Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
noch bis 9. März wird im Stadtmuseum Fellbach eine Ausstellung über
Papiertheater mit Exponaten unserer Vereinsmitgliedes Volker Schulin
gezeigt. Uwe Warrach berichtet darüber und wir hoffen, dass viele
Interessente die Ausstellung auch live besichtigen.
Über die Probleme der Wahl der richtigen Theaterfiguren berichtet
mit einem Augenzwinkern Uwe Warrach und Martin Haase teilt mit uns
seine Gedanken über die Frage, was ist noch Papiertheater und was ist
... eben auch noch Papiertheater
Viel Vergnügen bei der Lektüre!
(mf)
INHALT – Nr. 34 – Januar 2014
Alte Pracht in frischem Glanz - ein Besuch in Fellbach
von Uwe Warrach
Seite 2
CASTING! - CASTING?
von Uwe WarrachSeite 3
„Ist das noch Papiertheater?“
von Martin Haase
Seite 4
alle Ausgaben
Das PapierTheater Nr.34
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Januar 2014
Ausstellung
Alte Pracht in frischem Glanz – ein Besuch in Fellbach
von Uwe Warrach
Das Stadtmuseum Fellbach bei Stuttgart zeigt seit dem
28. November 2013 bis zum 9. März 2014 Papiertheater aus der Sammlung
Volker Schulin. Ergänzt wird die Ausstellung durch Workshops für
Schulklassen, Führungen, Vorträge und eine Aufführung von „Peters
Papiertheater“ aus Waiblingen mit „Der standhafte Zinnsoldat“ (am 11.
Januar, 17 Uhr). Öffnungszeiten: täglich 14-18 Uhr außer montags; der
Eintritt ist frei. Das Stadtmuseum erreicht man nach 150 m Fußweg vom
Stadtbahnhof „Fellbach Lutherkirche“(Linie U 1 / Stuttgart).
Aus
den Fenstern des renovierten Fachwerkhauses leuchten die kleinen Bühnen
in den Winternachmittag. Drinnen empfängt uns eine Fülle von
Papiertheatern, rund vierzig sind es, alle von Volker Schulin aufgebaut
und in Vitrinen eingerichtet. Des weiteren noch viele
Theaterbögen in Bilderrahmen sowie diverse Guckkästen,
Weihnachtskrippen, biblische Figurenbögen und Beispiele einschlägiger
Literatur. Ausschnitte aktueller Papiertheaterstücke von einer
DVD schlagen die Brücke von einst zu jetzt. In der Mitte des
zweiten Raumes wartet eine Bühne darauf, bespielt zu werden.
Es sind die historischen Bögen von
Scholz, Schreiber, Trentsensky und wie sie alle heißen- und sie sind es
auch wieder nicht, jedenfalls nicht alle. Nicht nur
Original-Antiquitäten nämlich, wie aus anderen Ausstellungen geläufig:
nach 100 Jahren leicht mitgenommen, angestoßen und verblichen- nein,
und das ist nun für mich das Sensationelle an diesem Ort: sie sind
frisch gedruckt und in „natürlichen Farben“. Was heißt das? Ihre
Wirkung erinnert mich an die ersten „farbechten“ Farbfilme der späten
fünfziger Jahre, das heißt, weder grell noch farbstichig noch blass.
So, denke ich, müssen die Papiertheater des 19. Jahrhunderts ausgesehen
haben, als sie frisch auf den Markt kamen. Ich sehe mich eher zu einem
Händler von damals versetzt als in ein Museum.
Zur Herstellungstechnik sagt Volker Schulin:
„Ein Drittel der Theater ist mit Originalbogen gebaut, ein weiteres
Drittel mit Kopien nach eigenen Originalen. Der Rest wurde gebaut mit
Kopien von Museen und mit Nachdrucken z.B. von Oldfux. Bei den Figuren
und Dekorationen sind ca. 3/4 mit Originalbogen erstellt. In der
flachen Tischvitrine bei den Inszenierungen ohne Proszenien sind nur
Originale. Der Rest in den Theatern wieder mit Kopien, davon das
Allermeiste nach eigenen Originalen. Die Kopien habe ich in einem
Kopiergeschäft als A3 Kopien erstellt und dann zusammengesetzt. Von
zwei alten Schreiber Proszenien konnte ich mir vom Landesmuseum die
Bogen ausleihen und habe in einer Kopierfirma Drucke in Originalgröße
machen lassen (nicht billig !).“
Der Aussteller bietet Kulissen- und
Figurenbögen zum Verkauf an und hatte gehofft, bei Großeltern, Eltern,
Kindern die Lust zum gemeinsamen Werkeln auszulösen. Indessen fragen
die Besucher fertige Bühnen zum Mitnehmen nach, und die gibt es nun
nicht.
Weitere Figurinen und Kulissen sind
frei aufgestellt, ohne den „Mantel“ des Bühnenhauses, richtige
Tischtheater also; sie könnten diejenigen zum Spielen anregen, die die
Bastelarbeit scheuen. Aber vielleicht kommt die Zielgruppe der
Heimwerker noch, denn die Eröffnung und unser Besuch fiel in die
Adventszeit, also einerseits in die Papiertheater-Saison, andererseits
in die turbulenten Vorweihnachtswochen.
In seiner bescheidenen Art hat Volker Schulin nicht viel Aufhebens um
seine Ausstellung gemacht, umso stärker wirken ihre Fülle, ihre
Qualität und ihre Farbenpracht auf den Besucher. Lob verdienen nicht
nur die Exponate selbst, sondern auch ihre Präsentation einschließlich
der informativen und augenfreundlichen Beschriftung.
Was bleibt noch zu sagen übrig? Eigentlich nur: „Hin nach Fellbach!“
Kleine führung für kleine leute
Zwei welten auf einen blick
ausstellungsmacher vor dem fellbacher museum
Das PapierTheater Nr.34
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Januar 2014
Papiertheaterspieler berichten
CASTING! – CASTING?
von Uwe Warrach
FIGURINEN IM WERDEN: DER ALTE MOOR, AMALIA (DIE RÄUBER-OPER)
Casting? Im Papiertheater?
Ja, was soll das denn? Die Figurinen
sind doch alle da, zu Hunderten oder mehr warten sie auf den
einschlägigen Bögen, man muss sie nur abrufen und eintüten.
Na, viel Erfolg! Das wäre so, als
würde ein heutiger Intendant Agathe, King Richard, Mephisto, Maria
Stuart und den Geizigen in Klamotten und Kulissen stellen, wie Weber,
Shakespeare, Goethe, Schiller, Molière es sich gedacht hatten, ganz eng
am Original. Möchte das jemand sehen ? Natürlich, auch, nicht alles ist
gut, nur weil es modern ist, und ich schöpfe selbst gern aus dem Fundus
des Germanischen Museums Nürnberg. Aber eben: auch. Doch die Hauptsache
ist ganz etwas anderes.
Am Anfang stehen nicht fertige Figuren
und Kulissen, am Anfang stehen Ideenfetzen, erste Bilder, die im Kopf
auftauchen, erst vage, dann angereichert von wirklichen Szenerien, die
einem über den Weg laufen und plötzlich gedanklich angehalten werden,
wo man sonst weiter getrottet wäre. Ganz allmählich schält sich die
Gestaltung aus Worten, Figuren, Erinnerungsbildern, manchmal auch Musik
heraus. Das wechselt ständig: im Kopf, in den ersten Skizzen, bei den
Proben. Was eben noch genial erschien, erscheint im nächsten Moment
schal, selten umgekehrt. Mut zum Wegwerfen braucht man.
Am meisten Mühe machen mir bei alledem
die Figurinen. Sie müssen passen, ich muss sie mögen. Und sie müssen
die ironische Distanz zum Stück wahren, die ich beim Papiertheater für
unerlässlich halte. Dramen und Opern eins zu eins auf die
Papiertheaterbühne zu bringen, riskiert die Gratwanderung zwischen
Erhabenem und Lächerlichem. Das zu bedenken, macht die Auswahl der
Figuren so schwierig, wenn sie „stimmen“ sollen.
Zum Beispiel der Räuberhauptmann in
meiner „Banditenoperette“: ein Schurke, der nicht viel Federlesens
macht, um einen Verräter umzulegen (nur ist leider mal wieder die
Munition alle), der aber
auch ein fürsorglicher Vater seiner Fiorella ist. Ein einfach gestrickter Typ, im Grunde ein Trottel, aber
blitzgescheit, wenn es um einen vorteilhaften Stellungswechsel geht.
Lange habe ich gesucht, bis ich den passenden hatte – aus einem alten
Figurenbogen, selbst ergänzend angetuscht. Fiorella wiederum stammt von
einem Lesezeichen, das ich seit Jahrzehnten hüte. Oder mein anderer
Räuberhauptmann (ja, ich habe es mit Räubern), Karl Moor: den fand ich
nach langem Suchen in einer echten Theaterinszenierung aus den 60er
Jahren, ebenso seinen Bruder Franz, für den Martin Benrath herhalten
musste: er hatte das Fiese, Verschlagene, das man erst auf den zweiten
Blick wahrnimmt. Aber die übrige Bande? Unvermutet stellte sie sich in
Sven-Erik Olsens Angebot in Preetz vor, natürlich aus ganz anderen
Stücken, wahrscheinlich dänischen, die ich gar nicht kenne. Als Wirt in
der Schänke wiederum musste Long John Silver aus der „Schatzinsel“
herhalten.
„Die Sache mit dem Stern“, mein „etwas
eigensinniges Krippenspiel“, war als Idee schon über 40 Jahre alt, als
mir die „richtigen“ Gestalten über den Weg liefen: Biblische Figuren
aus der Theatersammlung des Victoria-und-Albert-Museums in London.
Lukas wiederum, in meinem Stück ein etwas zwielichtiger Journalist, war
nicht darunter, ihn entnahm ich einem Bibelgeschichtenbuch aus dem 19.
Jahrhundert, ebenso die wertvollen Mitbringsel der drei Weisen.
Eine echte Herausforderung war mein
„Ring“: ironisch sollte er sein und doch voller Respekt vor Wagners
Musik. Woher all diese schiefen Helden nehmen? Sie sollten ihrer Rolle
entsprechen ohne unfreiwillig komisch zu wirken. Als Siegfried musste
dennoch eine Comic-Figur herhalten, aber das war eben ironische
Distanz; seine Kolleginnen und Kollegen sammelte ich aus einem
Graphik-Art-Programm.
Für den Sarastro in meiner "Zauberflöte" griff ich mir Miraculix aus den "Asterix"- Heften.
Ein ander Mal wirkten lauter
(fotografierte) Gestalten aus einem Duty-free-Katalog für Parfum und
Schmuck mit, auf die ich nie gekommen wäre ohne eine Flugreise. So hat
oft alles gar nichts miteinander zu tun, ehe es im Kopf reift, sich
verbindet, verwandelt oder den halbfertigen Werken dazwischen kommt.
Bekanntlich arbeitet das Gehirn oft unabhängig von unserem Wollen,
nicht nur bei der Aufrechterhaltung des ganzen Körperbetriebes, sondern
auch wenn wir an nichts Bestimmtes denken. Da kann man lange an einem
witzigen Reim, einem schönen Gag pfriemeln, und dann rufen sie einen
auch noch zum Abendbrot. Doch unverhofft: ein Anblick, eine Melodie,
ein Gedankenfetzen, eine Stimme, und eine ganze Welt setzt sich in
Gang. Auch wenn es nur die kleine Welt unserer Tischtheater ist.
Eingangs sprach ich von der Hauptsache
des Papiertheaterspielens. Hauptsache ist, Plot, Figurinen und Kulissen
entfalten sich in einem schöpferischen Prozess und wir gewinnen das
Publikum für das Ergebnis. Um dann doch mal mit dem alten Goethe zu
sprechen: „Das Publikum weiß meist gut zu urteilen, so lange die
Kritiker es nicht irremachen.“ Dass es seit 26 Jahren in wachsender
Zahl nach Preetz kommt oder anderswohin, lässt den Schluss zu, dass
Figurinen- Casting und all die anderen Mühen sich lohnen und die
Spieler/innen nicht ganz falsch liegen.
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Papiertheater
„Ist das noch Papiertheater?“
von Martin Haase
Die von Martin Haase aufgegriffene Frage nach der
Definition von Papiertheater geistert nicht nur alljährlich durch
Preetz, sie taucht auch auf Symposien auf und überall da, wo
Papiertheaterleute einander begegnen. Je nach Temperament behandelt man
sie mit Humor, Eigensinn oder (Selbst-)Ironie, manchmal aber auch
verbissen und kampfeslustig. Martin Haase plädiert hier für Offenheit
und Toleranz in dem Sinne, unsere Leidenschaft zwar mit ernsthafter
Freude zu betreiben, aber uns selbst nicht zu wichtig zu nehmen.
Immer wieder gibt es Diskussionen
darüber, welche Theaterform sich berechtigterweise „Papiertheater“
nennen dürfe und welche eben nicht. Dabei geht es nicht nur um Inhalte,
Materialien und Gestaltungsformen, sondern manchmal eben auch um sehr
persönliche Empfindungen und Überzeugungen. Dabei ist es vor allem das
Preetzer Papiertheatertreffen, das immer wieder neuen Diskussionsstoff
liefert und die Gemüter erhitzt, und alljährlich fragen sich manche:
„Ist das noch Papiertheater?“
Die gegenwärtige Diskussion hat sich –
soweit ich es beurteilen kann – an dem Stück „Blaue Pfirsiche“ von
Facto Teatro und Barbara Steinitz entzündet. Für ähnlichen
Gesprächsstoff sorgte 2012 die Compagnie Volpinex mit ihrem „L' étrange
Cas“ - und sicher gibt es viele weitere Beispiele.
Ich möchte gern aus meiner Perspektive als „Papiertheater-Macher“ ein paar Dinge dazu sagen.
Das traditionelle Papiertheater, so
wie es uns aus dem 19. Jahrhundert überliefert ist, ist eine wunderbare
und großartige Sache. Ich genieße es, die alten Bögen zu betrachten und
kann mich in diese Welt regelrecht versenken und träumen. Es schenkt
vielerlei Anregung, Erholung und ist Balsam für die Seele.
Ich selbst mache Papiertheaterstücke,
weil ich mich in diesem Medium "austoben" kann. Ich kann meiner
Kreativität freien Lauf lassen und Dinge realisieren, wie ich es sonst
nirgends könnte. Jedes neue Papiertheaterprojekt beginne ich damit,
mich von den alten Bögen inspirieren zu lassen. Sobald sich aber eine
neue Idee heraus kristallisiert, stelle ich fest, dass das alte
Material dafür nicht ausreichend ist. Denn die Motive entstammen der
Bild- und Vorstellungswelt des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die
Papiertheaterverlage haben irgendwann einmal ihre Produktion
eingestellt.
Was aber soll ich tun, wenn ich ein
Thema wähle, das in der jüngsten Gegenwart spielt? Dann brauche ich
anderes und neues Material, was mir auch der reichhaltige Fundus der
alten Bögen nicht liefern kann. Dann muss ich selbst zu Pinsel und
Stift greifen, dann muss ich Illustrierte und Bücher ausschlachten,
Fotos verwenden und vieles mehr. Wo es geht, verwende ich natürlich die
alten Vorlagen (ganz einfach, weil ich nicht so ein großartiger
Zeichner bin wie die alten Künstler).
Es geht doch darum, das Papiertheater
lebendig zu erhalten und eine Bildsprache zu benutzen, die auch
heutigen Menschen verständlich ist. Es geht darum, Themen zu finden,
die auch jüngere Menschen ansprechen. Schon Walter Röhler – sicherlich
ein Experte auf dem Gebiet des klassischen Papiertheaters - schrieb
1963 in seinem Buch „Grosse Liebe zu kleinen Theatern“: „Um aber dem
Kleintheater seine einstige Verbreitung und Beliebtheit
wiederzugewinnen, bedarf es einer sich weiterentwickelnden, zeitgemäßen
Aktualität, sowohl in der Bühnentechnik wie in Repertoire und
Ausstattung“ (S. 62).
Wie das geschehen kann - dafür gibt es
keine fertigen Rezepte. Das muss man ausprobieren. Man muss sehen,
welche Wege zum Ziel führen und welche vielleicht nicht. Dazu ist aber
Freiheit notwendig. Und ich sage: eine Freiheit, wie sie Preetz gibt.
Nicht alles, was dort gezeigt wird,
gefällt mir. Aber jede Aufführung bietet zumindest die Gelegenheit, den
eigenen Standort zu bestimmen. Und – was für mich besonders wichtig
ist: die experimentellen Bühnen bieten vieles, was auch der klassischen
Bühne zugute kommen kann. Ich denke dabei z.B. an die Bühnenpräsenz der
Figuren, die auf der experimentellen Bühne wesentlich größer ist. Oder
an den Einsatz von Licht und Farbe, von dem die klassische Bühne noch
einiges lernen kann. Und auch in der Frage, wie der Zuschauer besser
mit in die Vorstellung einbezogen werden kann und wie er überhaupt eine
bessere Sicht auf das Geschehen hat, sind die experimentellen Bühnen
sicherlich einen Schritt voraus.
Ich bin froh, dass es diese
Unterschiede gibt. Ich fände es langweilig, wenn nun jeder auf der
Leiter spielen würde, aber auch, wenn jeder nur noch den „Freischütz“
spielen würde. Ich will beides! Ich will das ganze Spektrum sehen, denn
alles zusammen gehört zu dieser wunderbaren Papiertheaterwelt.
Natürlich hat jeder seine eigenen
Vorlieben – das ist völlig legitim und steht außer Frage. Daraus aber
einen Absolutheitsanspruch ableiten zu wollen, halte ich für falsch.
Die Frage „Ist das noch Papiertheater?“ kann ich persönlich getrost mit
„ja“ beantworten.