Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
es sollte eine kurze, zwischengeschaltete Ausgabe mit einem
Weihnachtsgruß werden und entwickelte sich zu einer Ausgabe mit 4
redaktionellen Beiträgen. Viel Lesestoff also für die Adventszeit, für
die wir hoffen, dass es etwas beschaulicher zugeht und so die Zeit
bleibt das vergangenen Jahr im Rückschau zu betrachten und sich auf ein
ebenso ereignisreiches Jahr 2013 zu freuen.
Viel Vergnügen bei der Lektüre!
(mf)
INHALT – Nr. 30 – Dezember 2012
Weihnachtsabend vor 100 Jahren - natürlich mit
dem Papiertheater
von Otto Ernst
Seite 2
Das Große im Kleinen
von Joachim RüeckSeite 3
Es war einmal ...
von Klaus Beelte
Seite 4
Ein Lob auf das Publikum
von Martin Haase
Seite 5
Vorschau Seite 6
alle Ausgaben
Das PapierTheater Nr.30
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Dezember 2012
Weihnachtsgruß
Weihnachtsabend
vor 100 Jahren – natürlich mit dem
Papiertheater!
"Da,
Mutter, hast'n - Griff!" - Weihnachtliches Papiertheater ausnahmsweise
mal nicht im Bürgertum; der Autobiograph Otto Ernst wuchs in einem sehr
beengten Haushalt auf.
Auszüge aus „Asmus
Sempers Jugendland“ von Otto Ernst (Hamburger Schriftsteller, 1862-1926)
Inzwischen rückte
die Weihnacht näher und näher. Asmus hatte
sich zwei Schillinge
erspart, und für diese wollte er seiner Mutter
einen
Milchtopf schenken. Mit dem Milchtopf in der Hand stand er harrend vor
der Tür,
die nach Weihnachten führt. Sein Herz klopfte; denn seltsame,
ungreifbare
Gerüchte, geflüsterte Warnungen und geraunte Andeutungen hatten seit
Tagen die
Luft durchschwirrt. Man hatte ihn oft von der Seite angesehen und dabei
gelacht. Als nun langsam und leise knarrend die Tür aufging und ein
Schimmer
sichtbar wurde, setzte er sich in Sturmlauf.
„Da, Mutter,
hast’n – Griff“, sagte er; denn mit dem
Milchtopf war er gegen den Türpfosten gerannt, und nur noch den Griff
hielt er
in der Hand. Und was für ein wundersamer Tag dies war, das konnte man
daran
sehen, dass die Mutter, als er ihr ängstlich ins Gesicht sah, nicht
zürnte und
schalt, sondern laut lachte; alle lachten sie laut, alle. Da stürmte er
fröhlich weiter und fand nun auf dem Weihnachtstische – ein
Puppentheater.
Er stand davor
und wagte nicht zu fragen, wem es gehöre.
Anzunehmen, dass es ihm gehöre, schien ihm eine ungeheure
Unbescheidenheit, und
die Antwort, dass es nicht für ihn dahingestellt sei, mochte er nicht
herausfordern. Überhaupt begriff er nicht, wie diese Herrlichkeit in
sein armes
Elternhaus käme. Endlich fasste er sich einen Mut und fragte:
„Von wem habt ihr
das geliehen?“
Da lachten wieder
alle und riefen durcheinander, das habe
sein Bruder Johannes für ihn gemacht und es gehöre
i h m.
Nun konnte Asmus
nur immer ganz kurz hervorstoßen: „O – o –
o - “; plötzlich suchte er seinen Bruder Johannes, stürzte auf ihn zu
und drückte
den Kopf ganz fest gegen dessen Leib, und dann kehrte er zum Theater
zurück.
Eine Dekoration
mit Bäumen war aufgestellt; der Erbförster
Kuno, Caspar, Max, der Bauer Kilian und mancherlei Volks standen auf
der Bühne.
Die ganze Bühne bestand aus einem einzigen Brett, das die Welt
bedeutete. In
diese Welt hatte man Löcher gebohrt, und in die Löcher wurden mittels
Zapfen
das Proszenium, die Kulissen und der Hintergrund gesteckt. Das war die
ganze
Maschinerie, und doch hat sie größere, seligere Wunder bewegt als der
raffinierteste Apparat.
Die Figuren
hatten Klötze an den Füßen und Drähte am Kopf;
aber für Asmus gingen und saßen, tanzten und schwebten sie wie
lebendige
Menschen und Götter. Nur selten hatte der gute Johannes Zeit, eine
Aufführung
zu veranstalten; wenn er es aber tat, so tat er’s mit Feuer und großem
Pathos.
Ein schönes Stück waren die „Hugenotten“; denn darin wurde geschossen;
noch
schöner war „Kätchen von Heilbronn“; denn darin brannte ein Schloß mit
bengalischen Flammen nieder; die Krone aller Stücke aber war der
„Freischütz“;
denn darin gab es zwei Schüsse, einen Teufel und in der Wolfsschlucht
ein
Feuerrad. Ja, einmal in einer Galavorstellung unter Anwesenheit hoher
Herrschaften wurde der „Freischütz“ sogar mit feurigen Rädern gegeben.
Als die
feingekleideten, schönen Mädchen im Semperschen Hause erschienen, war
es Asmus,
als ob ein süßer, feierlicher Klang durch seinen Körper rinne. Die
Ältere hatte
ein gar feines Gesicht und trug eine große Haarlast von einem wahrhaft
heiligen
Hellblond; die Jüngere hatte ein rundes Gesicht voll lieblicher
Sanftmut. Sie
sprachen unendlich vornehm und sagten, wie man in Hamburg zu sagen
pflegt,
„fuichtbar“ statt „furchtbar“ und „Rchräder“ statt „Räder“. Und sie
trugen
Handschuhe. Er hatte einmal gehört, dass einige Menschen in den Himmel
kämen,
andere in die Hölle. Jetzt begriff er das. Solche Mädchen kommen in den
Himmel,
dachte er. Und er sah an sich herunter und dachte: Mit solchen Hosen
und
solchen Stiefeln kommst du nie hinein.
Zwischen den
Festspielen pflegte er täglich seine
Theaterpuppen und Requisiten hervorzunehmen und mit stiller Freude zu
betrachten. Jeder Pappfigur sah er minutenlang fest ins Gesicht, um zu
sehen,
was sie wohl in diesem Augenblick denke. Er stellte sie vor sich auf
und betrachtete
ihre Gewänder, Hüte und Waffen. Dann nahm er die Dekorationen her und
wandelte
mit seinen Gedanken tief, tief hinein in die dunkelschattigen Wälder
und in die
sonnigen Gärten; er ging staunend immer weiter und weiter durch die
prangende
Säulenhalle der Ritter und schlich schaudernd entlang an den Wänden des
Kerkers
mit seinem angefesselten Gerippe. Er saß am Grunde der Wolfsschlucht
und
starrte dort hinauf, wo „Milch des Mondes“ über gespenstische Trümmer
rieselte,
und seine Gefühle überschlugen sich vor unausdenkbarem Grauen, dass er
die
Augen schließen musste. Und langsam, aber stark und stärker erwuchs in
ihm dass
Verlangen: Lesen können! Ach ja, lesen können – dann konnte er selbst
all die
schönen Stücke spielen! Und er bestürmte seinen Vater:
„Vater, lehr mich
lesen, man zu, Vater, lehr mich lesen!“
Das PapierTheater Nr.30
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Dezember 2012
Papiertheater-Shop
Das Große im Kleinen
von Joachim Rüeck
Unter „Aktuell“ hatten wir Anfang Oktober 2012
Papiertheater und Papiertheater-Laden MULTUM IN PARVO vorgestellt.
Inzwischen ist das Geschäft eröffnet und wie nachstehend eingehend
beschrieben worden.
Mering. Das üppige Bühnenbild
zur Wolfsschlucht aus „Der Freischütz“
des Darmstädter Hoftheatermalers Carl Beyer, der beeindruckende Wald
von „Rotkäppchen“, der ebenfalls einst im Mainzer Verlag Joseph Scholz
erschienen ist: Der Ausstellungsraum von Benno Mitschka und Christine
Schenk zieht die Blicke der Passanten magisch an, weil sich dort ein
prachtvolles Papiertheater ans andere reiht. Das Ehepaar hat im
November in Mering nahe Augsburg „Multum in Parvo“ („Viel in wenig“
oder auch „Großes im Kleinen“) eröffnet – das einzige Papiertheater-
Ladengeschäft Deutschlands. „Es geht darum, diese schöne Tradition
wieder aufleben zu lassen“, sagt Benno Mitschka. Hochqualitative
Reproduktionen liebevoll ausgestatteter Bühnenbilder schmücken den Raum
– von Märchen wie „Rotkäppchen“ über Opern wie „Die Zauberflöte“ oder
Dramen wie „Wallenstein“ bis hin zu unbekannteren Stoffen wie „Der
reuige Pirat“, in dem der Betrachter in die Kulisse eines Schiffsdecks
entführt wird. „Wir wollen die Lust an der Kultur wecken“, erklärt der
Germanist, Theaterwissenschaftler und Filmemacher Mitschka. „Oper war
im 19. Jahrhundert das, was Kino heute ist.“ Zusammen mit anderen
Papiertheatern wollen die Betreiber die im 19. Jahrhundert äußerst
populäre Kunstform wieder als feste Größe etablieren – in der Region,
aus der die Augsburger Gebrüder Engelbrecht stammten, die als
maßgebliche Wegbereiter des Papiertheaters gelten.
Im Hinblick auf die
fast vergessene Welt der Miniaturbühnen betonte der Meringer
Bürgermeister Hans-Dieter Kandler bei der Ladeneröffnung: „Wir haben in
Mering die Chance, diese Bildungslücke zu schließen.“ Seine Hoffnung,
das „Kulturgut zu bewahren“, verbindet auch der Vorsitzende des
Papiertheatervereins, Terry Andrews“, nun mit „Multum in Parvo“. Für
ihre 2008 geborenen Zwillinge bauten Benno Mitschka und Christine
Schenk ihre ersten klassischen Minitheater und studierten Stücke ein.
Daraus entwickelte sich eine
Leidenschaft, die in die Gründung eines
Familienunternehmens mündete. Und das liefert alles aus einer Hand.
Konzept, Adaption, Produktion in der hauseigenen Manufaktur und
Vertrieb – alles wird unter einem Dach erarbeitet, besprochen und
umgesetzt. Inzwischen gibt es unter www.papiertheater-shop.com die
komplette Kollektion der einstigen Carl-Beyer-Bühnenbilder für Scholz
und darüber hinaus sogar eines der größten Online-Angebote an
Papiertheater-Reproduktionen. Das Sortiment umfasst außer etwa 600
Kulissen- und über 150 Figurenbögen auch Postkarten, Bilder und andere
Geschenkartikel. Im „Multum in Parvo“-Laden in Mering werden künftig
nicht nur kunstvolle Papierbögen verkauft, sondern auch der Spaß an
Kultur und Begeisterung fürs Bauen, Inszenieren und Spielen
weitergegeben. Workshops und Aufführungen sollen den Ausstellungsraum
zusätzlich mit Leben erfüllen. „Die Miniaturtheater sind perfekt dazu
geeignet, Kindern spielerisch Bildung zu vermitteln und in ihnen ein
Gespür für Sinnlichkeit und Schönheit zu wecken“, sagt Christine
Schenk. Dreidimensionale Minitheater mit Botschaft: „Perspektiven in
die Welt hineintragen“, wie es Pfarrer Prof. Dr. Thomas Schwarz bei der
Ladensegnung ausdrückte. Das Große im Kleinen eben.
Laden im Inneren und von aussen
Das PapierTheater Nr.30
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Dezember 2012
Serie „Wie ich zum Papiertheater kam“ - Folge 6
Es war einmal...
von Klaus Beelte
Doch soll dies kein Märchen werden,
sondern ein Kurzbericht, warum jemand, der zwar gern ins Theater geht,
aber sonst nichts mit Theater zu tun hat, ausgerechnet das
"Papiertheater" zu seinem Hobby erklärt.
Unser Sohn mag etwa 4 Jahre alt
gewesen sein und besaß natürlich auch Kasperle-Figuren. Doch irgendwie
kam nie ein rechtes Stück zustande; sein Spiel konnte weder Freunde
noch Eltern dauerhaft begeistern und unsere elterlichen Versuche fanden
meist auch nur wenige Minuten die Gunst geneigter Zuschauer. Vor dem
Kind allein zu spielen, war für alle beteiligten recht langweilig, und
seine Freunde fanden anderes Spielzeug im fremden Kinderzimmer viel
interessanter.
Seinerzeit - in den 70ern - ging mir
die Idee durch den Kopf, man müsse mit dem Kind anders Theater spielen,
viel kleiner und vor allem so, daß der Akteur und der Zuschauer das
Spiel sehen können oder beide gleichzeitig unter Sicht ihr Spiel
gestalten. Ob ich in meiner eigenen Kindheit selbst solch Theaterspiel
oder auch nur ähnliche Bühnen gesehen habe, vermag ich nicht zu sagen,
doch meine Vorstellung war nun, irgendwie solch eine kleine Bühne zu
fertigen. Wenn man sich einige Hintergrund- und Seitenbilder selber
malt und als "Schauspieler" Abbildungen von Figuren aus
Bekleidungs-Katalogen oder aus Zeitschriften ausschneidet und
stabilisiert, diese dann auf Pappstreifen klebt, um sie - vor der Bühne
sitzend - von der Seite ins Spiel zu führen, müßte man eigentlich alles
mögliche spielen können: Märchen, Geschichten aus Kinderbücher usw.
Als Bühne sollte uns der schmucke
Holzkasten eines alten, ausgeschlachteten Röhren-Radios dienen. Der
vorn umlaufenden, ca. 3 cm breiten Blendstreifen, der früher die
Ansätze der Technik und die mit Stoff bespannten Lautsprecherplatte
abdeckte, sollte das eigentliche Bühnenportal sein, hinter dem es galt,
kleine Lämpchen und Kabel zur Batterie anzubringen. Eine unter die
Decke geschraubte T-Führung für Gardinen nahm den Vorhang auf, und
mehrere dahinter deckennah quer gespannte Schüre aus dünnem Paketband
hatten die Aufgabe, die Kulissen zu halten. Die seitwärtigen
Rahmenaussparungen für die vormals dort unter Plastikgittern
angebrachten Lautsprecher wiesen sich als ideale Einstiegsfenster für
die "Schauspieler".
Ein Wolf war bald gefunden und
ausgeschnitten, auch ein Mädchen mit Korb unter dem Arm und selbst ein
im Wald stehendes Haus fand sich irgendwann. Nun, das eine war ein
Hochglanzbild, der Wolf sehr klein und schwarz-weiß und das Mädchen
paßte zu keinem von beiden. Eine im Bett liegende Großmutter war nicht
zu finden, es fehlte der Jäger und die Seitenkulissen wurden nie
fertigt, so daß Rotkäppchen zeitlebens keine Gelegenheit fand, sich auf
dieser sonst wunderschönen Bühne zu präsentieren. Noch viele Jahre
stand diese Ex-Radio-Bühne unfertig im Keller, und bei jedem Anblick
ging mir ein von bunten Bildern begleitetes "Du wolltest doch mal..."
durch den Kopf.
Im ersten Drittel der 80er Jahre waren
meine Frau und ich auf "Zauberflöten-Tripp", d.h. wir nahmen jede
Zauberflöte mit, derer wir habhaft werden konnten: die Aufführungen im
Kieler Opernhaus, im Folge Jahr in Lübeck, auf der Freilichtbühne in
Eutin, diverse Schulvorführungen bis hin zu einer plattdeutschen
Aufführung in Husum - und "Die Zauberflöte auf dem Papiertheater" in
einem Gewölbekeller in Kiel.
Nicht wissend, was dort auf uns zukam, erlebten wir auf einer Bühne in
der Größe eines Fernsehgerätes und mit handhohen, von der Seite an
Stäben geführten Flachpapier-Figuren unsere erste
Papiertheater-Aufführung. Wir waren begeistert und schwelgten sehr
lange hiervon und wieder kam dieses "Du wolltest doch mal..."
1986 stand ich durch meine anstehende
Meisterprüfung sehr unter Druck. Zwischen der theoretischen und der
praktischen Prüfung lagen drei Wochen und ohne mein Wissen hatte mich
meine Frau - damit ich auf andere Gedanken komme - bei der örtlichen
Volkshochschule zu einem über drei Abende laufenden Kurs '"Wir bauen
ein Papiertheater" angemeldet. Dozent war jener Herr, dessen Aufführung
wir einige Jahre vorher gesehen hatten.
Im Kurs wurde nicht nur gebastelt, sondern sehr viel Theorie über die
Geschichte des Papiertheaters und über frühere und heutige
Bezugsquellen, Spielmöglichkeiten und -grenzen vermittelt. Der alte
Reiz war wieder da, jetzt aber nicht mehr als "Du wolltest doch
mal...", jetzt als "Du wirst!"
Kurzum, im Spätjahr 1986 entstand in
Heimarbeit unsere eigene Bühne und am 8.Dez.1986 gaben wir mit einer
Kurzfassung (35 Min) von "Hänsel und Gretel" nach Humperdinck und
flatternden Gefühlen im Bauch unser Bühnendebüt. Und da diese
Welturaufführung im Rahmen einer Weihnachtsfeier stattfand, an der auch
etliche mehr oder weniger stark Hörgeschädigte teilnahmen und diese
auch den Inhalt verstehen sollten, wurde das Libretto - je drei
Zeilenweise - mit Overhaed-Projektor oberhalb des Proszeniums sichtbar
gemacht. Wir gehen davon aus, daß dies die wohl weltweit erste
Papiertheater-Produktion mit Obertitel war.
Dem Bayerischen Fernsehen war dieses Novum immerhin einen
vierzehnminütigen Filmbericht in der Sendereihe "Sehen statt Hören"
wert.
Den aktiv mitspielenden Sohn führte
der Zivildienst nach Süddeutschland, so daß vorerst keine großen Stücke
mehr folgten. In dieser Zeit konnten wir aber dennoch mit "Dornröschen"
nach Grimm und dem Andersen-Märchen "Der Tölpelhans" etliche Kinder
erfreuen.
Mit selbst gezeichneten Figurinen und
in teils selbst gefertigten Kulissen wurde 1996 Mozarts "Zauberflöte"
ins Repertoire genommen und seit 1998 spielen wir unter Verwendung
einer historischen Tonaufzeichnung, die im Jahre 1928 als "Kurzoper für
die Heimbühne" heraus gebracht wurde, Webers "Freischütz“. Seit Herbst
2002 runden "Max & Moritz" in einer schmissigen Musicalversion, die
nicht nur Kinder begeistert, das Programm ab. Hierzu wurden alle
Figuren und Kulissen selbst gefertigt.
Bei diesen Spielen ist praktisch die
ganze Familie beteiligt: die Figuren werden durch Vater Klaus und Sohn
M. geführt, die Ehefrau und Mutter E. und die Gattin des Juniors, S.,
assistieren vor und hinter der Bühne, der dreijährige Enkel Bennet wird
demnächst die Einlasskontrolle und Platzanweisungen durchführen. Die
Musik und Textwiedergabe der Stücke erfolgen vom Tonträger.
Gespielt wurde bisher zumeist in
eigenen Räumen, jedoch gab es auch Gastspiele im Kieler Umland sowie in
Lübeck, im Knochenhaueramtshaus zu Hildesheim und im Schloß zu
Wolfenbüttel. Während der jährlich stattfindenden „Internationalen
Papiertheatertreffen" in Preetz, dem weltweit größten Festival seiner
Art, fanden die Musikstücke bereits in etlichen Aufführungen ihre
Anerkennung durch sachkundiges, internationales Publikum.
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Betrachtung zum Papiertheater
Ein Lob auf das Publikum
von Martin Haase
“Es mag eine große Ehre sein, ein
großes Publikum für sich zu haben. Aber gewiss ist die Ehre noch
größer, nur ein kleines auserlesenes Publikum für sich zu haben.”
Diesen wunderbaren Satz schrieb einst
Caspar David Friedrich, der bedeutendste Maler der deutschen
Frühromantik. Es scheint fast so, als habe er neben seiner Malerei vor
allem auch an das Papiertheater gedacht, das ja stets nur für ein
kleines Publikum spielt.
Und so hängt dieser eingangs zitierte
Satz auch in unserem „Papiertheater unter'm Dach“ an der Wand, und
mancher Zuschauer las ihn schmunzelnd und geehrt.
Was wäre denn ein Theater ohne
Zuschauer? Nichts! Es müssen ja nicht viele sein, und vielleicht reicht
sogar schon ein Zuschauer, damit sich der Zauber entfalten kann. Aber
Publikum braucht man, es spornt an und fordert heraus, denn es will gut
unterhalten werden. Da muss man sich Mühe geben, zeigen, was man kann
und sein Lampenfieber bezwingen, damit die Aufführung gelingt.
Aber was kommt nicht auch alles zurück
vom Publikum! Welche Begeisterung wird spürbar, welche Anteilnahme,
welches Lob! Natürlich gibt es auch Kritik, aber die ist manchmal sogar
noch wertvoller – hilft sie doch, die eigenen Schwächen zu erkennen und
künftig zu vermeiden. Jeder Spieler, jede Spielerin, könnte aus eigenem
Erleben so manche Episode erzählen.
Was haben wir nicht schon alles erlebt
mit unserem Publikum! Da gab es die ganz Stillen, die während der
Aufführung nicht einen Mucks machten, und meine Frau und ich
befürchteten schon, es sitze schon gar keiner mehr vor der Bühne – alle
seien fort, weil das Stück niemanden interessiere. Aber welch' ein
Irrtum! Nach der Vorstellung zeigte sich, dass noch alle da waren, und
alle waren begeistert und gerührt. Sie hatten gebannt zugeschaut und
wollten keinesfalls stören.
Aber dann gab es auch ein Publikum,
das nur so sprühte von witzigen Kommentaren, und meine Frau und ich
konnten uns hinter der Bühne kaum noch halten vor Lachen. Als bei
„Bonanza“ die Kutsche in der Wüste anhielt, um die (nicht sichtbaren)
Reisenden aussteigen zu lassen, vermuteten die Zuschauer selbst an
diesem unwirtlichen Ort eine rote Verkehrsampel! Und als beim „Zauber
des Rheins“ der Touristenbus auf die Bühne fuhr und dabei die
Nebelmaschine unbeabsichtigt weißen Rauch ausstieß, lästerten die
Zuschauer über den qualmenden Diesel und empfahlen eine baldige
Kontrolle in der KFZ-Werkstatt.
Erstaunlich, wie genau die Zuschauer
beobachten oder sich von ihrer Phantasie verleiten lassen, Dinge zu
sehen, die gar nicht da sind. So wurden wir schon mehrfach nach der
Aufführung gefragt, wie es denn funktioniere, dass die Figuren beim
Sprechen ihren Mund bewegen. Und wie es denn komme, dass der ganze
Zeppelin schwanke, wo wir doch nur einen Pappstreifen hin- und
herbewegen, auf dem ein paar Berge zu sehen sind.
Viele besondere Menschen sind bei uns
zu Gast im Papiertheater: Kinder, die vor lauter Ungeduld die
Umbaupause nicht aushalten und von außen den Vorhang hoch schieben, um
zu sehen, ob es nicht bald weitergeht; alte Menschen, die sich
plötzlich - mit Tränen in den Augen - in ihre Kindheit zurückversetzt
fühlen; geistig Behinderte, die offenbar einen ganz besonderen Zugang
zu diesem Medium haben und ihrer Begeisterung spontan Ausdruck
verleihen.
Das Papiertheater lässt kaum einen
Menschen unberührt, und wir sind immer wieder erstaunt, welche
Reaktionen es im Publikum hervorruft. Nach unseren Aufführungen steht
für eine kurze Zeit noch unser Stück im Mittelpunkt, aber dann erzählen
die Menschen von sich und sprechen sogar über sehr persönliche Dinge –
so, als habe das Papiertheater „das Eis gebrochen“ und Nähe
hergestellt. Und am Ende sind wir es, die beschenkt und bereichert sind
durch unser Publikum.
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Vorschau
Webzeitung 31: Ausblick
In der Februar-Ausgabe werden wir einen Beitrag von Christian Reuter
über einen Schulworkshop zum Papiertheater bringen.
Die Serie "Wie ich zum Papiertheater kam" wird fortgesetzt und es
werden sicherlich noch einige weitere Beiträge eingegangen sein.