerichtig gibt es nun auch im Stadttheater Aufführungen, die für ein Kinderpublikum bestimmt sind.

In diese Entwicklung fügte sich das Tischtheater bestens ein. Es war geradezu der ideale "Hauslehrer" -  jedenfalls für jene gutsituierten Familien, die sich dieses Spielzeug leisten konnten. Seine Anfertigung förderte handwerkliches Geschick, und die Einstudierungen machten auf spielerischem Wege mit großer Literatur bekannt. Mehr noch: Deren Ethik konnte und sollte auch die kindlichen Figuren-Führer anstecken. (Diese Hoffnung hatte ja schon das Schultheater des 18. Jahrhunderts - gerade im sächsischen Raume - bestimmt.) Die Kinder, denen nun das Tischtheater überlassen wurde, bekamen mit den Papierbogen auch die entsprechenden Textbücher. Allerdings wurden die Stücke von allen Handlungselementen "gereinigt", die die jungen Spieler hätten "unsittlich" beeinflussen können. Die Grenzen des Anstandes: Da wird in Schillers "Die Räuber" am Ende  die Bande zur Leibwache des Grafen von Moor!
Mit dem zwanzigsten Jahrhundert kam das Ende des Papiertheaters. Es hatte sich pädagogisch und ästhetisch überlebt. Auch wenn in manchen Kinderzimmern weiterhin noch Tischtheater am Leben erhalten blieben, ihre große Zeit war vorbei. Sie stehen nun als historische Rarität in den einschlägigen Museen, wie im Dresdner Museum für Volkskunst, in dem einige Bühnen zu besichtigen sind.

Nun also der Versuch, im Freiberger und Döbelner Theater diese Kunstform zu neuem Leben zu erwecken. Die Zuschauer, die sich wirklich auf dieses Erlebnis en miniatur einließen, schauten auf das Tischtheater nicht nur wie auf ein entzückendes Museumsstück, sondern tatsächlich auf ein kleines Stück vom Welttheater. Ihnen bot gerade diese Beschränkung der Bühne und die strikte Konzentration, zu der sie zwingt, einen ganz eigenwilligen Reiz - das leise Kontrastprogramm zur aktuellen Event-Kultur, die mit überbordender Fülle das Publikum zu überfluten sucht. Aber zum Resumé gehört auch die gewiß nicht überraschende Einsicht, dass mit diesem kleinen Theater auf Dauer kein großes Publikum zu erobern ist. Weil selbst die vierzig, fünfzig Plätze, die vor der Papierbühne aufgestellt waren, nicht ausverkauft wurden, hat das Theater schließlich - nach einer Reihe engagierter Vorstellungen - den Versuch wieder einstellen müssen.
 


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Das PapierTheater Nr.18                           SEITE 4                           Oktober 2010

Semesterarbeit

„Vergessene Oasen“

von Martin Haase

 

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Auf der ersten Seite das "Editorial": die Begrüßung des Lesers und die Einführung ins Thema: "Es ist doch nur Papier". Das illustrierte Inhaltsverzeichnis macht gleich Lust auf's Blättern und Lesen. Zunächst ein kurzer Artikel über die Geschichte des Papiertheaters. Dann folgen zwei Stücke aus "Haases Papiertheater".

Vorhang3


Die Abenteuergeschichten "Zeppelin" und "Die Reise zum Mond" sind mit wunderschönen Szenenfotos wiedergegeben und dem kompletten Text. Ein Teil der Seiten ist auf Hochglanzpapier gedruckt, ein anderer Teil auf rauhem und mattem Papier - ein besonderer optischer Reiz, und der Unterschied ist auch mit den Händen fühlbar. Natürlich gibt es auch den Blick hinter die Kulissen und - wie schon erwähnt - die beiden Interviews mit den Spielern, mit mir und mit Peter Schauerte-Lüke (der in seiner bekannten launigen Art das Papiertheater als "Playstation des 19. Jahrhunderts" bezeichnet).

Beim Papiertheater-Treffen in Preetz hatten wir ein Exemplar dieses Magazins bei uns, das schnell die Runde machte und überall auf eine begeisterte Resonanz stieß. "Kann man das kaufen?" wurde doch häufiger gefragt, aber wir mussten allen Interessenten zunächst einmal absagen. Bis dann der Gedanke aufkam, man könne doch vielleicht eine kleine Auflage von diesem Magazin nachdrucken und dann zu einem halbwegs vertretbaren Preis verkaufen. Das erscheint uns durchaus möglich und machbar, aber was die Auflagenhöhe angeht, tappen wir noch ziemlich im Dunkeln. Es wäre schön, wenn sich Interessenten bei uns melden würden (Tel. 0 21 91 / 7 72 87).

Zum Schluss noch ein Wort zu den eingangs zitierten "Oasen": Das Papiertheater ist tatsächlich so etwas wie eine "Oase" - ein zauberhafter Ort, ein Ort der Muße und der Fantasie. Papiertheater ist wie eine leise plätschernde Quelle in einer ansonsten oft sehr lauten und hektischen Welt.

Vorhang4

 

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Der Vorhang

 

 

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Das PapierTheater Nr.18                           SEITE 5                           Oktober 2010

Webmaster

In eigener Sache

 

 

Und wir sind sehr froh, dass wir einen Nachfolger für ihn gefunden haben. Der Vorstand hat am 11.09.2010 Martin Fischer beauftragt, Rainer Sennewalds Webmasteraufgabe fortzuführen. Da er in der Szene neu ist, hier ein Foto von ihm. Seine ersten Beiträge hatte er schon für die Septemberausgabe der Zeitung geleistet.

Die Redaktion wird Uwe Warrach weiter führen, für die Herstellung der gedruckten Ausgaben steht nach wie vor Gaby John zur Verfügung.


 

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Das PapierTheater Nr.18                           SEITE 6                        Oktober 2010

Ausstellung

Theater-Träume aus Papier

von Uwe Warrach

 

 

 


In dem kleinen, neueren Nebengebäude sind die Schätze aus der Welt des Papiertheaters aufgestellt, gut beleuchtet und gehängt, großzügig arrangiert und mit einem Arbeitstisch speziell für Kinder ausgestattet.

Proszerium

Wem Papiertheater neu ist, der findet hier eine schöne, aber überschaubare Einführung, alte Hasen treffen alte Bekannte wieder. Es ist überdies eine gute Gelegenheit, die weitere Umgebung des bedeutendsten Papiertheatertreffens der Welt näher kennenzulernen, wozu man während der Festtage ja nur selten kommt.

Museum


 


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