Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
in der Sommerausgabe der Webausgabe der Zeitung PapierTheater würdigt Gert Strauss vom WIENERpapierTHEATER das Lebenswerk von Dr. Herbert Zwiauer, der am 13.4.2011 verstorben war.
Dank der Arbeit von Christian Reuter und vor allem Inge Reuter als Übersetzerin kann ein Artikel von Henri George aus dem französischen Bulletin de la Société Archéologique, Historique et Artistique LE VIEUX PAPIERE hier in einer deutschen Übersetzung präsentiert werden.
Wie bereits in der letzten Ausgabe angekündigt wurde, schließen Barbara und Dirk Reimers ihr Geschäft in Preetz. Uwe Warrach hat sie besucht und lässt uns noch an ein paar wehmütigen Blicken an den einmaligen Laden in der Bahnhofstrasse in Preetz und ihren Besitzern teilhaben.
Und so bleibt uns wie jedes Jahr:Wir sehen uns in Preetz
Viel Vergnügen bei der Lektüre!
(mf)
Das PapierTheater Nr.23 SEITE 2 August 2011
Dr. Herbert Zwiauer ist, wie auf unserer
Internetseite berichtet, am 13. 4. 2011
In Wien gestorben. Viele Papiertheaterleute haben ihn als Ratgeber und
Lehrmeister geschätzt, manchem war er über Jahre Freund.
Gert Strauss vom WIENERpapierTHEATER, würdigt das Leben dieses
Sammlers.
1985 hat Henri George, der langjährige Leiter der
„Société LE VIEUX PAPIER“ bei einem Diner, dem regelmäßigen Treffen der
französischen Papiersammler, einen Vortrag über das Papiertheater in
Frankreich gehalten- Seine große Sammlung alter Drucke und
umfangreiches Wissen darüber waren Anlass und Grundlage für diese
Ausführung in der Zeit der Wiederentdeckung dieses Themas von Sammlern
und Spielern- auch in Deutschland . Sein Vortrag wurde in der
323. Ausgabe der Zeitschrift des Vereins, dem „Bulletin“ vom Januar
1992 veröffentlicht.
Wenn sich auch in den letzten Jahren über das Papiertheater neue
Erkenntnisse und viele genauere Beurteilungen erarbeitet wurden, gibt
der Artikel doch einen guten Einblick in die französische
Papiertheaterproduktion besonders auch der frühen Jahre.
Bei der Tagung BILD DRUCK PAPIER, dem deutschen 0internationalen
Treffen der Papiersammler, das diesmal in Epinal, der französischen
Hochburg der Bilderbogenproduktion, stattfand, erhielten wir vom
jetzigen Leiter der Société, Thierry Depaulis, die Erlaubnis der
Veröffentlichung einer deutschen Übersetzung in unserer Web-Zeitung. H.
George hat seine Sammlung populärer Druckgraphik inzwischen dem Museum
in Epinal übergeben.
Wir hielten es für gut, diesen Aufsatz den deutschen
Papiertheaterleuten zugänglich machen zu können.
CHR. Mai 2011
PAPIERTHEATER 1)
Die Sammler der populären Graphik stoßen häufig auf vereinzelte Blätter mit der Bezeichnung „Theaterdekorationen", ohne etwas über deren Verwendung zu wissen. Es fehlt heutzutage das Wissen um die Art ihres Gebrauchs und ihrer Nutzung. Und dennoch: Die kleinen„Papiertheater“ waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts außerordentlich beliebt, in Frankreich möglicherweise schon am Ende des 18. Jahrhunderts; später in vielen Ländern Europas.
In den letzten
Jahren versuchten englische Verlage die Neuauflage derartiger Theater
und behaupteten - was offensichtlich falsch ist - sie seien Mitte des
19. Jhs. in Großbritannien geschaffen worden. (2)
Diese Studie
erhebt nun wirklich nicht den Anspruch, das Gebiet historisch
erschöpfend zu behandeln. Ein Gebiet, das - so scheint es zumindest
nach meiner Kenntnis - bisher noch nie Gegenstand einer
Gesamtbearbeitung war. Es ist zu erwähnen, dass Henri René d'Allemagne
in seiner„Geschichte des Spielzeugs“ ein ganzes Kapitel den Marionetten, dem Guignol und dem „Kindertheater“
(d.h. das Theater, das von Kindern gespielt wurde) widmet, ohne die
Papiertheater und ihre Dekorationen überhaupt zu erwähnen. Es handelt
sich hier vor allem also um das„urbar machen“ eines wenig bekannten Bereichs mit Hilfe entsprechender Beispiele aus meiner eigenen Sammlung.
Zunächst gilt es jedoch, unsere Papiertheater von anderen ähnlichen Produkten abzugrenzen.
Als erstes sind da die bekannten Guckkastenbilder, schon speziell behandelt von Mitgliedern des „Vieux Papier“ insbesondere dem verstorbenen Edouard Kayser (3). Diese Kupferstiche - mehr oder weniger fein koloriert - waren dazu gedacht, durch eine große Lupe angeschaut zu werden, die das Bild umgekehrt zeigte und ihm zugleich den Eindruck eines dreidimensionalen Reliefs verlieh.
Diese Bilder zeigen mehrere Schichten: die vorderste Ebene ist mit Personen belebt und bisweilen umgeben von einem Rahmen aus Bäumen oder Sträuchern, perspektivische Zeichnungen (in der Mitte) ergeben einen Effekt der Tiefenwirkung. Die letzte Ebene schließlich enthält das Hauptthema: Schloss, Denkmal, Kirche, Brunnen, Marktplatz ...
Dann gibt es Dioramen: Das sind Bilder in kleinem Format; ausgeschnitten und auf Karton geklebt bestanden sie aus einer Anzahl unterschiedlicher Ebenen. Besonders Engelbrecht in Augsburg war ein bekannter Produzent dieser Bilder. Die in Kartonkästen in den Rillen eines Brettchens hintereinander aufgestellten Tafeln zeigten die verschiedensten Themen: Jagdszenen, Empfänge in königlichen Schlössern, herrschaftliche Bälle, Feuerwerke, Schauspiele ...
Als nächstes sind die Schattentheater zu nennen: Diese Bilder - in Schwarz gedruckt - ebenfalls ausgeschnitten und auf Karton geklebt, zeigten Personen, Tiere, Gegenstände, Fahrzeuge und Gebäude. Sie wurden für verschiedene kleine Komödien benutzt, indem die Elemente hinter einem transparenten Schirm aufgestellt und stark beleuchtet wurden.
Solche Schauspiele, die sogenannten „Chinesischen Schatten“, hatte ein gewisser „Seraphin“ (aus
Deutschland eingeführt) um 1770 in Versailles begründet. Sie waren
bekanntlich außerordentlich erfolgreich. Die Bilderbogenverlage,
besonders Pellerin in Epinal, Gangel in Metz und Wentzel in Weißenburg
gaben zahlreiche Bogen„Chinesische Schatten“ heraus, mit denen richtige Schauspiele gezeigt werden konnten. Pellerin veröffentlichte sogar den „Seraphin der Kinder“, eine Sammlung von Schattenspielen mit Stücktexten in einem Heft, das „Eine Anweisung für das Theater und den Mechanismus der Figuren“ gab (4). Unser Kollege A. Dupois hat eine wichtige Arbeit über diese Schattentheater in unserem Bulletin veröffentlicht. (5)
Kommen wir nun zu unserem eigentlichen Thema, dem „Papiertheater“.
Normalerweise bestehen sie auseiner Fassade oder dem Bühnenportal (auch
Proszenium genannt), entweder aus einem oder mehreren Teilen. Auf dem
Giebel ist ein Titel angebracht: „Opera“, „Opera comique“, „Théâtre
fran�ais“ „Théâtre des Folies Bérgeres" etc. Auf einem Theater von
"Ulysse" ist der Titel „Opera“ durch zwei andere ersetzbar, „Gymnase“
und „Odéon“. Auf einem anderen Bogen finden sich in gleicher Weise die
beiden Titel „Vaudeville“ und „Ga�té“ (Lustspiel).
Ohne Zweifel wechselte man diese Titel aus - abhängig vom gespielten Stück.
Hinter dem Bühnenportal gab es einen Bühnenvorhang (oft zusätzlich ein
roter Vorhang mit goldenen Quasten) der - auf ein Tuch geklebt -
aufgerollt werden konnte.
Die Dekorationen bestehen aus „Kulissen“, die normalerweise an beiden
Seiten in mehreren Ebenen gestaffelt aufzustellen waren und einem
Hintergrund mit dem gleichen Motiv wie die Kulissen. Um einen Eindruck
von der Fülle der Motive zu geben - sie finden sich in gleicher Weise
bei den meisten Herausgebern dieser Theater - reicht die Aufzählung der
Titel der 27 Dekorationen des „Grand Théâtre Nouveau“ von Pellerin in
Epinal, die einfach oder vergoldet auf Bogen im Format 40x60 gedruckt
waren: Öffentlicher Platz, Salon, Palais, Gefängnis, Wald, Höhle, Café,
Gothischer Saal. Bäuerliches Zimmer, Landschaft mit Windmühle,
Arktische Landschaft, Kaserne, Stoffladen, Esszimmer, Wintergarten,
Kirmes, Pyramiden in Ägypten, Schlucht (mit beweglicher Brücke),
Meeresküste mit Kasino, Burg, Bahnhof, Hafen (Schiffsunglück),
Chinesisches Haus, Park und Garten, Gerichtshof, Feengarten,
Bauernküche.
[(stark verkleinerter) Bogen von Ulysse: Hintergrund eines Platzes mit
Fachwerkhäusern]
Man erkennt also die vielen Möglichkeiten an Stücken und Komödien, die mit diesen Theatern gespielt werden konnten.
Zu den Versatzstücken zählen verschiedene Objekte, wie Möbel, Fahrzeuge ...Die Buchhandlung André Lesot, rue de l'Eperon 10 in Paris, hat eine Broschüre von „Ingenieur Henry Graffigny“ veröffentlicht, die auf 40 Seiten (2. Auflage 1917) alle Angaben für die „Konstruktion, Installation und Herstellung der Dekorationen und Figuren, der Beleuchtung und Tricks, Grundrisse und Zeichnungen für ein Kaspertheater" gibt. Dieses Kaspertheater benutzte sämtliche Dekorationen des "Grand Théâtre Nouveau“ von Pellerin. Der Autor der Broschüre gab sehr detailliert viele praktische Ratschläge für die unterschiedlichen Schritte des Aufbaus und er führte auch die Kosten für die verschiedenen zu beschaffenden Teile auf.
Am Anfang des Heftes befand sich die folgende Liste mit „Stücken für das Kaspertheater" von demselben Autor.
Stücke für das Guignol-Theater.
Jedes Stück beginnt mit praktischen Anweisungen 0,75
fr
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Eine silberne Hochzeit, Lustspiel in 1 Akt mit Gesang
Der Zauberkoffer, komische Komödie in 1 Akt und 2 Bildern
Die beiden Advokaten, komische Komödie in 1 Akt
Die rote Hose oder der Bezwinger der Krake, Zauberstück in 4 Akten und
5 Bildern
Die Plackerei des Paters Cafignon, Lustspiel in 1 Akt
Der Talismann, Zauberstück in 2 Akten und 12 Bildern
Eine schöne Landpartie, Singspiel in 1 Akt und 2 Bildern
Die Abenteuer des Baron Pierrecafeu, Komödie in 2 Akten und 12 Bildern
Messerheld Kaspar, Melodrama in 5 Akten
Der Händler der Stockschläge, Komödie in 1 Akt
Polichinell als Einsiedler, Lustspiel in 1 Akt
Die Schwänke des Hanswürstchens, Komödie in 1 Akt und 2 Bildern
Der Schatz des Nordpols, Zauberstück in 5 Akten und 6 Bildern
Alle Rechte der Reproduktion, der Übersetzung und der
Bearbeitung sind für alle Länder vorbehalten
Eine andere, gebräuchlichere Nutzung,
für die die Theater-Dekorationen eigentlich gemacht wurden, bestand in
der Anfertigung eines Bodenbrettes „mit Rillen“, in welche die
verschiedenen Dekorationen eingesteckt wurden und vor dem die Fassade
„mit kleinen Keilen zu befestigen“ ist, wie es in dem unten gezeigten
Schema für das „tragbare Theater mit Rillen“ von Pinot & Sagaire
aus Epinal heißt.
Es konnten also auf diesem Boden, der eine richtige verkleinerte Bühne darstellte, Personen durch Fäden bewegt auftreten, seien es kleine Stoffpüppchen, seien es Papierfiguren, auf Karton geklebt und ausgeschnitten aus den zahlreichen Figurenbogen für Theater, welche die zahlreichen Herausgeber der Dekorationen lieferten.
Ich habe in meiner Kindheit als Gast in Epinal eine Theatervorführung eines Freundes meines Vaters miterlebt, der eine solche Bühne aufgebaut hatte und jeden Donnerstagnachmittag Vorstellungen für die Kinder der Nachbarschaft gab. Das bedeutet, dass diese Theater, die vor allem im II. Empire modern waren, lange überlebt haben und für die Kinder genau so viel Anziehungskraft boten, wie die Comics und andere Spektakel heute, die das Fernsehen in jedes Haus bringt.
Ohne den Anspruch einer erschöpfenden Aufzählung soll nun über die Herausgeber berichtet werden, die sich mehr oder weniger auf die Produktion der Papiertheater spezialisiert hatten.
Wie auf vielen anderen Gebieten der populären Graphik auch waren die ersten Produkte ds Papiertheaters bei den Bilderfabrikanten der rue St. Jaques in Paris anzutreffen. Der wichtigste unter ihnen scheint der Lithographie-Herausgeber ULYSSE gewesen zu sein, der 1830-36 in der„rue St. Jaques 66, 2. Etage“ firmierte. Verschiedene Bogen tragen - unter anderem - die Bezeichnung „und bei Hocquart senior, 64, rue St. Jaques“ (Hocquart war auch bekannt als Herausgeber von Guckkastenblättern und als Nachfolger des berühmten Basset).
Von 1837 bis 1847 änderte sich der Name der Firma in „Ulysse et Cie“ - bei gleicher Adresse. 1847 bis 1852 zog sie in die rue de la Harpe 32, während sich das lithographische Atelier in der Rue de la Parcheminerie befand. Von 1852 bis 1854 findet man sie in der Rue de la Harpe 46. Die spätere Firmierung bis zu seinem Verschwinden um 1861 lautete„Ulysse-Denis, Rue du Platre St. Jaques 28“.
Ulysse konnte auf
verschiedene Lithographen zurückgreifen, besonders auf Garson, Rue de
la Cité 36, bekannt als Autor zahlreicher „Canards“. Auf einem Bogen
(Gothischer Palast) findet man gleichfalls die Angabe eines anderen
Lithographen: Ricaud, Rue des Noyers 36.
Ein Bogen von 1852 trägt die Bezeichnung: „Lith. Vayron, Rue Galande 51“.
Es ist sicher, dass Ulysse seine Theaterdekorationen seit 1830 produziert hat. Wir besitzen einige Bogen auf handgeschöpftem Papier (papier vergé), die folglich vor 1837 entstanden sein müssen. Andere Bogen mit dem Stempel des Dep�t legal (was eine Datierung erlaubt) lassen sich auf die Zeit vor 1852 einstufen.
Einige Bogen nennen gleichfalls verschiedene Drucker: „Blanchard, Rue de Grange Truandereie 42“, „Lemercier, Bernhard et Cie“.
Es existieren mehrere Theatermodelle in unterschiedlichen Maßen. Auf einem Bogen von 1836 mit dem Aufdruck „bei Hocquart sen., Rue St. Jaques no. 64“ ist weiterhin angegeben: „N.B. Man findet in diesem Haus ein vollständiges Sortiment an Theater- und Dekorationsbogen aller Art von 8 bis 24 Zoll.“ (6)
Wie wichtig diese
Produktion von Ulysse auch gewesen sein mag, so hatte die Firma sicher
kein Monopol auf dem Gebiet dieser Theater, denn wir finden auch einen
Bogen von 1845 der „Witwe Noussilot et Joussard, Rue de Beaujolais no.
2“.
Pellerin hat später die Themen dieser
Dekorationen übernommen, insgesamt die gleichen, die in der oben
erwähnten Liste aufgeführt sind: Landschaften, Plätze, Häuser,
Monumente, und sie dem romantischen Geschmack der Zeit angepasst. Die
Dekorationen der Interieurs, der Küchen, Stuben und Salons geben
interessante Einblicke in die Möblierung. Besonders bemerkenswert
bei vielen der Küchendekorationen ist die Populargraphik an den Wänden.
Der farbige Bogen im aktuellen Heft unseres Bulletins, betitelt „Théâtre mervellieux“, ist der Deckel einer Schachtel, die - wie es angegeben ist - neben den notwendigen Teilen zum Aufbau des Theaters und der Dekorationen auch eine Sammlung von Stücken sowie 24 Figuren enthält. Diese Kästen wurden vom Herausgeber Wattiliaux in Paris vertrieben.
Es ist eine
kolorierte und geleimte Lithographie von 32x36 cm von H. Jaunin,
gezeichnet von B. Couderc, die eine Aufführung von Kindern für Kinder
Ende des 19. Jahrhunderts zeigt. Dies ist zweifellos auch die letzte
der Pariser Produktionen auf diesem Gebiet.
Wie bei den meisten Gebieten der
populären Graphik haben die Bilderfabriken der Provinz - ganz besonders
jene in Ostfrankreich - nicht gezögert, ihre Pariser Kollegen zu
kopieren.
Die Imagerie Pellerin gab als erste um 1842(7) ein „Petit Théâtre“ heraus, dessen Maße eigentlich eher einem Guckkasten als einem Theater entsprachen (der Hintergrund maß 10,5x13 cm). Es bestand aus einem Proszenium, einer Dekoration Öffentlicher Platz, einem Garten, einer Stube, einem Bauernhof und einem Fischerhafen; jede mit den zugehörigen Kulissen, alles Holzschnitte und ... kräftigst koloriert.
Danach kam, gleichfalls in Holzschnitten, ein nur wenig größeres Theater heraus
(17,5x24 cm für den Hintergrund), das aus einem Proszenium und einem
Vorhang bestand, dazu kamen ein Städtischer Platz, ein Salon, eine
Bauernstube, ein Palast, ein Kerker, eine Meeresküste - mit den
entsprechenden Kulissen. Es wurde in der Zeit des II. Empire durch zwei
Bogen „Dekoration des Militärtheaters“, signiert von Vanson,
komplettiert. Mehrere Bogen „Ländliches Dekor“ enthielten auch
Personen, Tiere und Bäume, welche aufgeklebt und ausgeschnitten der
Belebung der Bühne dienten.
Etliche Dekorationen sind offensichtlich sowohl bezüglich der Themen als auch in der Ausführung von denen des Pariser Ulysse inspiriert.
Danach wurde ein anderes, größeres Theater (Hintergrund 29x38 cm) von der „Imprimerie et lith. de Pellerin à Epinal“ herausgegeben; die Lithographie war von Chaste, die Zeichnung von A. Soret. Mit dem Proszenium samt Vorhang umfasste es folgende Dekorationen: Bauernstube, Zimmer, Salon, Schloss, Wald, Meeresküste (Hafen?), Mühle, Palast und - selbstverständlich - die zugehörigen Kulissen.
Als Pinot et
Sagaire in Epinal ihre konkurrierende Firma eröffneten, produzierte
diese natürlich auch ein Theater: das „Neue tragbare Theater mit
Rillen“, das sich „schnellstens auf- und abbauen“ ließ. Die
Montageanweisung wurde oben schon abgedruckt.
Die Produktion dieses Theater wurde
nach der Übernahme des Hauses Pinot von Pellerin wieder aufgenommen,
und es gab bis in unsere Tage zahlreiche Ausgaben. Es enthielt folgende
Dekorationen (mit den entsprechenden Kulissen): Palais, Bauernstube,
Park Luxemburg, Platz Palais Royal, Gefängnis, Wald, Salon, Venedig,
Bauernhof, Schloss.
Zuletzt realisierte Pellerin das „Grand Théâtre Nouveau“, genannt „Opéra“, dessen Liste von 26 Dekorationen schon oben aufgeführt wurde.
Auch der große Konkurrent von Pellerin, Gangel (später Gangel & Didion) in Metz, brachte Theater heraus:
ein großes Theater (der Hintergrund misst 29x39 cm) mit ähnlichen Dekorationen wie Pellerin (Schloß, Wald, Salon, Garten...).
Ein anderes kleineres Theater (Hintergrund 17x27 cm) mit ähnlichen Bildern.
Ein mittleres Theater (Hintergrund 19x27 cm) betitelt „Petit théâtre
dorée“ (Litho gesteigert durch Golddruck), dessen Front mit „théâtre
des variétés“ beschriftet ist und ein vergleichbares Dekors und einen
prunkvollen blauen Vorhang, rot und golden, mit Sternen besetzt,
vorzuweisen hat.
Delhalt, der
Nachfolger von Gangel et Didion, der sich nach 1870 in Nancy
niederließ, fügte ein neues Theater mit Metzer Hintergründen hinzu: das
„Grand Théâtre“, das diese Bezeichnung durch seine Dimensionen
rechtfertigt, denn der Hintergrund maß 36x50 cm. Man findet jedoch
immer den gleichen Typus der Dekorationen: Palais, Fluss, Burg (mit
Hängebrücke), Meer, Stadtplatz, Bauernhaus, Gefängnis, Bauernstube,
Wald, Schloss, Salon, dazu Bogen mit prunkvollen Figuren im Maßstab
dieser Bühne.
Die „Imagerie Nouvelle“, Vagné in Pont-à-Mousson blieb nicht hinter ihren Konkurrenten zurück, sie produzierte ebenfalls:
Ein Theater (Hintergrund 24x37 cm) mit vergleichbaren Dekorationen und
Kulissen, teilweise mit Neuerungen: ein Dörfchen, ein Schweizer Dorf,
ein Platz in Straßburg, ein Fort Vauban (datiert 1892), eine Herberge.
Ein sehr großes Theater (Hintergrund 35x50 cm) mit Dekorationen, die
ebenfalls einige Innovationen brachten: ein Arsenal, ein Hotel, die
Pariser Oper.
Die Imagerie Wentzel in Weißenburg mit einer Niederlassung bei Witwe Humbert, Rue St. Jaques 65, produzierte gleichfalls ein Theater, von dem Dominique Lerch(8) im Depot Legal 13 Dekorationen erfasste, darunter ein Hintergrund mit typisch elsässischem Zimmer.
Zum Schluss sind noch die „Imageries Reunies de Jarville“ zu erwähnen, welche Nachdrucke der Hintergründe von Gangel & Didion und Delhalt in Metz und Nancy herausbrachten und die sie - ohne falsche Bescheidenheit -- in einem hier reproduzierten Katalog der 1920er Jahre als "die wichtigsten der Welt" bezeichneten: diverse Theaterdekorationen, die sie in jener Zeit noch verkauften.
Was das Ausland
betrifft, so sei auf folgende Firmen - außer den oben erwähnten
deutschen und englischen Reeditionen - hingewiesen:
- in Mailand: Via Vivario 10, Boldetti di Marcenaro e Maccho (bemerkenswert ist das Pariser
Palais du Louvre)
- in Neuruppin: Oehmigke und Riemscheider
- in Esslingen: Schreiber
Von all diesen Theaterbogen und Dekorationen sind nicht viele bis in unsere Tage erhalten geblieben.
Die Imagerie d'Epinal hatte einen Lagerbestand (an Bogen) aufgehoben, der leider jedoch durch ein Feuer größtenteils vernichtet worden ist.
Aufgeklebt auf
Karton, ausgeschnitten und den Kinderhänden überlassen, haben diese
Bogen die Kurzlebigkeit so vieler Bilder erlitten. Sie haben aber das
Verdienst, viele Kinder vor den Aufführungen auf den kleinen
Papiertheatern träumen gelassen zu haben. Vielleicht hat es ihnen den
Sinn für das Theater gegeben und - wer weiß? - sogar den Ruf zum
Schauspieler geweckt.
aus: BULLETIN de la Société Archéologique, Historique et Artistique LE
VIEUX PAPIER,
Fascicule 323, Paris, Januar
1992:, S. 4-12. Übersetzung Inge Reuter, 2006
1) „Papiertheater“ war Thema eines Vortrages beim 518. Diner der Société Vieux Papier am 20. Juni 1985
4) Pellerin, Epinal, 44 Seiten, o. J.
5) B ulletin du Vieux Papier Nr. 216, April
1966, Seiten 341.154
Zu Schattentheater siehe auch:
Ombres et Silhouettes, von H. Pearl, J. Boermans, P. van Delft, Verlag Hachette, 1979, 160 Seiten (Wichtiges Buch!)
Magie lumineuse, Über Schattentheater und Laterna Magica, von J. und P. Remise, Hrsg.: Van de Walle, Balland, 1979, 318 Seiten
6) 1 Zoll ist ca 27 mm, die Bühnen also 22 bis 65 cm.
7) Depot légal vom 30. Juli und 13. August 1842 und 1. Juli 1843.
8) V. D. Lerch, Imagerie et sociètè. L’imagerie Wentzel de Wissembourg au XIXe siècle, 1982. Publikation Sociètès savantes d’Alsace
Das PapierTheater Nr.23 SEITE 4 August 2011
Interview
Vor ihm lag ein
langer, schmaler Raum, der sich nach hinten zu im Dämmerlicht verlor.
An den Wänden standen Regale, die bis unter die Decke reichten und mit
Büchern aller Formen und Größen vollgestopft waren. Auf dem Boden
türmten sich Stapel großer Folianten, auf einigen Tischen häuften sich
Berge kleinerer Bücher, die in Leder gebunden waren und von der Seite
golden glänzten. Hinter einer mannshohen Mauer aus Büchern, die sich am
gegenüberliegenden Ende des Raumes erhob, war der Schein einer Lampe zu
sehen.
Diese Atmosphäre, die Michael Endes Roman „Die unendliche Geschichte“
einleitet, kommt mir in den Sinn, wenn ich Dirk und Barbara Reimers’
„Pollidor’s Papier Curiosa“ in der Bahnhofstraße in Preetz betrete,
oder besser: betrat, denn das ist vorbei, das Ladengeschäft trägt nicht
mehr. Anlass für ein Gespräch mit den beiden und für ein paar
Erinnerungsfotos.
1) Siehe „Das Papiertheater“ Nr. 7 /September 2010 und Internetausgabe Nr. 18 /Oktober 2010