Das PapierTheater Nr.29
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November 2012
Festival
Preetzer
Jubiläums- Fest-Menü
Zum 25. Papiertheatertreffen vom 7. bis 9. September
2012 servierten 17 Theater aus 8 Ländern in 70 Vorstellungen folgende
Leckerbissen, die nachstehend von verschiedenen Genießern verkostet
werden.
microScope Toy Theater – Yulya Dukhovny, USA
A Real Elephant
Wie groß ist denn nun ein echter Elefant? Das versuchten Yalya Dukhovny
vom MicroScope Toy Theater vor der Aufführung mit Hilfe einer langen
Schnur und zweier Freiwilliger darzustellen. So groß? Und wie soll der
auf die kleine Bühne passen? Wir werden sehen: Die kleinen Nadia ist
schon seit Wochen krank. Gelangweilt, nicht wirklich krank. Zur
Unterhaltung zeigt ihr die Mutter ein Buch, und Nadia entdeckt einen
Elefanten. Und von da an hat sie einen Traum: Sie möchte einen echten
Elefanten haben. Der Vater versucht alles möglich zu machen, behilft
sich zunächst mit einem Aufziehtier in einer Spieldose, sieht dann aber
ein, dass es wirklich ein echter Elefant sein muss.
Auf einer mehrstöckigen Bühne verfolgen die Zuschauer die Geschichte;
der Traum, die Realität, die Verwandlung, alles spielt sich auf
unterschiedlichen Ebenen ab. Häuser werden zu Spieldosen, denn die
Kulisse ist zum Teil dreidimensional aufgebaut. Das abnehmbare Dach
erlaubt überraschende Einblicke und ein feuerspeiender Drache verzückt
Groß und Klein. Die anrührende Geschichte nach einem Bilderbuch des
russischen Autors Alexander Kuprin taucht tief ein in die Traumwelt und
verzaubert mit hinreißenden Figuren und dem Spiel mit den Dimensionen,
mit Licht und Dunkelheit und einem sorgsam zusammengestellten
Soundtrack.
Iris Förster
Robert Poulter’s New Model Theatre – Robert Poulter, Großbritannien
The Whaler’s Wife
Mit einem freundlichen Lächeln begrüßt Robert Poulter das einströmende
Publikum und gibt eine kurze Einleitung in das Stück.
Das Licht verlischt und in Robert’s New Model Theatre
entspinnt sich die Geschichte einer ungewöhnlichen Kapitäns-Frau, die
ihren Mann im des 19. Jahrhunderts auf einer Walfangreise begleitet,
nachdem sie nicht mehr ständig auf ihn warten möchte. Dabei muss sie
dann mit dem rauen Seeklima, zu dem auch die wenig begeistere
Mannschaft gehört, klar und zum Höhepunkt der Geschichte sogar
niederkommen.
Robert Poulter zieht bei seinem Stück wieder alle Register des im
Papiertheater Möglichen. Abgesehen von den selbst gezeichneten Figuren,
deren Charaktere mit expressionistischem Pinselstrich höchst treffend
gezeichnet sind, versteht es Poulter geradezu meisterhaft, mit
Figurengrößen und Perspektiven zu spielen. Seine Figuren, Kulissen und
Versatzstücke verändern ihre Größen und unterstützen so die
Tiefenwirkung des Stücks.
Zudem entwickeln sich aus diesen
unterschiedlichen Größenverhältnissen kaum merkliche Szenenübergange
mit Kulissenwechsel und das Stück wird durch sie nicht unterbrochen.
Der Gute Ton kommt von einer CD, auf der Robert seine Darsteller mit
verschiedenen Stimmlagen und Dialekten unterlegt. Manchmal war es dann
auch schwierig, den Wortwitz zu erfassen, was aber der flüssigen und in
sich schlüssigen Handlung keinesfalls Abbruch tat.
Robert’s Bühne – mit die kleinste auf dem Preetzer Treffen – kommt ohne
großen technischen Aufwand aus, was aber nicht heißt, das das New Model
Theatre seine Zuschauer nicht auch mit Spezialeffekten wie das
sturmschwankende Schiff nebst Geburt, die effektvoll ausgeleuchtete
Hölle der Trankocherei oder dem zum Schluss durch das Kajütenfenster
blickenden Moby Dick verwöhnt.
Im Ergebnis wieder einmal 50 Minuten Papiertheaterunterhaltung vom
Feinsten.
Olaf Christensen
Paperplays Theatre – Joe Gladwin, Großbritannnien
The Haunted House or Déjà Vu
Beim 11. Papiertheatertreffen im Jahr 1988 gab es das erste Gastspiel
von Joe Gladwin – seitdem zieht sich das Lob seiner Virtuosität beim
Agieren hinter, vor und neben seinem Theater wie ein roter Faden durch
die für die Nachwelt dokumentierte Preetz-Berichterstattung; diesen
Faden möchte ich auch in diesem Bericht nicht abreißen lassen. Der rote
Faden war in Gladwins Stück „Haunted House“ eher eine rote Blutspur des
Grauens, deren Ursprung in unheimlichen Ereignissen im Jahr 1880 gelegt
worden war: Die Tochter eines Südstaaten-Plantagebesitzers – nein, sie
hieß nicht Scarlett – machte sich mit Begleitung auf die Reise nach
England ins Castle D’Ark. Diese Reise endet für einige Beteiligte im
wahrsten Sinne des Wortes kopflos. Zeitsprung: Fernsehstar Mrs. Jones
erwirbt den Ort des Grauens von einem zwielichtigen Makler und muss
feststellen, dass sich die seinerzeit Enthaupteten noch nicht
vollständig aus dem Gemäuer entfernt haben. Das eben diese Mrs. Jones
die Enkelin einer Sklavin auf der eingangs erwähnten Plantage ist,
verkompliziert die Handlung nur unwesentlich…
Besonders gefallen hat mir bei den von Joe Gladwin selbst gezeichneten
Kulissen und Figuren der Kontrast zwischen den im wesentlichen
schwarz-weiß gestalteten Hintergründen und den fast grell farbig
gestalteten Figuren.
Die Gladwin-typische variantenreiche Sprachgestaltung wurde unterlegt
von einem Endlosband mit einem Best-of der typischsten
Horrorfilm-Geräusche. Ein gruselig-gutes Vergnügen!
Jens Schröder
Sarah’s Paper Theatre – Sarah Peasgood, Großbritannnien
Little Nemo in Slumberland
Der kleine Nemo erlebt in sieben Träumen seine Abenteuer im
Schlummerland. Die Geschichte beruht auf den Comics von Winsor McCay,
die von 1905 bis 1907 im New York Herald erschienen sind. Die offen
bespielte Bühne gibt aus unterschiedlichen Winkeln den Blick auf Nemos
Bett frei, bevor er in seinen Träumen dem König Morpheus und der
Prinzessin begegnet.
Sicherlich ist es äußerst schwierig, aus einem in Wort und Bild sehr
reduzierten Comicstreifen eine kurze Theaterszene zu entwickeln. Die
Dialoge im Comic sind so aufgebaut, dass es keiner weiteren Worte
bedarf, die Bilder so klar, dass die Geschichte auf Anhieb verstanden
werden kann. Dennoch versucht Sarah Peasgood das Experiment.
Herausgekommen ist ein Papiertheaterstück, das von langen Umbauten
bestimmt kurze Einblicke in die verschiedensten Traumszenen gibt und
dessen Dialoge das Stück weder voranbringen noch den Zuschauer wirklich
unterhalten. Wäre dies das einzige Stück gewesen, das ich gesehen
hätte, wäre ich sicherlich enttäuscht gewesen. Im Rahmen eines
Papiertheatertreffens, bei dem man die Möglichkeit hat, viele Stücke in
Folge anzuschauen, hat es jedoch durchaus einen Platz verdient, denn es
spielt mit den reduzierten Möglichkeiten dieser uns so lieben
Theaterform. Warum immer nur umfangreiche Stoffe reduzieren? Genauso
reizvoll kann es sein, das Gegenteil zu versuchen.
Iris Förster
Wie auch schon bei Ihrem Preetz-Debut mit „Krazy Cat“ war auch dieses
Mal ein Comic der Ideengeber für Sarah Peasgood: „Little Nemo – der
kleine Niemand – im Schlummerland“, eine surreale Traumphantasie von
Winsor McCay, die in Amerika in den Jahren von 1905 -1911 als
Zeitungsserie erschienen ist.
Der kleine Nemo begibt sich in seinen leider immer wieder zu den
unpassendsten Momenten unterbrochenen Träumen auf die Reise in das Land
von König Morpheus, um dort dessen Tochter, die Prinzessin, zu treffen.
Auch ohne die Vorlage zu kennen, kann man sagen, dass die Umsetzung der
2-D Vorlagen in 3-D Papiertheater-Traumwelten sehr gut gelungen ist.
Die flachen Vorlagen wurden gekonnt in farbenfrohe und gut gestaffelte
Bilder mit wunderschönen Durchsichten aufgelöst.
Für die Umbauten zwischen den einzelnen Traumbildern wurde die Bühne
nicht geschlossen, sondern man befand sich in dem aus Seitenkulissen
bestehenden Schlafzimmer von Nemo, das im freien Mittelteil Einblicke
in die Umbauten und Interesse weckende Teilansichten des nächsten
Bildes erlaubte – eine gelungene Lösung. Für Sarah Peasgood, die ohne
elterliche Unterstützung als one-women-show agierte, wurden die
zahlreichen Umbauten zur Schwerstarbeit – die sehr gut ausgewählte, aus
elektronischen Sphärenklängen bestehende und fast meditative
Umbau-Musik suggerierte dem Publikum das Gegenteil.
Danke, dass sie diesen Traum mit mir teilen – so endet Sarah Peasgood
auf Ihrem erläuternden Programmzettel. Diesen Dank möchte ich
ausdrücklich der Akteurin zurückgeben: Danke, dass wir mitträumen
durften!
Jens Schröder
Compagnie Volpinex – Fred Ladoué, Marielle Gautheron, Frankreich
L’étrange Cas – Der seltsame Fall
Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Da wird das Publikum vor dem Stück
in zwei Gruppen aufgeteilt, die einen sitzen diesseits, die anderen
jenseits einer großen Pappwand und erleben gleichzeitig zwei völlig
unterschiedliche Aufführungen. Man ahnt ja, dass das alles irgendwie
zusammenhängt, aber erst in der zweiten Hälfte des Stückes, sozusagen
nach dem Seitenwechsel, erschließt sich die Idee. Auf der einen Seite
wird die Geschichte der Verlobten von Dr. Jekyll gezeigt, die in der
Psychiatrie gelandet ist und sich in Tagträumen verliert, auf der
anderen Seite experimentiert ihr behandelnder Arzt mit Flüssigkeiten,
Geräten und Texttafeln und erzeugt dabei Ton und Bild für alles, was
sich hinter der Mauer abspielt. Das umgeklappte Regal wird zur
Miniaturbühne, eingeblendete Texttafeln erläutern die Handlung. Da
stellt sich die Frage: Was tut der Arzt und was empfindet der Patient
dabei?
Schon im letzten Jahr hat die Compagnie Volpinex das Papiertheater mit
seinen technischen Möglichkeiten großzügig ausgereizt, dieses Jahr
gehen sie noch weiter. Zu weit?
Iris Förster
Die Diskussionen darüber, ob die eine oder andere Aufführung „noch
Papiertheater“ sei, begleiten die Preetz Festtage seit Jahren. Ich
finde sie müßig, so lange ich noch Spuren des Mediums erkenne, auch
wenn Experimente sich weit von der klassischen Bühne des 19.
Jahrhunderts entfernen. In diesem Fall jedoch scheint mir, dass ein
Auditorium gesucht wurde, vielleicht in Ermangelung eines anderen, und
im Vertrauen auf sein besonders aufgeschlossenes Publikum das Preetzer
erwählt wurde? So nehme ich es als Kompliment für uns. Dies
vorausgeschickt, meine Eindrücke:
Großes Theater, jedenfalls im Vergleichsmaßstab: Der Bühnenboden misst
4 mal 5 Meter, also ein mittleres Wohnzimmer. Darauf steht eine gut
mannshohe Mauer. Der Zuschauer, wenn er den Raum betritt, läuft auf die
Seitenkante dieser Mauer zu, wird dann nach links oder rechts geleitet,
wo die Stuhlreihen auf beiden Seiten der Mauer so aufgestellt sind,
dass man auf die jeweilige ganze Seite blickt, also jede Hälfte des
Publikums auf die eine oder die andere. Jede Gruppe sieht jetzt etwas
ganz Verschiedenes, hört aber dasselbe und merkt, dass das sichtbare
und das unsichtbare Geschehen zusammen gehören. Nach der Halbzeit
werden die Plätze getauscht, und die beiderseitigen Aufführungen
wiederholt.
Keine Figurinen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut agieren hier,
auf der einen Seite ein etwas nervöser Laborant aus dem 19.
Jahrhundert, auf der anderen eine sichtlich verängstigte, gepeinigte
Frau in einem schlicht-groben Kleid, das an eine Anstaltsinsassin
denken lässt. Es geht offenbar, wie man nach und nach einigen
projizierten Zeitungsausschnitten an der Wand des Chemikers entnehmen
kann, um Dr. Jekyll/Mr. Hyde und dessen Suizid gefährdete Geliebte.
Das ist faszinierend, originell und professionell gestaltet und
gespielt, das Doppelspiel perfekt synchronisiert, wobei mich die
Dramaturgie nicht ganz überzeugte. Es dauert etwas zu lange, bis sich
erschließt, was der emsige und manchmal hektische Mann in wechselnden
fleckigen Weißkitteln da treibt und wozu. Andere Zuschauer teilten
meine Vermutung, dass diejenigen es leichter hatten, die auf der Seite
der Frau begonnen hatten. Eine packende Aufführung gleichwohl, der
starke Beifall deshalb verdient, das ganze durchaus angemessen für
„richtiges Theater“ - aber das Papiertheater an sich muss schon
geduldig sein...
Uwe Warrach
Théâtre de Table – Eric Poirier, Frankreich
Anton’s Stories – Antons Geschichten
Das sind drei Geschichten von Anton Tschechow aus dem russischen
Kleinbürgertum. Die Pappnasen hätten ohne den eigentlichen Star, den
Spieler Eric Poirier, wenig zu melden, zumal der Mensch sie am Ende
auch noch verprügelt. Er übernimmt, was die Figurinen nicht können:
Mimik, Gestik. Und natürlich die Stimmen. Die „Bühne“ ist zunächst eine
Staffelei, die an Stelle einer Leinwand Kulissen und auf der
Farbenschublade die Figurinen trägt. Es geht um ein unwillkommenes,
frivoles Geschenk, das die Beschenkten nicht zurückweisen möchten,
sondern weiter geben. Es wandert von Beschenktem zum Beschenktem – bis,
man ahnt es, die erste Station wieder erreicht ist. Ein andermal dient
ein gewöhnlicher Tisch als Rampe, auf der es wieder um Peinliches geht,
nämlich um abhanden kommende Bekleidung Badelustiger. Alles wird mit
knappsten Utensilien dargestellt. Poiriers Tempo und Handhabung
erinnern an ein spielendes Kind, manchmal auch an die Fixigkeit eines
Zauberkünstlers. Aber es ist nicht die Technik allein, die Anton’s
Stories „rüberbringen“, es ist die Einfühlung in den osteuropäischen
Witz, dessen Schadenfreude und gleichzeitige Liebe zum
Allzumenschlichen.
Uwe Warrach
Camera Theatrum – Frits de Nooijer, Gerda de Nooijer, Ad Nierop,
Niederlande
Panik! Geht die Erde oder die Sonne
unter?
Wird unsere Welt im Dezember 2012 untergehen, so wie es die Mayas
voraussagen? Dieser Frage widmeten sich Gerda und Frits de Nooijer und
Ad Nierop aus den Niederlanden. Ein Pastor und ein Historiker sitzen im
Gespräch auf ihrem Dorfplatz vor der Kirche, als plötzlich Plato und
Aristoteles, die eigentlich den Dorfplatz als steinerne Denkmale zu
zieren haben, von Ihren Sockeln herabsteigen und mit beiden zu einer
Zeitreise aufbrechen, denn schon oft sah man in der Geschichte den
Weltuntergang nahen… Die Umbauten zwischen den einzelnen Bildern
dieser Reise wurden nicht von einem Vorhang, sondern von einer
Zeitmaschine abgedeckt, die wie auch alle anderen Kulissen und Figuren
vom Maler Frits de Nooijer großartig selbst gestaltet worden ist.
Ein Kritikpunkt, der sich schon in Besprechungen der vorangegangenen
Preetz-Gastspiele dieser Bühne finden lässt, ist allerdings auch von
mir zu wiederholen: Das Verhältnis von relativ kleinem Bühnenausschnitt
zur relativ großen Bühnentiefe ist so ungünstig gewählt, dass nur
Zuschauer mit zentralem Einblick in die Papiertheaterbühne in den
Genuss des optimalen Bühneneindrucks kommen. Das über dem Proszenium
platzierte farbenprächtige Bild de Nooijers gibt dem Betrachter einen
Eindruck davon, wie eindrucksvoll eine Bühne in dieser Größe sein
könnte.
Keine Angst vor großen Formaten, möchte man hier ausrufen, so wie die
Botschaft dieses Stückes „Keine Angst vor dem Ende der Welt 2012“
lautet. Fazit also: Die Welt wird sich weiter drehen und unser 26.
Treffen in Preetz 2013 ist nicht gefährdet!
Jens Schröder
Svalegangens Dukketeater – Per Brink Abrahamsen, Søren Mortensen,
Dänemark
Mother, tell me more – Theaterkonzert
Syd Barrett
Per-Brink Abrahamsen hatte in diesem Jahr ein „Theaterkonzert“ im
Gepäck. Theaterkonzerte – so war es in der Vorankündigung zu lesen -
sind zur Zeit in Dänemark sehr beliebt; um populäre Musikstücke wird
ein Handlungsrahmen gesetzt, im Vordergrund steht die Musik. In diesem
Papiertheater-Konzert war in eben diesem Vordergrund die Musik des Pink
Floyd-Gitarristen Syd Barrett zu hören, interpretiert von der Band
„Undertow“ um Sören Mortensen.
Kannte man Svaleganges Dukketeater bis dato als eine Papiertheaterbühne
mit aufwendigen Bühnenbildern, so sah man hier neben einer Vielzahl von
Figuren „nur“ eine Grunddekoration, die mit im Vergleich zu anderen
Abrahamsen-Aufführungen relativ wenigen Hängeteilen und Versatzstücken
variiert wurde. Gestaltet wurde das surreale Szenario von Suse Hartung.
Die in gewohnter Weise perfekte Beleuchtung war ein wichtiges
Gestaltungselement.
Doch noch etwas war aus meiner Sicht anders als gewohnt: Zeichnet sich
sonst das Spiel von Abrahamsen durch eine sehr ruhige und
unübertriebene Figurenführung aus, so hatte man in dieser Aufführung
zeitweise den Eindruck, die kleinen papierenen Darsteller ließen sich
von der Musik mitreißen – so sah man zum Beispiel eine beinschwingende
Tänzerin im wilden Wirbel.
Jens Schröder
Wiener Papiertheater – Kamilla und Gert Strauss, Manfred Heller,
Österreich
Die Fledermaus
Für mich als Papiertheaterliebhaber, der sich im „wahren Leben“ mit
Bühnentechnik für „große“ Theater beschäftigt, ist der Besuch des
Papiertheaters von Gert und Kamilla Strauss jedesmal ein ganz
besonderes Vergnügen. Die von den beiden mit technischer Unterstützung
von Manfred Heller bespielte Bühne würde sich hervorragend zur
Ausbildung unseres Bühnentechniker-Nachwuchses eignen, ein solch
perfektes Abbild der Realität ist sie. Gespannt warte ich auf den
ersten Einsatz einer Drehbühne in diesem technischen Wunderwerk…
Doch nicht nur das Theater, auch die in diesem Jahr – noch ohne
Drehbühne - zur Aufführung gebrachte „Fledermaus“ war ein Genuss! Die
Strauss’sche Ouvertüre wurde dadurch bebildert, dass der von Eisenstein
nach einer durchzechten Faschings-Nacht im Fledermauskostüm
„ausgesetzte“ Dr. Falke vor einem mit der Wiener Skyline geschmückten
Wandelpanorama – die Vorlage hierfür fand Gert Strauss auf der Mauer
eines Wiener Kindergartens – unter dem Gespött der ihn verfolgenden
Kinder nach Hause flieht. Seine Rache am lieben Freund Eisenstein wird
uns die nächste Stunde bestens unterhalten!
Nicht nur die auf Grund der bereits erwähnten Bühnentechnik möglichen
und immer wieder Staunen hervorrufenden blitzschnellen Verwandlungen
tragen zu einem gelungenen Operettenabend bei – es sind auch die
wunderschönen, teils nach Bühnenbildentwürfen des Burgtheaters
gestalteten prächtigen Szenenbilder, es ist die perfekte Beleuchtung,
es sind die Details wie die als Haustier im Hause Eisenstein gehaltene
Fledermaus im Vogelkäfig, es sind die sich in Walzerseeligkeit
drehenden Tanzpaare beim Ball des Prinzen Orlofsky und im großen Finale
– dies alles addiert sich zu einem wunderbaren Papiertheatererlebnis!
In der „Fledermaus“ ist zwar glücklich der, der vergisst – diese
Aufführung wird man aber sicher länger im Gedächtnis behalten!
Jens Schröder
Wenn es in Preetz einen „Dirk“ für technische Perfektion geben würde
oder eine „Barabara“ für die traditionellste Bühne, dann müsste er/sie
wohl an das Wiener Papiertheater gehen. Der am Computer mitwirkende
Modellbauer hat die Barockbühne nach seltenen Vorlagen gebaut und
ausgestattet, Kulissen und Figurinen nach herausragenden Wiener
Aufführungen gestaltet und das alles so „bühnentief“ und lebendig, dass
die Figurinen wirklichen Darstellern sehr nahe kommen. Immer wieder
verblüffend der völlige Umbau in Sekundenschnelle. Das rasante Tempo
erlaubt keinen Szenenbeifall, der sich öfter rührt, denn man muss
fertig werden, weil man mit 60 Minuten sowieso schon eine Überlänge
produziert hat. Aber in diesem Fall ist die gut auszuhalten; die Klage
des Prinzipals über die Askese des Weglassens darf man indessen getrost
seiner Liebe zum Gesamtwerk zurechnen. Der Reiz dieser Aufführung liegt
in dem gelungenen Abbild dessen, was zu Johann Straussens Zeit
begeisterte, in einer Epoche, die der Wiener Stefan Zweig wehmütig „das
goldene Zeitalter der Sicherheit“ nannte.
Uwe Warrach
Hana Vor�kov�
and Muziga – Hana Vor�kov�, Helena Vedralov�, Jiri Vedral, Tschechien
Moving Pictures – Bewegte Bilder
Die Bühne ist denkbar simpel: ein rechteckiger Kasten, etwas größer als
ein Schuhkarton. Ein Bühnenportal ist ausgeschnitten und mit
Transparentpapier bespannt. Die Bühne kann von vorne und von hinten
beleuchtet werden, so dass sich die Effekte des Schattentheaters (Licht
von hinten) mit farbiger Gestaltung (Licht von vorne) verbinden lassen.
Moving Pictures, Bewegte Bilder – einige Beispiele: Die Sonne geht auf
über dem Wasser (einfache Wellenlinien), sie läuft über den Horizont.
Plötzlich taucht rechts ein Strichmännchen mit erhobenen Armen auf,
fängt die Sonne und wirft sie zu einem gegenüberstehenden Männchen
zurück: Aus der Sonne ist ein Ball geworden. Am Ende der Aufführung
wiederholt sich die Szene, diesmal bleibt aber eines der Männchen an
der Sonne hängen. Sie hat sich in einen ein Fesselballon verwandelt. In
dem Moment, wo dieser nach oben entschwindet, schwebt an einer Angel
ein größerer Ballon mit einem entsprechend größeren „Passagier“ durch
den Raum - Ein Nachthimmel über Bergsilhouetten, die Sterne des Großen
Wagens sind zu sehen. Es erscheint eine Hand mit einem Stift und
verbindet die Sterne zu einem Wagen, ein Zugtier wird davor gemalt, das
Gefährt verlässt seinen Platz und taucht auf einer sich drehenden
Himmelsscheibe über der Bühne auf. - Auf ein leeres Transparent malt
die Künstlerin Wellen, dann die Konturen fliegender Vögel. Die Vögel
werden mit Linien verbunden und wir erkennen nach und nach ein Gesicht
mit geschlossenen Augen. Dann „öffnen“ sich die Augen, d. h. Augäpfel
und Pupillen werden eingefügt, und ein gütiges Wesen schaut uns an. -
Ein kleiner Sack an einer Schnur senkt sich von oben herab. Links und
rechts marschieren Strichmännchen auf, die mit Speeren um den Sack
kämpfen. Die Hand der Spielerin wischt von hinten die Männchen weg: Es
bleiben Kreuze übrig. Damit die Zuschauer nicht zu sicher werden in
ihrem moralischen Urteil (wer wäre nicht gegen Krieg und Aggression),
senkt sich ein realer kleiner Sack an der schon erwähnten Angel über
die Köpfe der Zuschauer – zum Greifen nahe!
Auf diese Weise werden uns in einem Dutzend Ministücken kleine,
überraschende, humorvolle, besinnliche Geschichten erzählt. Sie werden
begleitet von Helena Vedralov� (Geige, Gesang) und Jir� Vedral
(Gitarre, Spieluhren, Perkussion), der auch die Angel bedient. Die
beiden Künstler spielen die einfühlsame Zwischenmusik und gestalten
dezent, aber effektvoll Geräusche und Stimmungen. Hana Vor�kov� führt
nicht nur die Figuren und zeichnet live, sondern übernimmt hin und
wieder Minirollen. So schaut sie versonnen dem Ballon nach, wenn er an
der Angel in die Lüfte entschwindet. Überhaupt verfügt die Künstlerin
über eine äußerst beredte Augensprache.
Hana Vorikov� ist schon mehrmals in Preetz aufgetreten (und wird
hoffentlich noch oft auftreten). Gelegentlich wurde diskutiert, ob ihre
Aufführungen überhaupt noch Papiertheater sind. Wie dem auch immer sei
– ich halte sie für eine der genialsten Spielerinnen bzw.
Grenzgängerinnen auf dem Gebiet des Papiertheaters. Ihre Stücke
verbinden immensen Einfallsreichtum bei einfachsten technischen
Mitteln. Sie sind perfekt in Präsentation und Timing und der Verbindung
von Bewegung und Ton. Sie verbreiten gute Stimmung, machen manchmal
nachdenklich, ohne mit der Moralkeule zuzuschlagen, und schenken den
Zuschauern Momente der Magie, ohne dass man seinen Verstand dabei
aufgeben muss.
Horst Römer
Der Titel ist Programm: Aus der Sonne, die über den Wellen am Firmament
von links nach rechts wandert, wird ein oranger Ball, Kinder spielen im
Wasser. Über dem Acker erheben sich Krähen, die sich langsam in ein
Gesicht verwandeln, das schließlich gütig auf den bearbeiteten
Ackerboden herabschaut. Schmetterlinge schlüpfen aus ihrem Kokon, Augen
werden zu Fischen, zu einer Brille. Ein Angler sitzt im Boot, der Haken
verschwindet im Wasser, ein Fisch beißt an. Aus einem Kind werden
Hände, wird ein Engel.
Sehr gelungen spielt Hanna mit dem Hoch- und Querformat ihrer Rahmen,
bewegt die Figuren hinter dem Transparentpapier oder malt auf das
Papier und erweckt so neue Bilder zum Leben. Dabei wird sie virtuos
begleitet, vorwiegend mit Gitarre und Geige, aber auch andere
Instrumente kommen zum Einsatz. Während und nach dem Spiel schwebt eine
Angel über die Köpfe des Publikums hinweg zur Bühne und wird mit
Accessoires aus der soeben gespielten Szene bestückt. Ein oranger
Ballon, ein Mobile mit Schmetterlingen, ein Fisch. So wechselt das
Raumgefühl – vom zielgerichteten Blick auf die Bühne zur Wahrnehmung
des großen Ganzen. Einfach zauberhaft!
Iris Förster
Papiertheaterwerkstatt Heike Ellermann – Heike Ellermann, Oldenburg
Die Papiertiger
Ein Kamel, ein Seehund und ein Affe arbeiten im Zirkus Belzoni. Sie
sind sehr unzufrieden: einfallslose Auftritte, triste Quartiere – kein
Wunder dass sie Sehnsucht nach ihrer Heimat haben. Die drei Tiere
unternehmen einen Fluchtversuch. Doch die Welt außerhalb des Zirkus ist
ungewohnt und voller Gefahren. Sie kehren zum Zirkusdirektor zurück,
dieser sieht ein, dass sich etwas ändern muss, und will aus den Dreien
die neuen Bremer Stadtmusikanten machen. Aber die Tiere sind
akrobatisch überfordert; es gelingt ihnen nicht, sich aufeinander zu
stellen. Der Zirkusdirektor kündigt die „Weltsensation“ trotzdem an.
Bei der Uraufführung erscheinen Kamel, Seehund and Affe als
maskierte Tiger. Panik bricht aus und nun gelingt die Flucht in eine
neue, ungewisse Zukunft.
Heike Ellermann ist eine Buchautorin und Illustratorin aus Oldenburg
und so nimmt es nicht Wunder, dass die Geschichte schön erzählt und
eindrucksvoll ins Bild gesetzt wurde. Die Kulissen der traditionellen
Papiertheaterbühne waren tief gestaffelt – vor allem die Parks und
Wälder – und effektvoll konturiert. Die Beleuchtung konzentrierte sich
auf die Prospekte – häufig mit transparenten Elementen, die von hinten
beleuchtet wurden. Die Seitenkulissen waren nur leicht angeleuchtet, so
dass sich eine interessante Mischung aus Papiertheater und
Schattentheater ergab. Dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt,
dass die Künstlerin die Zirkusszenen und die ungewohnte Welt draußen in
Schwarz-Weiß- und Grautönen gehalten hatte. Nur für die Träume der
Tiere, die Versuche des Direktors, durch neue Zirkuswagen den
Arbeitsplatz angenehmer zu machen, sowie für die Befreiung hatte sie
Farben gewählt. Eine insgesamt stimmige und stimmungsvolle
Farbgestaltung. Ergänzt wurde das Ganze noch durch einen
professionellen Sprecher, der nicht nur die Charaktere einfühlsam
gestaltete, sondern auch für dezenten Humor und leise Ironie sorgte.
Auch der von Profis geschaffene Sound passte hervorragend zu Text und
Bildern.
Ein klar aufgebautes, ruhiges Stück, dennoch abwechslungsreich durch
relativ viele Kulissen. Damit komme ich zu einem kleinen Einwand: Die
Wechsel der Kulissen dauerten nach meinem Empfinden – aber nicht nur
nach meinem – zu lange. Da das Stück einen insgesamt beschaulichen
Charakter hat, sollten nicht auch noch die Umbauten unnötig verzögert
werden. Man muss beim Kulissenschieben ja nicht derart ins Schwitzen
geraten wie Robert Poulter, aber ein bisschen mehr Tempo hätte das
Aufkommen von Langeweile sicher verhindert.
Horst Römer
Hanauer Papiertheater – Anne Garrecht, Terry Andrews, Helmut Wurz,
Frankfurt
Die Sauerkrautprinzessin
Dabei handelt es sich um Liselotte von der Pfalz, die aus Staatsraison
den lasterhaften Herzog von Orléans hatte ehelichen müssen und so an
den feudel-verkommenen Hof Ludwig XIV geraten war. Die bodenständige,
resolute Liselotte zeigt dem hochnäsig-arroganten Adel und seinen
Schranzen, was eine Harke ist, schockiert die königlichen Spitzenköche
mit ihrer Bestellung von Knackwurst und Sauerkraut und macht aus einem
blaublütigen Sittenstrolch einen liebevollen, treuen Gatten. Die leicht
frivole Geschichte wird von Couplets wie „Mein Gott, wie sind wir
vornehm“ begleitet, die namentlich die Ohren älterer Zuschauer
erfreuen. Ein flott inszenierter Spaß, bei dem es nicht stört, dass er
historisch nicht voll abgesichert sein soll. Dafür ist er
gelungen.
Uwe Warrach
Haases Papiertheater – Sieglinde Haase, Martin Haase, Remscheid
Vom Zauber des Rheins – Eine
�Sagen�hafte Schiffsreise von Bingen nach Köln
Premieren tragen ja noch mal eine ganz besondere Stimmung in
sich, einen Kitzel, der über die „normale“ Aufführung hinausgeht. Und
so macht es sicherlich viel vom Gesamteindruck des
Papiertheatertreffens aus, mit welchem Stück man am Freitagabend
einsteigt. Ich habe einen Volltreffer gelandet und zum Auftakt zwei
Stücke gesehen, die schon mal die ganze Bandbreite aufzeigten. Eines
zeigte den Zauber des Rheins.
Es gibt drei Möglichkeiten, den sagenhaften Rhein zu erleben, erläutert
Martin Haase vor der Aufführung:
1. Man fährt selber hin und schaut ihn sich an.
2. Man genießt den Rheinwein, bis man weiße Mäuse,
Jungfrauen und Ritter sieht
3. Man besucht eine Papiertheateraufführung.
Wohlan, das habe ich getan: Wie Perlen an einer Kette reihen sich kurze
Szenen zu den mehr oder weniger bekannten Sagen des Rheins, verbunden
durch eine witzige, fantastisch umgesetzte Rahmenhandlung – ein
Bootsausflug auf dem Rhein. Die Reisenden werden vor und nach der Fahrt
von ihrer charmanten Reisebegleiterin zur Kasse gebeten und sehen die
Loreley, einen Schützenwettkampf, sehen Drachen und Jungfrauen und
fühlen mit dem Mönch, der die Bibelworte „1000 Jahre sind wie ein Tag“
am eigenen Leib erfährt. Klares Spiel, perfekte Inszenierung ohne
perfektionistisch zu wirken. Ganz großes Theater!
Iris Förster
Sieglinde und Martin Haase luden Ihre Zuschauer ein, eine muntere
Reisegruppe auf eine Rheinschifffahrt zu begleiten. Kaum dem knallroten
Reisebus entstiegen, ging die aus fotografischen Vorlagen gestaltete
Touristengruppe samt Reiseleiterin in Bingen an Bord, und los ging’s,
indem sich allerdings nicht der Dampfer in Bewegung setzte, sondern –
wunderbarer Papiertheater-Zauber – ein herrliches Wandelpanorama. Ein
Freund der Haases hatte zu diesem Zweck das um 1830 von Jacob C. Becker
gezeichnete „Panorama des Rheins“ sehr gekonnt koloriert.
Auf der Fahrt wurden viele Rheinsagen auf der Papiertheaterbühne
lebendig. So wunderten sich die Damen der Reisegruppe beispielsweise
beim Passieren der Lorelei darüber, dass sich Ihre besseren Hälften
nicht wie sie auf der Steuerbordseite, sondern auf der felsabgewandten
Backbordseite aufhielten – war doch hier eine menschgewordene Lorelei
deutlich attraktiver als die leblose Natur. Wir wurden Zeuge, wie der
blinde Schütze auf Burg Sonneck sich nicht seine Freiheit durch einen
Probeschuss verdient hat, sondern lieber gleich seinen Widersacher
direkt erledigte; wir sahen Untote unter größtem Einsatz der Haaseschen
Nebelmaschine aus den Gräbern zu Himmerod aufsteigen und wir erlebten,
wie auf dem Drachenfels die bereits erwähnte Nebelmaschine einem
fürchterlichen Jungfrauen-verspeisenden Drachen zu seinem
eindrucksvollen Auftritt verhalf. Die Heinzelmännchen kamen
erbsenbedingt zu Fall und der Mönch von Heisterbach verpasste durch
seinen mehrhundertjährigen Schlaf, wie aus den Ruinen seines Kloster
die Filiale eine schwedischen Möbelimperiums erwachsen ist. Dies alles
wurde kurzweilig und absolut sehenswert in Szene gesetzt -
Höhepunkt war jedoch das Feuerwerk am Ende: dies war so verblüffend
gemacht, das es sich der Zuschauer eigentlich nur mit „Projektion“
erklären konnte. Martin Haases Erklärungen nach der Vorstellung
zeigten, dass es viel, viel einfacher war. Das ist die wirkliche Magie
des Papiertheaters - rheinfach zauberhaft !
Jens Schröder
Hellriegels Junior – Gerlinde Holland, Willem Klemmer, Kiel
Ein Nilpferd kommt selten allein / Max
und Moritz
Eine kurze Familiengeschichte zuvor (entschuldige Willem, aber das muss
sein...):
In den 1980er Jahren entdeckte der Schauspieler und Rundfunksprecher
Heinz Holland das Papiertheater für sich. Und machte dabei eine
interessante Ausgrabung: Einer seiner Vorfahren, der Drucker Carl
Hellriegel in Berlin, hatte Papiertheater-Bogen gedruckt.
Also nannte Heinz Holland sein Papiertheater
„Carl-Hellriegel-Nachfahren“. Mit seiner Frau Gerlinde brachte er nun
jedes Jahr zum Preetzer Papiertheatertreffen eine deutsche Ballade auf
die Bühne und gewann eine kleine Verehrergemeinde. Bis zu seinem Tod
2001.
Und nun „Hellriegels Junior“, der zehnjährige Willem Klemmer mit seiner
Großmutter Gerlinde.
Der erste Auftritt vor zwei Jahren hätte noch ein kurzes Aufflackern
sein können, eine Sternschnuppe am Papiertheaterhimmel. Begrüßt und
vergessen. Das 25. Preetzer Papiertheatertreffen, Juniors dritter
Auftritt, aber hat die Bühne als Podium der Umsetzung von Bilderbüchern
in das dreidimensionale Papiertheater – fast möchte man sagen –
etabliert.
Ja, ja, die Tierliebe... Da geht der Robert nichts ahnend spazieren und
– hat plötzlich ein Nilpferd an der Hacke. Gar nicht so einfach, die
Eltern davon zu überzeugen, dass das Tier im Planschbecken in
Hausgarten doch eigentlich gut aufgehoben ist. Aber, aber „Ein Nilpferd
kommt selten allein“. Bald ist es eine ganze Herde, die dem Robert in
den Garten folgt. Das ist den Eltern zuviel! Im Branchenadressbuch
finden sie die Nummer einer geeigneten Zauberin. Die kommt, verabreicht
dem Robert eine Pille – Blitz, Krach, Bumm – und die Nilpferde sind
verschwunden! Aber, aber, na ja, mehr wird hier nicht verraten...
Mit Max und Moritz sprengt dann auch „Hellriegels Junior“ den
traditionellen Papiertheater-Rahmen. Ein Aufsteller, dessen Front ein
dicker Tulpenstrauß schmückt, in der Apotheke entdeckt, eine
quadratische Pappsäule mit drei rechteckigen Öffnungen übereinander,
die wohl eigentlich für ein Schönheitsmittelchen werben sollte, reizt
die Papiertheaterspielerphantasie und wird zum Tulipan-Theater!
Richtig! Die drei „Bühnenöffnungen“ sind doch wie die Kästchen einer
Bildergeschichte. Besonders geeignet für das Häuschen der Witwe Bolte:
unten der Garten mit den Hühnern und dem Apfelbaum, an dem sie dann
kläglich hangen – „Ach was war das für ein Graus!“ – und
wahlweise der Keller, aus dem die Witwe Bolte eine Portion vom
Sauerkohle sich hole, in der Mitte der Herd, auf dem die Hühner
„Lieblich in der Pfanne schmurgeln“ und oben das Dach mit dem Kamin,
durch den die bösen Buben: „mit Vergnügen sehen sie die Hühner
liegen...“
Und das Ende der Geschicht: Jubelnder Beifall für „Hellriegels Junior“,
und vielleicht auch dafür, dass die Bühne ein lebendiges Argument gegen
das ewige Lamento von der überalterten Papiertheaterscene
setzt.
Norbert Neumann
Muthesius Kunsthochschule – Studierende des Fachbereichs
Raumstrategien, Klasse von Prof. Ludwig Fromm, unterstützt von Martin
Witzel, Kieler Opernhaus, Kiel
Der Spinner
Thomas McMeyer ist der Spinner. Er züchtet Spinnen, spricht mit ihnen
und wird letztlich Opfer seiner Leidenschaft.
Studierende des Studiengangs Raumstrategien an der Muthesius
Kunsthochschule Kiel unter Leitung von Prof. Dr. Ludwig Fromm haben
dieses Stück entwickelt. Der Vorspann entpuppt sich als
„fadenscheinig“, wird der aus Fäden gespannte Schriftzug doch mittels
Schwarzlicht erst sichtbar. Die comicartig entwickelte Figur des Thomas
McMeyer agiert im Raum, das Spinnenlabor wirkt regelrecht gespenstisch.
Leichte, weiße Papierkugeln – Kokons – erobern den Raum und
beherrschen die Szenerie, krabbelnde Insektenhandschuhe erobern die
Bühne. Eine Geschichte, die vom Ende her erzählt wird,
eingesponnen in eine technisch und künstlerisch perfekte Aufführung:
Hut ab! Das war richtig spannend.
Iris Förster
Papiertheater der urbanen Kriminaliät – Megi Koschwitz-Herrmann, Walter
Koschwitz, Berlin
Kokain – Ein Dichterschicksal in Berlin
In ihrem „Papiertheater der urbanen Kriminalität“ zeichnen Megi und
Walter Koschwitz das Schicksal eines Dichters nach, der im Berlin der
30er Jahre versucht Fuß zu fassen.
Doch zuvor wird der Zuschauer
mittels Erzähler, der im weiteren Verlauf des Stücks dann den
Protagonisten mit teils philosophischen Kommentaren begleitet,
mit dem Berlin der 30er Jahre bekannt gemacht.
Nach nur einem Auftritt
von Kritikern verrissen, beginnt für den Dichter der Abstieg und er
kommt vom Alkohol zum dem Stück seinen Namen gebenden Kokain.
Mit
vernebelten Sinnen irrt er durch die Stadt, die inzwischen vom Krieg
und Bombenangriffen gezeichnet ist. In der fast surrealen Schlussszene
endet das Stück dann mit der Befreiung der Berliner Zoo-Tiere durch
Bomben und – zumindest gefühlt – auch mit der des Dichters.
Das Bühnenstück bietet viel Fläche auf allen Ebenen, es mit Inhalt zu
füllen und die Grenzen des Papiertheaters zu überschreiten.
Da sind zunächst die das Stück dominierenden Monologe, mit denen der
Dichter vordergründig seine durch Drogen verzerrte
Wirklichkeitswahrnehmung widergibt.
Hintergründig enthalten sie aber
viele philosophische Ansätze, deren Vertiefung im Kopf des Zuschauers
leider bisweilen mit der Schnelligkeit und Flüssigkeit des Spiels
kollidiert.
So auch bei dem Hauptwerk des Dichters „Der Motor“, das
eigens von Walter Koschwitz nur für das Stück gedichtet wurde.
Untermalt werden die Szenen von dissonanter Musik, die in Verbindung
mit den Texten ein intellektuelles Reizklima schafft und den Zuschauer
aus seiner geistigen Komfortzone holt.
„Keiner kann so schön Häuserruinen malen wie Koschwitz“, lautete der
Kommentar eines Zuschauers. Und tatsächlich ist es ihm wieder einmal
gelungen, die Handlung atmosphärisch dicht mit den entsprechenden
Kulissen auszustatten.
Die Kulissen sind dann auch der eigentliche Stein des Anstoßes
verbunden mit der Frage, wann und wo Papiertheater beginnt bzw.
aufhört.
Eine Fahrt durch Berlin.
Bahnhöfe, Sehenswürdigkeiten und
Leuchtreklamen fliegen vorbei – in der ganzen Vorstellung vollzieht
sich der Kulissenwechsel fließend und die Handlung wird in einem Stück
durchgespielt.
Der Zuschauer staunt. Berlin, Mitte der 30er
Jahre.
Aus einer Menschenmenge verschwinden plötzlich Personen.
Der
Zuschauer versteht – auch ohne verdeutlichenden Text des Erzählers –
was gemeint ist und staunt noch mehr. Berlin im Bombenhagel, eine ganze
Bomberflotte im Anflug. Der Zuschauer ist baff. Nach dem Vorhang dann
die Erklärung: bis auf wenige Seitenkulissen und die bewegten Figuren
im Vordergrund handelt es sich um eingescannte Bilder, die auf einem
Bildschirm als Video abgespielt werden.
Ist das noch Papiertheater? Reicht das Hin- und Herschieben von
Papierfiguren vor einem Computerbildschirm aus, Papiertheater zu sein?
An dieser Frage schieden und scheiden sich die Geister.
Koschwitz
erklärtes Ziel ist, mit Papiertheater zu provozieren, Grenzen zu
überschreiten. Das gelingt ihm nicht nur mit seinen Stücken selbst, die
beim Zuschauer thematische Auseinandersetzung einfordern, sondern nun
auch mit der Art und Weise der Darstellung. Und er macht es einem auch
da nicht leicht: Die Kulissen kommen zwar als Video über den Bildschirm
eingespielt, sind aber vorher alle mit der Hand gezeichnet worden, so
dass ihr Flair trotz Digitalisierung erhalten geblieben ist. Das gilt
ebenso für die räumliche Tiefenwirkung, die nicht nur durch die
Seitenkulissen, sondern eben auch durch die digitale Umsetzung den
Eindruck eher verstärken.
Hier muss der Zuschauer selbst entscheiden, wo seine persönliche Grenze
liegt. Die klassischen Tricks wie Kerzenbeleuchtung und Blitzpulver
nutzt heute schon aus Sicherheitsgründen niemand mehr bei öffentlichen
Aufführungen. Dafür kommen LED-Leuchten, Lichtmischpulte, sowie
Computer und CD-Player als akustischer Hintergrund zum Einsatz.
Ist nicht bereits das Übertechnisierung, oder nur das Ausreizen des
technisch Machbaren im Genre Papiertheater? Papiertheater jedenfalls
lebt von der Überschreitung seiner Grenzen, von der Verblüffung seiner
Zuschauer und einem nachhaltigen Erinnern. Das ist bei Koschwitz‘
„Papiertheater der urbanen Kriminalität“ mit Sicherheit der Fall und
das Stück „Kokain“ somit ein wichtiger Beitrag zur Vielfalt der
Bühnen in Preetz.
Olaf Christensen
Papiertheater Pollidor – Barbara und Dirk Reimers, Preetz
Der Fürst der Finsternis
Der Direktion war die Premieren-Sorge anzumerken, ob das Publikum, egal
ob mit oder ohne Programmzettel, diese absurde Geschichte überhaupt
verstehen würde. Vom Land des Mahdi aus antiken Trümmern des Sudans
heraus geht es, im 19. Jahrhundert, direkt auf den Mond, um dort
sagenhafte Goldschätze zu heben. Das geschieht mit Hilfe von Techniken,
die selbst Jules Verne bestenfalls in besoffenem Zustand prophezeit
haben möchte – und doch: Die Handlung ist ebenso zweifelhaft wie
zielorientiert, sentimental wie witzig und so trivial wie achtersinnig.
Dabei überzeugt die Auswahl klassischer Kulissen von Ausgrabungsstätten
und Mondlandschaft. Die nicht kleine Figurenschar verlangt den beiden
live Sprechenden einiges ab. Es ging alles gut, auch das Verstehen: Es
war (wie so oft) auf der Bühne alles viel klarer als in den
Schauspielführern.
Uwe Warrach
Das PapierTheater Nr.29
SEITE 3
November 2012
Papiertheater-Workshop
Erster Papiertheaterspielerworkshop
im Seebad Heringsdorf/Bansin vom 31.08.2012 – 02.09.2012
von Uwe Schlottermüller, Brigitte Lehnberg und Robert Jährig
Harry Oudekerk hatte vor einiger Zeit
im Forum die Idee für ein Treffen der Papiertheaterspieler, ohne
Zuschauer und Kritiker, bei dem gespielt, ausprobiert und sich
ausgetauscht wird. Er nannte dies seinen „Traum“. Einige Spieler,
die im Forum Papiertheater schreiben, griffen diese Idee freudig
auf. So wurde im Forum beraten und beschlossen, Harry Oudekerks
Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Nach einigem hin und her über den
Termin einigten wir uns dann auf ein Wochenende vor Preetz im Seebad
Heringsdorf. Wir, das sind Robert Jährig, Uwe Schlottermüller und
Brigitte Lehnberg. Leider konnte Harry nicht kommen, was wir sehr
bedauert haben.
Freitagabend fanden wir uns zur
Begrüßung und zum ersten Kennenlernen bei einem gutem Essen zusammen.
Schnell entstand eine freundschaftliche Arbeitsatmosphäre, die sich
über die gesamte Zeit des Workshops
erstreckte.
Am nächsten Morgen trafen wir uns nun
in unserem "Seminarraum". Robert Jährig hatte dort schon am Freitag
seine für den Workshop zur Verfügung gestellte Eickemeyer-Bühne
aufgestellt. Diese ist von ihm nach alten Plänen selbstgebaut, eine
beeindruckende und große Bühne, die kaum Wünsche offen lässt. Sie regte
zunächst einmal zur Diskussion über Vor- oder Nachteile von großen bzw.
kleinen Bühnen an.
Die Lichttechnik, die Versenkungen,
der schnelle und gleichzeitig sichere Wechsel der Hintergründe und
Kulissen wurden ausgiebig ausprobiert und getestet.
Ein großes Thema am Vormittag war
Beleuchtung und Lichttechnik mit LED. Dazu wurde mit verschiedenen
Stimmungsvarianten experimentiert und ihre Wirkung zur Verstärkung der
Illusion anhand von Bühnenbildern getestet.
Nach einem ausgiebigen gemeinsamen
Mittagessen und einem Spaziergang ging es am Nachmittag
weiter.
Robert Jährig stellte uns einige
Bühnenbilder seiner in Vorbereitung befindlichen neuen Stücke vor, die
im Oktober und Dezember Premiere haben werden. Auf der großen
Eickemeyer-Bühne ergibt sich eine durchaus intensive und beachtliche
Perspektive, welche den Zuschauer förmlich in das Geschehen auf der
Bühne zieht.
Ebenso hatte Brigitte Lehnberg
Kulissen und Bühnenbilder dabei. Sie stellte ihren "Fliegenden
Holländer" vor. Die gezeigten Szenen wurden analysiert und gemeinsam
wurde nach Möglichkeiten gesucht, das Gesehene zu verbessern. Dabei
wurde auch festgestellt, daß Handlungen, die sich auf der Bühne oftmals
nur mit großen Schwierigkeiten darstellen lassen, in die Kulisse
verlegt werden können. Das regt die Phantasie der Zuschauer sehr
an.
Robert Jährig stellte im Anschluss
noch die Kurzoper "Der Freischütz" vor. Hierbei brachte er auch einen
Ausschnitt der Versionen von 1928 und 1943 auf seinem Grammophon zu
Gehör.
Der Abend klang bei einem gemeinsamen
Abendessen und weiteren Fachgesprächen aus.
Der Sonntag war dann dem
Sprechunterricht mit Uwe Schlottermüller vorbehalten. Obwohl uns die
Bedeutung von Betonung bekannt ist, hatten wir doch bei der Umsetzung
einige Schwierigkeiten. Unter Uwes fachkundiger, kritischer und
einfühlsamer Anleitung gelang es letztlich, Textzeilen mit
verschiedener Betonung und Aussage zu sprechen und dies als
gestalterisches Mittel einzusetzen. Die Wichtigkeit dieses Themas kann
man nicht genug hervorheben. Wir sind uns darüber einig, dass so etwas,
auch bei einem kommenden Workshop, unbedingt dabei sein
sollte.
An dieser Stelle wollen wir nun auch
unseren Papiertheater Nachwuchs erwähnen. Felix, 8 Jahre, der Uwe
begleitete, erfreute und bereicherte uns mit seinen kreativen
Anmerkungen und Ideen. Für ihn gab es auch die Möglichkeit, mit einem
iPad die Pollocks App ausgiebig zu testen, was ihm augenscheinlich viel
Freude bereitete.
Unser Fazit: Es war ein gelungenes
Treffen, von dem wir alle neue Einblicke und Erkenntnisse mitnehmen
konnten. Sich einmal persönlich getroffen zu haben, war ein
zusätzliches Vergnügen. Robert Jährig denkt darüber nach, im kommenden
Jahr erneut einen Workshop der Spieler zu organisieren und damit Harrys
Traum weiter mit Leben zu erfüllen.
Das PapierTheater Nr.29
SEITE 4
November 2012
Serie „Wie ich zum Papiertheater kam“ - Folge 5
Wie der Fund einer blauen Mauritius...
von Klaus Loose
Klaus Loose, geboren 1928 in der Niederlausitz, kam
schon als etwa Sechsjähriger zum Papiertheater. Die kleinen Bühnen
begleiteten ihn sein Leben lang, vor allem als Marionettentheater, das
er 44 Jahre lang in Oldenburg und Bamberg als ehrenamtlicher
„Prinzipal“ führte. Einen wichtigen Teil seiner Erfahrungen hat er in
dem Buch „Das Bamberger Marionettentheater – es war wie der Fund
einer blauen Mauritius“ geschildert und bebildert. Insgesamt umfassen
sie beinahe 80 Puppentheaterjahre, wenn auch unterbrochen durch
schwierige und schwere Zeiten.
Mein Onkel in Berlin erhielt um
1934/35 von Kollegen ein Miniaturtheater geschenkt. Man würde
heute dazu Papiertheater sagen. Das war es aber keineswegs. Diese
Miniaturtheater sehen so aus, dass da ein Kasten ist, der die Bühne
bildet. Wenn man den Kasten öffnet, meistens von unten, liegen
dort alle Einzelteile zum Zusammenstecken: ein Proszenium, die
Kulissenhalter, ein paar Kulissen und evtl. auch Figuren.
Mein Onkel, der von diesen Sachen
überhaupt nichts wusste, für den das alles einfach neu war, hat
dann mit den vorhandenen Kleinmarionetten für seinen Sohn gespielt, der
mit mir gleichaltrig war. Er hat selber auch Stücke geschrieben.
1939 kam der Krieg. Mein Vater und mein Onkel wurden eingezogen. Mein
Cousin stand dem Miniaturtheater zuerst ablehnend gegenüber. Doch wie
das bei Kindern oft ist, wuchs sein Interesse durch meine
konkurrierende Begeisterung. Mich faszinierte schon damals das Theater,
vom Weihnachtsmärchen bis zu den großen Klassikern. Mein Cousin, der
geschickter war als ich, b a u t e später auch Dekorationen
für seine kleine Bühne.
Gebaute Dekorationen sind anders als
gemalte, die flach sind. Bei den gebauten ist eine Säule rund und bei
einer flachen Dekoration gemalt oder wie im Papiertheater gedruckt. Sie
wirkt durch geschickte Beleuchtung rund.
Ich kaufte meinerseits jede
Menge Schreiber-Bogen. Die waren damals noch als Reste direkt beim
Verlag zu bestellen. Ich sehe mich noch, wie ich sie auf
meinem Fahrrad, hinten die neu gekauften Bogen, von der Post abholte.
Jeder Pfennig vom Taschengeld blieb in diesen Dingen.
Nun wollte ich aber auch ein T h e a t e r haben. Mein
Vater hatte als Chef einer Kompanie Zugang zu den Werkstätten seiner
Kaserne. Da hat er es geschafft, nach einem Buch aus der
Lehrmeisterbücherei Leipzig ein Theatergestell für mich bauen zu
lassen. Darauf konnten wir dann bei uns mit den kleinen Marionetten
meines Vetters spielen, wenn dieser zu Besuch kam.
Wir wurden nämlich in den Ferien von den Müttern „ausgetauscht“, wegen
der fehlenden Urlaubsmöglichkeiten. Wenn er an der Reihe war, brachte
er in seinem Koffer aus Berlin die Kleinmarionetten mit. Für die
Herstellung eigener Figuren war ich als 11- oder 12
jähriger zu ungeschickt. Es fehlte die väterliche Anleitung. Den
ganzen Krieg über blieben die Figuren im Pendelverkehr mit meinem
Vetter. Waren wir in den Ferien dort, spielten wir auf seinem Theater.
Nun kam der harte Eingriff für meine Generation. Wir wurden mit 15
Jahren Luftwaffenhelfer, bekamen eine Uniform, wurden kaserniert und
entweder an Scheinwerfern oder an Fliegerabwehrkanonen, FLAK genannt,
ausgebildet. Da war es natürlich mit dem Marionettentheater erst einmal
vorbei, bis der Krieg zu Ende war. Mein Vetter war leider wenige Wochen
vor Kriegsende vor Potsdam gefallen, nicht weit von seiner Heimat.
Das Innere unseres Hauses in Cottbus
glich einem Abfallhaufen, den die Sowjets übrig gelassen hatten.
Sie haben vieles kurz und klein geschlagen und durcheinander
geschmissen, was sie in den Häusern fanden. Da war wiederum zunächst
„Pause“ mit Theater. Bei Spaziergängen habe ich immerhin schon
angefangen, mir kleine schöne Aststücke auszusuchen. Z.B. von Birken,
die im Wald lagen, weil ich damit Dekorationen bauen wollte. Denn das
Theater war ja noch da.
In unserer ehemaligen Schule
hatte eine militärische Einheit bis Kriegsende gelegen, welche
die Klassenräume geteilt hatte. Das gab wunderbare Spanwände und
Dachlatten. Da sind ein Schulfreund und ich, getarnt als Bauarbeiter,
mit einem geborgten Plattenwagen hingefahren, haben Platten, Leisten,
Türen ungestört aufgeladen und zu mir nach Hause geschafft. Es
ging in den ersten Wochen nach der Kapitulation noch alles drunter und
drüber.
Der Dachboden in unserem Siedlungshaus
war schon gedielt und für einen etwaigen Ausbau vorgesehen,
einschließlich der Giebelfenster. Das reichte für einen Raum von
mittlerer Größe. Der Schornstein lag so, dass man in einem
Zwischenraum einen Ausschnitt machen konnte, in den das Theater
gestellt wurde. Praktisch jedoch sind wir zu nichts gekommen, weil die
Figuren fehlten.
Anfang der Fünfziger Jahre musste ich
Cottbus plötzlich verlassen. Ich wurde zur politischen Polizei
vorgeladen, weil ich über das Arbeiteridol der DDR, den
Übersollarbeiter Hennecke, gescherzt hatte. Nun sollte ich als Spitzel
für die Stasi tätig werden. Mein Vater, der die sowjetischen Methoden
am eigenen Leib erfahren hatte, riet mir dringend: „Du musst fort!“
So bin ich nach Westberlin gegangen; das konnte man damals noch. Zwar
auf Umwegen, weil ich nicht wusste, ob man mich beobachtete. Die
Familie eines Kommilitonen meines Vaters aus der Studentenzeit
brachte
mich in einem Wohnheim unter. Als meine Braut nachkam, haben wir dort
geheiratet. Wir bekamen ein eigenes Zimmerchen in Untermiete, später
eine kleine Wohnung. Aber immer noch kein Papiertheater.
In diese erste Zeit nach meiner Flucht
fielen zwei große, mein ganzes Leben bestimmende Ereignisse. Abgesehen
davon, dass ich in meinen Brotberuf (damals noch beim Zoll) schnell
wieder hineinkam, waren das als Nummer eins eine Frau, Prof. Gertrud
Weinhold, international berühmte Sammlerin christlicher Volkskunst. In
voller Unschuld hatte ich mich an sie mit einer Frage, welche eine
Weihnachtspyramide aus dem Erzgebirge betraf, gewandt. Ohne mir Zeit
zum Nachdenken zu geben, gliederte sie mich sofort in ihr ehrena
mtliches Team ein. Ihr Name wird für immer mit den berühmten
Weihnachtsausstellungen am Berliner Funkturm verbunden bleiben. Dort
blieb ich dann 35 Jahre lang bis zu ihrem Tode als „rechte Hand“. Sie
brachte mich mit Wilhelm Reinking, dem Bühnenbildner und
Ausstattungschef bei der Deutschen Oper in Berlin, zusammen. Die Kniffe
und Tricks der barocken Bühne beherrschte er alle un
d hat sie an mich weitergegeben. Ich lernte, wie man eine offene
Tür
malt und den Eindruck einer unendlichen Weite schafft und dergleichen
mehr. Das war das „Ereignis Nr. 2“.
Noch in der Westberliner Zeit gelang
es mir bei einem Schlendergang durch die Antiquitätengeschäfte, ein
Theater aus dem Jahre 1810 zu kaufen. Davon kann man wirklich sagen:
„Das gibt`s nur einmal.“ Darüber habe ich ein Buch geschrieben: „Es war
wie der Fund einer blauen Mauritius.“ In diesem Theater, es war eine
Spur größer als die üblichen Miniaturtheater, habe ich dann 44 Jahre
lang Vorstellungen gegeben.
Einst waren auf diesem alten
Theater große Werke gespielt worden, z.B. „Das Käthchen von
Heilbronn“, 1821 „Der Freischütz“. Aus dieser Zeit sind noch
Dekorationsteile in Gebrauch. Auch der brennende Palast, der im
„Käthchen“ vorkommt, ist gottlob noch erhalten und wurde später von mir
eingesetzt.
Mein Schwiegervater war mit
Metallarbeiten vertraut und hat das Theater in jahrelanger Arbeit
restauriert. Es war eine große Arbeit, aber immerhin: 1962, zehn Jahr
nach meiner Hochzeit, konnte die erste Vorführung stattfinden. Wir
haben als erstes den ‚Don Juan’ gespielt, eine Textfassung aus der Zeit
kurz nach dem Erscheinen des barocken Ursprungswerkes. Ein ehrwürdiges
Stück, Mozart hat es verarbeitet, Moliére desgleichen. Bei ihm heißt
die lustige Figur Sganarelle. In unserer Fassung ist es der barocke
Hanswurst.
Das fand stets in unserer Wohnung
statt. 1960 sind wir nach Oldenburg i.O. umgezogen. Dort haben wir
später ein Haus aus der Schinkelzeit gehabt. Ein mir befreundeter
Immobilienhändler hat es mir verkauft und restauriert. Er überließ uns
für das Theater mit 12 Plätzen eine extra dafür kostenlos ausgebaute
Kelleretage.
Mit den Premieren ging es dann immer so weiter. Von Oldenburg
sind wir nach Bamberg gezogen. Dort ging es mir räumlich noch besser.
Die Stadt hat mir nämlich 1980 kostenlos die Beletage eines
Barockpalais mit 12 Fensterachsen zur Verfügung gestellt.
Und jetzt, verehrte Leser, geht es
endlich los mit dem Thema „Papiertheater“.
Wir begannen, außer dem
Marionettentheater auf der Bühne auch Papiertheater zu machen. Das
erste war „Macbeth“. Ich habe niemals die Ratschläge meiner
Papiertheater- Kollegen befolgt, die mir immer versicherten, um das
Publikum aufmerksam zu halten, dürfe man nie länger als eine Stunde
spielen. „Macbeth“ habe ich etwas gekürzt. Aber es hat trotzdem ca. 2
Stunden gedauert. „Das Käthchen von Heilbronn“ habe ich überhaupt
nicht gekürzt. Es ist in voller Länge gespielt worden und wird
vielleicht heute noch gespielt. „Ritter Blaubart“ von Georg Trakl und
„Der Kurier des Zaren“ wurden ebenfalls als Papiertheater ins
Repertoire aufgenommen.
Ich habe mein Theater mit derselben Sorgfalt eingerichtet, ausgestattet
und beleuchtet , als wenn ich für ein großes Haus gearbeitet
hätte.
Die zauberhafte Wirkung gut beleuchteten Theaters mit K u l i s s
e n besteht darin, dass jede Kulisse von vorn mit einer Garnitur
mehrfarbigen Lichts von schwacher Stärke gleichmäßig beleuchtet wird,
weil dies eine gleichmäßige Beleuchtung ergibt, die einem „Gemälde“
gleichkommt.
Meine Dekorationen dazu kamen
meistens, sofern sie nicht von mir gemalt waren, von Trentsensky.
Davon hatte ich inzwischen eine große Sammlung in
Schwarz-Weiss-Kopien, die ich gelegentlich auch vergrößert und in der
Tiefe bearbeitet habe. Malerisch bearbeitet habe ich sie mit meinen
Mitarbeitern.
In den wenigen von 1810 erhaltenen
Dekorationsteilen aus Blech (eine spätere Erweiterung - etwa 1850 – ist
aus fester Pappe) finden sich einige technisch interessante Teile. Zum
„Käthchen“ gehört als Verwandlungsprospekt die Front von Kunigundens
Palast, der brennen muss. Die Front des Palastes ist vollkommen
erhalten, wurde restauriert und bricht in der Vorstellung brennend
zusammen. Sie prasselt mit ohrenbetäubendem Geräusch herunter und gibt
den Blick auf die Ruine frei. Dafür machten wir eine Lichtinstallation,
die aus einem elektrischen Zimmerkamin stammte, unterstützt von einer
üblichen Nebelmaschine. In dem Kamin gibt es eine Walze aus
Drahtgeflecht. Diese warf durch eine raffinierte Konstruktion züngelnde
Flammen auf ein Drahtgitter, das man nicht sehen konnte. Der Effekt war
stets enorm.
Die Papierfiguren haben wir immer
mit einem Stab von der Seite geführt. Die deutsche Führung war offenbar
ganz allgemein eine Führung von oben mit einem senkrechten Draht.
Die seitliche Führung hatten wir im
Papiertheaterverein kennen gelernt. Mit der Zeit haben wir verschiedene
Möglichkeiten ausprobiert. Man kann ein Klötzchen machen und zwei
winzigkleine Blechwinkel vorne anbringen, wenn man nichts anderes hat,
steckt die Figur hinein und macht den Stab daran. Doppelt so lang
wie die Bühnenbreite, wenn die Figur von rechts kommt und nach links
abgehen muss. Es gibt auch metallene Führungsstäbe, die eine
Vorrichtung aus Draht zum Einklemmen haben und mit einem festen Draht
von der Seite geführt werden. Ebenso gibt es Führungen, die man mit
einem Ruck über ein Fadensystem umwenden kann, für Wendefiguren, die
von beiden Seiten bedruckt oder bemalt sind. Das sind die Systeme, mit
denen wir uns in den Vorstellungen abgegeben haben.
Immerhin hat so ein „Schinken“ wie „Macbeth“ 16 Bilder. Sich so etwas
auf einer Miniaturbühne ansehen zu sollen, ist schon ein Wagnis. Mein
Blick in mein Buch bleibt eben an dem Stuhl von Macbeth an der großen
Festtafel hängen. Es ist ein Sessel, auf dem der Geist von Banquo
erscheint. Das haben wir ganz einfach transparent gemacht.
Dem Sessel sah man das nicht an. Es war ein
großer gotischer Sessel. Er bot Platz für ein Portrait hinter der Lehne
, während die Sessel der anderen Tafelgäste kleiner, bescheidener
waren. Da glühte dann derOberkörper von Banquo auf.
Theater ist in erster Linie erstklassiges Handwerk.
Das Künstlerische kommt dann obendrauf. Nur so kommt man zu
schönen Ergebnissen. Wir haben die Jahrzehnte über an der ganzen Sache
sehr viel Freude gehabt. Mit dem „Fliegenden Holländer“ (mit
Kleinmarionetten) habe ich mich vom Theater in den Ruhestand
verabschiedet.