Das PapierTheater Nr.28
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August 2012
Jubliäum
25.000 Besucher! 1.000 Aufführungen! 90 Bühnen! -
25. Papiertheatertreffen Preetz
Kurze Chronik der „Welthauptstadt des Papiertheaters“ (Ostholsteiner Zeitung vom 11.09.2003)
von Uwe Warrach
„Ich kam als Fremder und ging als Freund.“
(Eintragung in Dirk Reimers’ Gästebuch, 1997)
Das erste Treffen 1988 kam noch mit zwei Tagen und 5 Bühnen aus, die
spielten aber 13 Stücke und verkauften 280 Karten.
Diese
Gründergesellschaft wollen wir hier vollständig mit Namen ehren:
Papiertheater Krope mit „Peter und der Wolf“ und „Die Kluge“,
Langenkamps Papiertheater („Don Giovanni“, „Der Fliegende Holländer“),
Carl-Hellriegel-Nachfahren („Deutsche Balladen“), Initiator/in
Dirk und Barbara Reimers’ Papier-Puppen-Theater Dirk Reimers („Der
kleine Puk“, „Die Schmuggler“, „Das arabische Pulver“, „Verraten“),
Papiertheater Invisius („Dornröschen“, „Rumpelstilzchen“, „Der kleine
Prinz“) – was für ein Repertoire! Doch es wurde auch kritisiert: Zuviel
„gezeigt“, zu wenig gespielt, das müsse anders werden.
Beim zweiten Treffen war Per Brink Abrahamsens Svalegangen aus Aarhus
dabei, ebenso Beelte; die Stücke dauerten 50 bis 60 Minuten, „Die
Kluge“ sogar 90 Minuten. Eintritt 3 DM, Kinder 1,50 DM.
Das 4. Treffen machte den Großen Sprung nach vorn: Erweiterung um den
Freitag und Anstieg von 15 auf 23 Aufführungen. Dänemark war wieder
dabei, auch die Niederlande. Severinchen aus Preetz trat in
Erscheinung, Papiertheater Museum Hanau, Phoenix Papierentheater.
Das Treffen wächst, damit aber auch die finanzielle Sorge.
Das Fünfte
droht am Geldmangel zu scheitern, findet dann aber doch in Preetz
Sponsoren. Bauen und Spielen mit Kindern gehört ab jetzt zum
Programm. George Speaight, grand old man aus England, spielt mit seiner
Frau Mary „The Miller and his Men“. Die Dokumentation berichtet auf
Deutsch, Englisch und Dänisch, unter anderem über das Interview mit dem
dänischen Papiertheater Lurifax und Dirk Reimers im Deutschlandfunk.
1993 beginnt eine langjährige Tradition: eine Auktion von
Papiertheaterbögen zugunsten des Treffens. Öffentliche und private
Sponsoren und Spender werden mehr.
Zur Eröffnung des 8. Treffen kommt eine Ministerin, und die „englische
Papiertheater-Gilde“ tritt auf: Peter Baldwin, Robert Poulter und Brian
Rogers sind nicht nur da, sondern auch begeistert. Norbert Neumann wird
Poulter’s Bühne als „kleinste und klapprigste“ beschreiben, wobei er
Poulter für einen der größten hält. Poulter selbst lobt ein Jahr später
das Treffen: „Es erinnerte mich an meine Besuche beim Edinburgh
Festival(...). Ich beneide Euch darum, denn es ist immer noch sehr
schwierig, in England ein so begeistertes und intelligentes Publikum zu
finden wie Eures. Das andere Entzückende war die Freundlichkeit aller
Organisatoren und der anderen Spieler. (...) Und zu alledem noch das
entzückende, liebevoll zubereitete Essen, der wundervolle Fisch! Und
die Morgenspaziergänge im aufsteigenden Nebel um die Stadtseen!“ Peter
Baldwin bedauert, dass Großbritannien, „das auf eine 180 Jahre alte
Papiertheatertradition zurück blickt“, nichts Vergleichbares habe.
Der NDR berichtet am 31.08.1995 über das Treffen, Radio
Schleswig-Holstein am 19. September.
1996 wieder ein Quantensprung: von 27 auf 50 Aufführungen, von 500 auf
1.200 verkaufte Karten. Noch einmal Poulter: „Ich verlasse Preetz immer
sehr inspiriert, weil es ein solches Vergnügen ist, vor Leuten zu
spielen, die an diesem Medium wirklich interessiert sind und verstehen,
was man erreichen will.“
Zum 10jährigen Jubiläum das Grußwort der Ministerin für Bildung,
Wissenschaft, Forschung und Kultur: „Das Preetzer Papiertheaterfestival
ist ein Kleinod in der Kulturszene Schleswig-Holsteins und ein
inzwischen fester Bestandteil unseres Kultursommers.“
In der Dokumentation freut sich Per Brink Abrahamsen, anfangs Unrecht
gehabt zu haben, als er skeptisch prognostizierte, dass es nicht
möglich sein werde, Jahr für Jahr genügend Zuschauer und Bühnen für ein
Papiertheatertreffen zu finden. Peter Peasgood bemängelt, einige Stücke
seien zu lang, um das Publikum die ganze Zeit über zu fesseln.
Ansonsten sei auch er sehr angetan gewesen, auch von der Organisation,
nur „gab es zwischendurch eine Menge langatmiger Reden, die für mich im
fortgeschrittenen Alter von 66 (wow) etwas ermüdend waren, so dass ich
mich zuweilen ausklinkte, um mich in einer ruhigen Ecke am besten
Kaffee Norddeutschlands zu erfreuen.“ Dieser nette Hinweis auf die gute
Gastronomie ist sicherlich allgemeingültig, zumal das Wetter dem
Treffen meistens wohl gesonnen ist und sich Kaffee und Kuchen auch
draußen genießen lassen.
Dirk Reimers, Erfinder und Seele des Treffens, ist bislang in diesem
Beitrag etwas zu kurz gekommen; 1997 erhält er die Ehrenmitgliedschaft
von Dansk Dukketeaterforening. Er erinnert sich: „Wie alles begann“ und
daran, wie man am Anfang improvisieren und zum Beispiel zwecks
Verdunkelung blaue Müllsäcke vor den Fenstern einer Veranda anbringen
musste, die dem Raum eine unerwartete besondere Atmosphäre verliehen.
Und an den Schreck darüber, dass am Tag der Veranstaltung ein großes
Musikertreffen auf dem Marktplatz geplant war. Also: Lärm, Störung der
Vorstellungen! Damals war der Wettergott in anderer Weise gnädig: Er
ließ es schütten wie aus Kübeln, die Musiker streckten die
Instrumente.
1998 gibt es den Kulturpreis der Stadt Preetz für das
Papiertheatertreffen. Wieder kommen neue Bühnen. Eigene Texte und
freiere Spielarten nehmen zu. Europaminister Gerd Walter eröffnet das
11. Treffen und zitiert den Medienkritiker Neil Postman („Wir amüsieren
uns zu Tode“): Das Fernsehen verlange keine besonderen Fähigkeiten,
aber es entwickele auch keine. Will meinen: Im Gegensatz zum
Papiertheater.
Beim 12. Treffen ist wieder
Traumwetter, die Eröffnung findet „open
air“ statt und das „Reste-Essen“ auch. Ministerin Ute Erdsiek-Rave
zeigt sich fasziniert und schlägt vor, das Papiertheatertreffen in
Festival umzutaufen. Das haben schon Viele versucht, aber die sturen
Papiertheaterfischköppe wollen beim Treffen bleiben, weil das Treffen,
also die Begegnungen von Spielern und Zuschauern mindestens so wichtig
sei wie das für Festivals typische Show-Element. 13 Jahre danach heißt
es immer noch TREFFEN.
Aus New York kommen Great Small Works, aus Seattle Clay Martin’s Puppet
Theater.
Im Jahr darauf ist erstmalig Südafrika vertreten: Das
Mavani-Model-Theatre bringt afrikanische Märchen.
Beim 13. Treffen spricht Ralf Stegner als Vertreter der
Landesregierung.
Am 14. Treffen 2001 möchte Jon Bankert aus New York erstmalig
teilnehmen und packt sein Vest Pocket Playhouse ein. Er wird nicht
ankommen. Ein Jahr danach, 2002, schreibt er: „Plötzlich brachten
Kurznachrichten die Mitteilung, dass ein Flugzeug in das World Trade
Center gerast war. (...) Bis zum Mittag waren alle US-Grenzen
geschlossen, und so konnte ich nicht zum 14. Preetzer
Papiertheatertreffen kommen.“
Dann weiter: „In diesem Jahr aber flogen
die Flugzeuge, und ich erlebte einen der Höhepunkte meines Lebens: das
15. Preetzer Papiertheatertreffen.“
Mit Eric Bernard kommt ein Sammler und Aussteller aus New York, und das
nicht zum letzten Mal. Im Hauptberuf an der Metropolitan Oper, ist das
Papiertheater seine Leidenschaft, „das den Kulturunterschied zwischen
alter und neuer Welt auf den Punkt (bringt). Es ist kommunikativ, regt
zu Kreativität und Aktivitäten an. In den USA wird den Menschen
Unterhaltung nur vorgesetzt.“ Nun, das ist bei uns auch nicht so viel
anders – außer in Preetz. Doch auch dieses Treffen war gefährdet, und
zwar für alle. Es stand bis kurz vor Beginn auf tönernen finanziellen
Füßen. Neue Sponsoren, private Spender und Verzichtsleistungen einer
Bühne retteten es im letzten Augenblick.
An diese Stelle gehört ein Applaus für das organisatorische Geschick
der Veranstalter/innen, namentlich Marlis Sennewald (bis 2003 Dr.
Jürgen Schiedeck) mit den Leuten von der Volkshochschule Preetz und
Dirk Reimers mit Frau Barbara. Ich habe das erst richtig zu würdigen
gewusst, seitdem ich selbst Spieler und Nutznießer der umsichtigen
gründlichen Planungen gewesen bin. Im Februar beginnen die
Vorbereitungen. Spielstätten, Unterbringung, Spielplan, Versorgung,
Werbung, Kartenverkauf, Abrechnungen und was-weiß-ich - alles muss
perfekt geplant werden und wird es auch. Immerhin spielt man in Räumen,
in denen bis Freitagmittag Schulunterricht stattfindet und ab
Montagfrüh wieder. Bewundernswert das Ineinandergreifen aller Gewerke,
und ein Extralob sollte man immer wieder der Truppe um den Hausmeister
zollen, die umgehend die Räume verdunkelt und Sonntagnachmittag wieder
erhellt. Gerade die unsichtbaren Geister würde man erst richtig zu
schätzen wissen, wenn sie nicht wirklich da wären. Für die Veranstalter
geschieht zudem immer wieder Unvorhergesehenes, zum Beispiel, wenn am
Tag vor Beginn oder gar am Tag selbst eine oder gar zwei Bühnen
absagen. Die Karten sind aber längst verkauft, die Leute werden kommen.
Und so was gehört jedes Jahr dazu und muss von Marlis, Dirk und ihren
Leuten gestemmt werden. Ohne Boni.
Zu 2001 ist nachzutragen, das Heinz Holland verstarb, der 13 mal das
Treffen mit seinen Balladen bereicherte. Im Jahr seines Todes wurde
sein Enkel Willem geboren; ihm werden wir beim 23. und 24. Treffen
begegnen.
Im Sommer 2004 beendet Dr. Jürgen Schiedeck überraschend sein
Arbeitsverhältnis mit der Preetzer Volkshochschule und damit auch als
Mitorganisator des Papiertheatertreffens. Zeit zum Jammern bleibt
nicht, die „Show must go on“, und zum Glück ist mit Marlis Sennewald
eine begeisterte Nachfolgerin in Sicht und auch bald da. Mit ihrem
Ehemann Rainer kommt ein Berufsfotograf und Pressemann hinzu, der den
neu gestalteten Dokumentationen Gesicht und hervorragende Fotos gibt.
Von nun an erscheinen Broschüren in professioneller Qualität, die sich
überall sehen lassen können.
Uffe Andreasen, Botschaftsrat der Königlich Dänischen Botschaft Berlin,
erzählt in seinem Grußwort zum 18. Treffen 2005, wie er als Kind
Papiertheater gespielt habe, später mit seinen Kindern, und dass Hans
Christian Andersen ebenfalls ein Puppenspieler gewesen sei, den er
eigentlich zu seinem (Andersens) 200. Geburtstag zum Ehrenmitglied des
Kreises würde ernennen wollen.
Im Grunde sind sie mittlerweile eine Art von Hausbesetzern geworden,
die Papiertheaterspieler in Preetz. Mit dem Schulgebäude kommen sie
nicht mehr aus, da müssen noch ein Speicher, ein alter Stall mit
Polizeigefängnistür und ein Ladengeschäft herhalten, ja, und das
Pastorat.
Per Brink Abrahamsen beobachtet bei den Theatern Wandlungen gegenüber
den Anfängen: fast alle Stücke seien neu geschrieben, dramatisiert,
gezeichnet und einstudiert. Er registriert, dass viele der jüngeren
Spieler über andere Arten des Puppenspiels zum Papiertheater gekommen
und weniger der Tradition verpflichtet seien als die älteren, dass sie
aber „die ungeahnten Möglichkeiten des kleinen magischen Raumes des
Papiertheaters für sich entdeckt“ hätten.
Im Papiertheatershop, wo man vor allem Kulissen- und Figurenbögen
kaufen kann, taucht eine Neuheit auf: Der erste
Papiertheaterroman, ein Hörbuch über zwei Kinder, die in die Welt des
Papiertheaters geraten, und das auf abenteuerliche Weise. Ihm werden
bis heute 3 Fortsetzungen folgen. Die Reinerlöse fließen in die Kasse
des Papiertheatertreffens. Das war 2006, das 19. Treffen.
Zum 20., nun wieder zu recht als Jubiläum gefeiert, schaut der Alte
Hase Norbert Neumann in seinen „Preetziosen“ zurück. Während ich das
noch mal lese, merke ich, dass meine Arbeit bis zu dieser Stelle
eigentlich überflüssig war. Er hat schon alles gesagt. Aber er hat
neulich auch gesagt, ich solle das nun zum 25. machen, mit dem Maßstab
meiner beschränkten Sicht, die erst um 2001 einsetzt (er hat das netter
ausgedrückt). Und ich bitte an dieser Stelle um Nachsicht, dass immer
nur einige Bühnen, Stücke und Intendanten genannt werden, sie stehen
auch für die Nichtgenannten.
Norbert war seit den Anfangsjahren dabei und wusste über das Preetzer
Treffen und dessen Schöpfer Dirk Reimers zu berichten:
„Papier-Puppen-Theater Dirk Reimers. Der rannte damals und noch etliche
Jahre mit Hemdschlapp aus der Büx hängend rum; Hüter der reinen
Papiertheaterlehre und zumindest einer der Väter der Mutter aller
Papiertheater-Schlachten (sprich Treffen).“ Nach der Ernennung der
„Weltstadt des Papiertheaters“ setzt Norbert hinzu: „Pollidor, alias
Dirk Reimers trägt sein Hemd längst ordentlich in der Hose und ist
dafür bei der Frage ‚Was ist Papiertheater?’ etwas freizügiger
geworden.“
Beim 23. Treffen habe ich wieder neue Dimensionen erlebt: Facto teatro
aus Mexiko muss man auch als Spieler neidlos Hochachtung zollen, diesem
Feuerwerk aus Musik, Menschen-Theater- und Papiertheater-Spiel, für
deren Engagement Marlis Sennewald viele Hebel in Bewegung hatte setzen
müssen. Nicht ganz jugendfrei, aber witzig, bildnerisch bezaubernd und
mit gekonnter Live-Gesangseinlage Little Blue Moon aus Kalifornien mit
„Roman Reveries“, und dann, schon angekündigt, Hellriegels Junior, der
8jährige Willem Klemmer, Enkel von Heinz Holland, dem Balladensprecher,
mit dessen Witwe, Willems Großmutter Gerlinde Holland. Sie spielen
gemeinsam die Geschichte vom Wolf, der glaubt, er sei von allen der
Stärkste, dabei ist er von allem, was es gibt, das größte. Wenn die
berüchtigten bösen Zungen sagen, Papiertheater sei etwas, wo alte
Männer selbst gebastelte Figuren durch Pappbilder schieben, so setzt
Willem dem schon mal einen Dämpfer auf. Und ist dabei eine
Zukunftshoffnung des Metiers. Dann, so ganz anders als alles, was ich
je auf dem Papiertheater gesehen habe: „Die Geschichte einer Mutter“,
die ihr Kind an den Tod verliert, von Amager-Scenen.
Auch das 24. bot Herausragendes: Wieder war Facto teatro da,
Hellriegels Junior ebenfalls, mit einer Hasengeschichte; einige
Protagonisten spielten wieder selber mit, sozusagen Mensch und Pappe,
so Haases mit „Sherlock Holmes“, Peter Schauerte Lüke mit „Don
Giovanni“ und Carsten Niemanns „Brigant“. Einige Stücke führten zu
kontroversen Auffassungen darüber, „ob das überhaupt noch
Papiertheater“ sei, was sich auch in den Festival(!)berichten
widerspiegelte, die diesmal nicht mehr nur von zwei, sondern sechs
Autor/innen verfasst wurden. Darunter leider zum letzten Mal Willers
Amtrup, der diese Arbeit über Jahre allein leistete, diesmal noch alle
Kräfte zusammennahm, die seine schwere Erkrankung ihm übrig gelassen
hatte und seine Beiträge so schnell schrieb, als habe er Sorge, es
nicht mehr zu schaffen. Im Jahr des 25. Preetzer Treffens ist er
gestorben.
Wir dürfen uns auf dieses Jubiläum freuen, auf 17 Bühnen aus 8 Ländern
und 70 Aufführungen. Und darüber, dass kein Ende abzusehen ist, für die
„Welthauptstadt des Papiertheaters“.
Noch etwas: Wer alles genauer wissen will, findet unter
www.preetzer-papiertheatertr.../archiv01.htm alle
Stücke, alle Treffen nebst Beschreibungen, Kritiken und viele Bilder.
Peter Baldwin (GB) backstage
papiertheaterfigurinenpublikum
bodes koffertheater, pauline und jens schröder
Vom fischer und seiner frau, invisius/rüdiger Koch
der auftakt: kiel 1983
robert polter's Geschenk zum 10jährigen: ein Ziehharmonikatheater zum selberbauen
prinzipal dirk reimers
Das PapierTheater Nr.28
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August 2012
Interview
Am Anfang war das Spiel
Gründung des Papiertheatermuseums Hanau (1990) und des Vereins
FORUM Papiertheater (1992)
Interview mit Dr. Anton Merk und Helmut
Wurz
Das 25. Internationale Papiertheatertreffen in Preetz
feiern wir in diesem Jahr. Preetz bedeutet den Papiertheaterspielern
und –sammlern aus aller Welt sehr viel, vielen vielleicht sogar das
meiste, aber im Hintergrund steht der Verein FORUM Papiertheater mit
seinem Mittelpunkt im Schloss Philippsruhe in Hanau – da, wo alles
begann...
Fragen wir diejenigen, die dabei waren, den ehemaligen Leiter der
Hanauer Museen Schloss Philippsruhe Hanau, Dr. Anton Merk und den
früheren Lehrer und immer noch Papiertheater spielenden Helmut
Wurz.
DAS PAPIERTHEATER: Mir scheint, vielen Papiertheaterbesuchern, aber
auch manchem Vereinsmitglied, ist es nicht so ganz klar: Was hat Preetz
mit dem Papiertheaterverein zu tun, was dieser mit Hanau, Hanau
wiederum mit Preetz – hängt das zusammen, und wenn ja, wie und wieso
braucht man im Übrigen dafür einen (typisch deutsch?!) Verein?? Und wie
und wann hat das angefangen?
HELMUT WURZ: Ich war Lehrer in einer Hanauer Gesamtschule und hatte
dort eine Papiertheater AG gegründet. Zu Hause hatte ich ebenfalls eine
Bühne, eine große, und habe da Privatvorstellungen gegeben sowie eine
Sammlung von Papiertheaterbögen. Das war Ende der 80er Jahre. Als eine
meiner Kolleginnen unsere Aufführung sah, meinte sie, das müsse man
unbedingt dem Kulturdezernenten der Stadt Hanau zeigen. Der hat sich
eine Vorstellung in meiner Wohnung angeguckt, war ebenfalls begeistert
und stellte daraufhin seinen Plan von einem Papiertheatermuseum dem
Gesprächskreis Kultur vor. Eine der Teilnehmerinnen war Ruth Dröse, die
sofort erklärte, da würde ihr Mann, der am Papiertheater interessiert
sei und etwas gesammelt habe, auch gerne mitarbeiten. Dietger Dröse und
ich wurden dann vom Gesprächskreis Kultur zu einem Informationsabend
eingeladen.
PTH: Aber zu dieser Begeisterung der Kulturinteressierten bis zur
Einrichtung von Ausstellungen und Spielstätte im Schloss und Gründung
eines Vereins musste wohl noch etwas hinzu kommen?
H.W.: Dazu muss man wissen, dass es im Schloss Philippsruhe 1984
gebrannt hatte, mit beträchtlichen Schäden. Die Räume waren erst 1987
fertig renoviert.
PTH: Diese renovierten Räume warteten also auf die Papiertheaterleute,
Herr Dr. Merk? Sie waren damals Leiter der Museen Schloss Philippsruhe.
DR. MERK: Ja, und für mich war dieser Gedanke absolut neu. Ich hatte
ganz andere Pläne für das Museum, keine Ahnung vom Papiertheater und
fühlte mich erst einmal überrumpelt. Das Historische Museum Hanau ist
vorrangig ein regionales Museum: die Geschichte Hanaus steht dabei im
Vordergrund, Papiertheater dagegen geschieht europaweit. Doch im
Nachhinein passte es auch hier, als Museum im Museum, und es machte
unser Haus zusätzlich lebendig, auch dank der Aufführungen. Die
Eröffnung war 1990.
H.W.: Der Erfolg kam in der Tat vor allem dank der Kombination und
Gestaltung von Ausstellungen, um die sich Dietger Dröse kümmerte, und
die Aufführungen, die ich organisierte und gestaltete. Dieses
Zusammenspiel war das Außergewöhnliche.
PTH: 1990, nach der Eröffnung, gab es aber den Verein noch nicht?
H.W.: Nein. Einer unserer Freunde, von Beruf Steuerberater, empfahl uns
dringend, unsere Arbeit auf finanziell klare und abgesicherte Beine zu
stellen und einen gemeinnützigen Verein zu gründen. Aber wie? Wir
hatten ja diese Zweiteilung in Sammlung und Spielstätte. Dietger Dröse
stand der „Vereinsmeierei“ skeptisch gegenüber, ließ sich aber dann
doch von den Vorteilen überzeugen. Bei der Gründung des Vereins am 17.
Mai 1992 wurde er dessen 1. Vorsitzender. Zwölf Mitglieder waren
wir zunächst. Weitere vier Spieler gehörten dazu: Schüler von
mir, die aber minderjährig waren und noch nicht Gründungs-Mitglieder
werden konnten.
PTH: Wir sind nun immer noch in Hanau. Wie kamt ihr darüber
hinaus, ins Internationale sozusagen? Parallel tat sich ja etwas in
Preetz.
H.W.: Ja, 1988 fand das erste Papiertheatertreffen in Preetz statt. Ich
kannte den Begründer, Dirk Reimers, schon länger, wir hatten uns in
Kopenhagen in einem Papiertheatergeschäft kennen gelernt. 1989 war ich
erstmalig in Preetz dabei, als Zuschauer, ein Jahr später habe ich mit
meiner Gruppe gespielt. Es gab dann schon eine erste Zusammenarbeit.
PTH: Die lief anfangs anscheinend noch nebeneinander. Wie wuchs zusammen, was zueinander wollte?
H.W.: Zur Aufgabe des Vereins gehört ja die Verbreitung und Förderung
des Papiertheaters. Der Verein und Preetz hatten und haben sehr
ähnliche Ziele.
PTH: Und bedürfen der Finanzierung, denn aus sich allein kann beides ja kaum existieren?
H.W.: Richtig. Die Stadt Hanau fördert zum einen die Ausstellungen und
die Spielstätte, sie gibt ihnen ein – sehr anspruchsvolles – Zuhause.
Zum anderen zahlt sie dem Verein einen Zuschuss. Der Verein ist Träger
des Museums und verpflichtet sich, das Haus zu bespielen, mit
mindestens 5 Vorstellungen im Jahr, wobei auch Gastspiele erwünscht
sind, was dem Ganzen auch wieder etwas Überregionales gibt. So haben
die Preetzer Reimers und Severin hier auch gespielt. Der Verein
wiederum unterstützt das Papiertheatertreffen in Preetz mit einem
Zuschuss. Workshops für Kinder werden vom Museum Hanau veranstaltet.
DR.M.: Für die Stadt ist das fraglos ein großer Gewinn, eben auch dank
der Aufführungen nebst Gastspielen. Für den Verein ergibt sich der
Vorteil, zwei Zentren zu haben: Das Museum mit Ausstellungs- und
Aufführungsmöglichkeiten, Preetz mit dem Internationalen Treffen.
PTH: Der Verein hat bereits – vor zwei Jahren – sein 20jähriges
Bestehen gefeiert, in Hanau, hat etwa 120 Mitglieder weltweit,
veranstaltet alle paar Jahre ein Symposium wie im Mai dieses Jahres in
Wien. Er pflegt Kontakte zu Papiertheatertreffen und –bühnen in vielen
Ländern, und Preetz ist Jahr für Jahr ausverkauft, beim diesjährigen
25. Treffen freuen wir uns auf rekordverdächtige 70 Aufführungen von 17
Bühnen aus 8 Ländern. Ein Erfolg, der viele Väter und Mütter hat, aber
vor allem die, die am Anfang standen. Ich danke für das Gespräch.
Das Gespräch führte Uwe Warrach
Das PapierTheater Nr.28
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August 2012
Serie „Wie ich zum Papiertheater kam“ - Folge 4
Mehr als 30 Jahre:
“Fenglers Kellertheater“ – die kleinste Bühne Düsseldorfs
von Ernst Fengler
Am Anfang stand ein glücklicher
Zufall. Im Winter 1978/79 hatte unsere siebenjährige Tochter Dorothee
Ballettunterricht bei Frau Holle-Riemenschneider. Schon dieser Name
klang märchenhaft – die Zauberin Frau Holle und der großartige Künstler
Riemenschneider! Im Flur vor dem Probenraum, wo die abholenden Eltern
warten mussten, hing ein Plakat, das auf eine Ausstellung über
„Papiertheater“ im Düsseldorfer Theatermuseum hinwies. Denn der Ehemann
der Ballettlehrerin war Heinrich Riemenschneider, der damalige Direktor
des Düsseldorfer Theatermuseums. Meine Neugierde war geweckt. Ich
besuchte die Ausstellung und dachte mir, dass das eine Sache für mich
sein könnte. Ich besorgte mir die Fassade des Urania-Theaters und
begann zu basteln.
Die erste Aufführung wagten meine Frau
und ich im Sommer 1979 anläßlich eines geselligen Sommerabends mit
einem Gesprächskreis, der sich regelmäßig bei uns im Pfarrhaus traf.
Zum Schluß gab es im Keller des Pfarrhauses (daher der Name „Fenglers
Kellertheater“) den „Fliegenden Holländer“ in der Kurzfassung von
„Schreibers Kindertheater“ – die große Wagner-Oper auf 16 Seiten
gekürzt! Meine Frau sprach alle Frauenrollen, ich alle Männerrollen.
Gleichzeitig bedienten wir ein großes Tonbandgerät, so wie es damals
noch gebräuchlich war. Wir knipsten Taschenlampen an und aus, schoben
die wackligen Figuren hin und her und bedienten den Vorhang. Unsere
völlige Überforderung führte dazu, dass wir schon im zweiten Akt
gemeinsam einen unüberwindlichen Lachanfall bekamen, in den das
Publikum prustend mit einfiel. Die Vorstellung wurden nach einer
kleinen Erholungspause trotzdem zu Ende geführt, und die Reaktion war
eindeutig: „Baut das aus! Macht weiter damit!“
Die nächste Aufführung gab es im Sommer 1980 mit
„Rotkäppchen“ – nun schon mit mehreren Sprechern. Ich hatte damals
einen Vikar aus Siebenbürgen, der mit seinem rollenden „r“ und dem
harten „ch“ dem bösen Wolf ganz großartig seine Stimme gab. Dorothee,
inzwischen neun Jahre alt, sprach das Rotkäppchen. Damit war eine
Tradition begründet.
1981, 1982 und 1983 spielten wir weiter Texte, wie ich sie in den
Heften von „Schreibers Kindertheater“ fand: den „Freischütz“, den
„Ritter Blaubart“ und „Wilhelm Tell“. Für die Jahre 1984 bis 1986
übersetzte ich mit Hilfe einer Dame vom Dänischen Konsulat mehrere
Stücke von Jules Verne ins Deutsche: „Die Reise um die Welt
in 80 Tagen“, „Kurier des Zaren“, und „Die Kinder des Kapitän Grant“.
Für die meisten dieser Stücke gab in Kopenhagen Nachdrucke der alten
Kulissen und Figuren zu kaufen, so daß die Vorbereitung nicht allzu
viel Zeitaufwand verlangte.
Inzwischen war das Beleuchtungssystem verbessert worden. Ein
befreundeter Elektriker baute mir eine richtige Schalttafel mit einem
Dimmer und vielfachen Anschlüssen. Hintergrundbeleuchtung, Oberlicht
und Rampenlicht kamen dazu. Die Musik wurde von einem dritten Mann
bedient - unabhängig von den Figurenschiebern.
Von 1987 bis 1996 folgten wir weiter den Textbüchern
von „Schreibers Kindertheater“; eine Gesamtübersicht findet sich am
Ende.. 1991 verschenkte ich min Urania-Theater an einen interessierten
Kollegen in der Slowakei und baute mir ein neues, etwas größeres
Theater mit dem berühmten Vorhang des Königlichen Theaters in
Kopenhagen mit der Abbildung der Akropolis (Bildungsanspruch!) und der
mahnenden Überschrift: „EI BLOT TIL LYST“ (d.h „Nicht bloß zum Spaß“).
Ende der 90er Jahre habe ich dann zum
ersten Mal gewagt, eigenständig größere Stücke für das Papiertheater zu
bearbeiten. Das waren 1997 Goldonis herrliche Komödie „Der Impresario
von Smyrna“, in der der Theater- und Opernbetrieb in Venedig ironisiert
wird, und 1998 die Strauß-Operette „Cagliostro in Wien“.
Diese habe ich kurzerhand auf
Düsseldorfer Verhältnisse umgeschrieben: „Cagliostro in Benrath“. Den
Wiener Tonfall bei Strauß habe ich durch Düsseldorfer Mundart ersetzt.
Inzwischen hatte ich eine große Anzahl von Mitspielern gewonnen,
die hinter Bühne und Vorhang eng zusammengedrängt die verschiedenen
Rollen sprachen. Meine Frau wurde zur Inspizientin, die auf lebendige
F�gurenführung und verständliches rollengemäßes Sprechen achtete. Eine
enge Mitarbeiterin aus der Gemeinde und ich führten die Figuren.
Ihr Mann wurde mein „Toningenieur“.
Im Lauf der Jahre war der Ruf
unseres „Kellertheaters“ weiter in die Kirchengemeinde und in den
Stadtteil vorgedrungen, und es wurde nach weiteren Vorstellungen
gefragt. So machten wir schließlich jedes Jahr an einem
Sommerwochenende samstags und sonntags zwei Gartenfeste hintereinander.
Die je 40 bis 50 Besucher hatten im Garten problemlos Platz; im Keller
standen und saßen sie eng zusammengepfercht beieinander, was aber die
gute Laune nicht beeinträchtigte, sondern eher noch steigerte.
Als ich im Sommer 2000 in den
Ruhestand ging, wollte ich die ganze Sache eigentlich aufgeben, weil
wir das Pfarrhaus als Dienstwohnung verlassen mussten und geeignete
Räume (groß genug und intim genug) in unsrer Ruhestandwohnung nicht
mehr zur Verfügung standen. Ich hatte schon mit dem Düsseldorfer
Theatermuseum Verbindung aufgenommen in dem Gedanken, ihm meine Schätze
an Kulissen und Figuren zu vermachen. Das Theatermuseum war bereit, die
Dinge zu übernehmen, bot mir aber an, doch stattdessen in seinem neuen
Gebäude, dem Hofgärtnerhaus, meine Aufführungen fortzusetzen.
Nach kurzem Zögern bin ich
dieser Anregung gerne gefolgt.
2001 und 2002 haben wir zunächst aus der Reservekiste noch einmal
den „Impresario von Smyrna“ und „Cagliostro in Benrath“ aufgeführt –
ich musste mich erst einmal im Ruhestand einrichten. Wir fingen
versuchsweise mit e i n e r Aufführung an. Die Nachfrage
war zu unserer Überraschung so groß, dass wir schon ein Jahr
später z w e i Aufführungen gaben. Inzwischen sind es jedes
Jahr v i e r Aufführungen, die in der Regel schon einen Monat im voraus
ausverkauft sind.
Ab 2003 begann für mich eine
neue Phase. Ich hatte als Pensionär jetzt mehr Zeit und habe vielfach
Literatur des 19. Jahrhunderts bearbeitet und gestrafft, um sie für die
Bühne des Papiertheaters spielbar zu machen; vgl. die unten angefügte
Liste. Es ist nicht ganz einfach, einen klassischen Text von 75 Seiten
auf etwa 50 Seiten zu reduzieren. Die kleinen alten Hefte des
Schreiber-Verlages von 16 Seiten brauchten (mit Bühnenumbau) eine
Aufführungszeit von 30 bis 40 Minuten. Meine längeren Texte von 40 bis
50 Seiten brachten eine Aufführungsdauer von 90 bis 110 Minuten mit
sich, so daß wir in der Regel eine kleine Pause einlegten – zum
Vertreten der Füße und andere menschliche Grundbedürfnisse.
Ich bin jedes Mal frappiert, mit
welcher Konzentration die Zuschauer dabei sind. Wir liefern ja keine
Sensationen (Ausnahme: der Sprung des Löwen durch den brennenden Reifen
beim „Kalif Storch“), sondern machen im Grunde klassisches
Sprechtheater. Aber es gibt offensichtlich ein Publikum, das gerade das
schätzt. Und noch eine Beobachtung: mehrfach haben mir Zuschauer (ganz
unabhängig voneinander) gesagt, dass im Lauf der Aufführung die doch
sehr kleine Figuren (bei mir ist der Standard 11 cm) Größe) im Lauf der
Aufführung für das Auge des konzentrierten Betrachters immer
größer werden.
Die Kulissen und die Figuren mache
ich inzwischen weithin selber. Ich habe im Lauf der Jahre einen großen
Fundus an Grafiken angelegt (Kostüme, Landschaften, Gebäude), auf den
ich jederzeit zurückgreifen kann. Entsprechend hoch sind in der
Anfangsphase, wenn ich ein neues Stück vorbereite, die Kosten für
Kopien und gute Filzstifte. Aber Ausgaben und Einnahmen halten sich
insgesamt in etwa die Waage. Für das Jahr 2012 bereite ich zur Zeit
„Das Fräulein von Scuderi“ von E. T. A. Hoffmann vor .
Für Rückfragen von Liebhabern des Papiertheaters bin ich gerne zur Verfügung. Meine Telefonnummer: 0211 / 29 62 73