Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
Leider beim diesjährigen Festival in Preetz
nicht anwesend, aber unvergessen und von
Freunden in ihrem Haus in Preetz besucht, war Inge Severin, viele Jahre
mit
ihrem verstorbenen Ehemann Wilhelm fester Bestandteil der Festival- programme;
sie kommt
hier zu Wort.
Damit es in dieser Dezember- Zeitung aber auch ein
wenig weihnachtet, steuert Christian Reuter aus seinem unerschöpflichen
Archiv
ein Heiligabend-Bescherungs-Suchbild bei (Wo ist die Bühne?). Und um
unterm
Tannenbaum Premieren beim Gedichtaufsagen zu ermöglichen, reimt der
Papieropernlibrettist Hans-Jürgen Gesche von sprechenden Krippen- und
anderen
Figuren.
Wir wünschen, wie immer, viel Vergnügen mit der Lektüre.
die
Redaktion
INHALT – Nr. 19 – Dezember 2010
Ein Kasten Lebensfreude - Uwe Warrach zu Besuch
bei Inge Severin Seite 2
Stimmen in der Nacht der Nächte von Hans-Jürgen
Gesche Seite 3
alle Ausgaben
Das PapierTheater Nr.19
SEITE 2
Dezember 2010
Interview
Ein Kasten Lebensfreude
Uwe Warrach zu Besuch bei Inge Severin
Die Eheleute Inge und Wilhelm Severin entdeckten 1989
beim 2.
Papiertheatertreffen in ihrer Heimatstadt Preetz die Liebe zur kleinen
Bühne und spielten von 1991 an dort selber jedes Jahr mit. Ihre zehn
Inszenierungen trugen sie aber auch nach Hanau, Stuttgart, Kopenhagen,
Aarhus, Odense und Frankreich. Krankheit und Tod Wilhelm Severins
beendeten die gemeinsame Leidenschaft, aber in einem Kasten (natürlich
aus Pappe), etwas größer als ein Büroordner, bewahrt Inge Severin das
Stück Lebensfreude auf, das ihr und ihrem Ehemann das
Papiertheaterspiel bedeutete: ihre Inszenierungen mit Texten und
Bildern, zu Büchern gebunden. Von ihren Bühnen hat sie sich inzwischen
getrennt, aber dieses Andenken soll ihr bleiben.
Ich habe sie in ihrem Haus in Preetz besucht.
Inge Severin
Es war eine glückliche Zeit,
sagt sie, begonnen hatte es mit
Klaus
Beeltes Hänsel und Gretel, 1989 eine von insgesamt sechs Vorstellungen
des 2. Preetzer Papiertheatertreffens. Das erweckte schlagartig meine
Begeisterung, und mit der steckte ich gleich meinen Mann an. Er war
gerade pensioniert worden und ab sofort wieder gut beschäftigt. Wir
hatten eine phantastische Zeit. Von Spielwut gepackt, arbeiteten wir
nun jedes Jahr von Februar bis September an einem neuen Stück. Jedes
Mal etwas ganz anderes zu machen, war unser Ziel. Diese kreativen Jahre
haben uns Erfüllung gebracht.
Was haben Sie gemeinsam gemacht und
was haben Sie sich geteilt?
Mein Mann war der Bühnentechniker. Er baute die Bühnen, besorgte Licht
und Ton, ich malte die Figurinen und die Kulissen und schnitt sie aus.
Aber er wirkte auch dabei mit, dachte sich immer neue Sachen aus, vor
allem, um die Figurinen beweglicher zu machen. Nicht nur mit den
drehbaren Ständern, er ließ sich noch mehr einfallen. Zum Beispiel in
Karneval der Tiere bekamen die Eulen bewegliche Flügel, und die
Schildkröten konnten im Gleichschritt marschieren. Heikel war es mit
dem Wolf in Peter und der Wolf - damals spielten wir noch von oben -
wir mussten ihn mit einem Band am Schwanz packen und einfangen, was
jedes Mal sehr aufregend war. Der Feuervogel fliegt, nachdem er den
Zauberer besiegt hat, und dann stürzt mit Krach und Rauch dessen Palast
ein. Und der fesche Rudolf in Fisch zu viert hebt den Arm mit dem Glas,
aus dem er gleich das Arsen trinken wird.
Das feuerzeug
Gespielt haben Sie dann aber immer
gemeinsam?
Ja, wir konnten nicht voneinander los. Schon weil wir von beiden Seiten
agierten. Das hätte einer allein nicht gekonnt. Zuerst hatten wir
verdeckt gespielt, also hinter einer großen Verkleidung der Bühne. Dann
fanden wir es interessanter, die Spieler zu sehen und haben uns
befreit. Es gefällt mir nach wie vor am besten so. Wir hatten ja auch
nie einen absoluten Perfektionsanspruch. Ich mag es, wenn man sieht,
wie es gemacht wird, wie die Spieler tätig sind, und weil es
Laientheater ist und bleibt, darf auch mal etwas wackeln. Mir gefällt
sehr, wie es die schwedischen Castegren-Schwestern bringen.
Ihre Bühnenbilder und Figurinen
wirken aber durchaus professionell.
Ja, wir haben uns ja auch sehr viel Mühe gegeben, aber zuviel
Perfektion kann langweilig werden. Auch beim Bühnenbild. Die fertigen
Kulissen, die man kaufen kann, sind zwar fotografisch genau, aber sie
wirken auf mich etwas überladen. Ich habe einen sehr einfachen Stil.
Ich mag keinen Firlefanz. Ein Schloss zum Beispiel kann man sehr
verspielt gestalten, aber ich habe es bewusst einfach gemacht. Für
Antikes und Historisches haben wir nicht viel übrig gehabt. Das
Naturalistische hätte ich wohl nicht hingekriegt, ich habe graphisch
gestaltet. Klarheit war uns immer wichtig- auf der Bühne, bei unseren
Arbeiten und in unserem Wesen.
Alles selber zu machen, setzt ja eine
gewisse Befähigung voraus, die Sie offenbar mitgebracht hatten. Woher?
Ich bin gelernte Textil-Entwurfszeichnerin, habe auch sonst viel
aquarelliert, Hinterglasmalerei habe ich gemacht und Ausstellungen in
ganz Deutschland gehabt. Mein Mann war ebenfalls zeichnerisch begabt.
Alle Bilder, die Sie hier an den Wänden sehen, sind von uns. Die
Hinterglasmalerei hat mich zur naiven Malerei geführt, und diesen Stil
habe ich in unser Papiertheater eingebracht.
Carmen vor der (nun) Kaugummifabrik
Sagen Sie bitte noch etwas zu Ihrer Maltechnik.
Mit Stift gezeichnet, dann mit Aquarellfarben coloriert. Das war ja
sowieso meine Technik. Aber es besteht natürlich ein großer Unterschied
zwischen einem normalen Bild und der Farbgebung für die Bühne. Mein
Mann hat zuletzt mit dem Computer „gemalt“, das war sehr beeindruckend,
aber für mich ist das nicht das Richtige.
Fisch zu viert
Ihre Stückauswahl: Peter und der
Wolf, Karneval der Tiere, Der Feuervogel, Carmen, Die Liebe zu den drei
Orangen und Blaubart zeigt, dass Sie oft Musik eingesetzt haben. War
sie sogar der Auslöser für bestimmte Werke? Oder eher Zutat?
Wir waren immer an Theater und Musik interessiert. Als wir die
Schallplatte Peter und der Wolf hörten, gelesen von Mathias Wieman,
wussten wir, dass wir es machen wollten. Ähnlich erging es uns mit
Loriots Aufnahme vom Karneval der Tiere. In unserer Carmen-Parodie ist
die Musik natürlich ganz wichtig, obwohl die Geschichte ziemlich
verändert ist, Carmen ist eine Tonne von 300 Pfund. Übrigens reckt der
Damenchor bei den hohen Tönen die Hälse, was sehr gut ankam. Auch in
anderen Aufführungen haben wir Musik eingesetzt, so bei Das Feuerzeug.
Anregung konnte auch woanders her kommen, wie bei Fisch zu viert, ein
Krimi-Lustspiel, das wir in Berlin gesehen hatten. Oder ein Buch wie
Das Gespenst von Canterville, kennengelernt im Lesekreis- Sie sehen da
oben einen Stapel Reclamhefte, der stammt noch daher. Bei diesem Stück
holten wir uns die Musik von Benjamin Britten.
Bei so viel Musik bedarf es in der
Regel eines Soundtracks. Haben Sie den auch selbst gemacht?
Natürlich. Ganz einfach war es ja, nach den Schallplatten von Peter und
der Wolf und Karneval der Tiere zu spielen. Schwieriger war es, wenn
wir eigene Texte hatten. Die wurden mit verteilten Rollen gelesen, in
der Familie oder mit den Leuten aus dem Lesekreis, und auf Tonband
aufgenommen. Das zu tun war allein schon herrlich und hat viel Freude
bereitet. Dazu kam dann die Musik.
Karneval der Tiere
Die Idee war also da. Und wie ging es
der Reihe nach weiter mit der Inszenierung?
Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Bilder habe ich immer im Kopf.
Meistens entwickelten Handlung und Darstellung sich daraus, manchmal
kamen aber auch Bilder aus der Musik. Bühnentechnik und Bühnenbilder
entstanden parallel. In diesem Zimmer hier hat mein Mann
gewerkelt, nebenan habe ich gezeichnet. Und wir haben uns
gegenseitig auf Ideen gebracht. Zum Beispiel fanden wir es nicht nett,
Blaubart am Schluss umzubringen. Wir stellten ihn hinter eine Wand, man
hörte ein Messer wetzen, dann kehrte er zurück - ohne seinen blauen
Bart, das heißt ohne seine Macht. Auch wollten wir immer Neues machen,
wie in unserem letzten Stück, Bilder einer Ausstellung. Da haben wir zu
der Musik von Mussorgsky Bilder gezeigt, ohne action.
Auch wenn Sie nicht mehr spielen,
sehen Sie sich ja gerne nach wie vor Papiertheateraufführungen an-
haben Sie bestimmte Vorlieben?
Ja, vor allem Horst Römer. Er macht ja auch alles selbst. Dann die
Schwedinnen. Auch Poulter mag ich sehr, aus demselben Grund und weil er
ohne Perfektionismus starke Wirkungen erzielt.
Inge Severin zeigt mir nun ihre Figurinenentwürfe und die Bücher aus
dem Kasten. Das ist das Gesamtwerk,
sagt sie, ich habe es gemacht, als
ich Abschied nehmen musste, von meinem Mann und unserem gemeinsamen
Spiel. Er hat es noch gesehen, als er schon sehr krank war. Es war ja
Teil unseres Lebens geworden, eines sehr glücklichen Teils. Für die
Trauerfeier hatten wir etwas aus dem Karneval der Tiere ausgewählt.
Kurz bevor ich gehe, sagt sie noch etwas: Ich fühlte mich nicht gesund
genug, um in diesem Jahr das Papiertheatertreffen zu besuchen. Aber ich
habe mich sehr gefreut, dass mich viele von den „alten Spielern“
besucht und nicht vergessen haben. Das hat sehr gut getan.
Als ich wieder im Auto sitze und nach Hause fahre, denke ich: Mir hat
dieser Nachmittag auch sehr viel gegeben.
Blick ins „Blaubart“-Buch
Das PapierTheater Nr.19
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Dezember 2010
Weihnachtsgedichteaufsageservice der Zeitung DAS
PAPIERTHEATER
Stimmen in der Nacht der Nächte
von Hans-Jürgen Gesche
mit einem Bild aus der Sammlung Christian Reuter
Früher, lange vor der Wende,
konnten Tiere menschlich reden.
Das erzählt uns die Legende.
Und wie einst im Garten Eden,
gültig nur für eine Stunde
und nur in der Nacht der Nächte
punktgenau auf die Sekunde
öffnet das termingerechte
Fenster. Und der Stunde Gunst
nütz’ ich wie in alten Tagen:
durch der Tiere Redekunst
ihre Herkunft zu erfragen.
„Warum habt ihr hier im Stalle
einen Esel und �nen Ochsen,
die wie vor dem Sündenfalle
räkeln sich in warmen Boxen?
Wo sind Lamas, wo Kamele,
wo sind Ziegen an der Krippe?
Wo ich Schweine nicht empfehle-
Schweine haben Schweinegrippe.“
Doch kaum hatte ich begonnen,
spricht mit neuer Rednergabe
unser Öchslein, ruhig, besonnen,
so wie ich’s verstanden habe:
„In der Bibel beim Propheten
bei Jesaja gleich ganz vorne
hört den Esel man trompeten,
da bin ich mit meinem Horne:
„denn ein Ochs kennt seinen Herrn,
und ein Esel kennt die Krippe
seines Herrn ob nah ob fern,“
und bekaut die Unterlippe.
Ich wollt Manches noch erfragen,
doch die beiden blieben stumm,
dachten noch an Kopenhagen,
und die Stunde Null war um.
Früher, in der Nacht der Nächte,
so erzählt mein Urgroßvater,
(ob ich gar nicht daran dächte)
konnten beim Papiertheater
so wie einst im Garten Eden
punktgenau auf die Sekunde
alle Figurinen reden-
undsoheiterimmerweiter.