Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
nicht nur, dass Laetitia alias Tita Diehl unsere bisher jüngste
Autorin ist, nein Sie hat auch ein weiteres Novum geschaffen: Sie
interviewt sich selbst.
Ebenfalls den Papiertheaternachwuchs hat Christian Reuter einen
weiteren Workshopbericht aus dem Franz Sales Haus in Essen gewidmet.
Vom Nachwuchs schweifen dann unsere Gedanken fast 40 Jahre zurück um
Mitte der Siebzigerjahre anzukommen. In dieser Zeit entdeckte Norbert
Neumann sein erstes kleines Theater. Was danach kam, berichtet er im
Rahmen unserer Reihe: "Wie ich zum Papiertheater kam ... " Teil 7.
Viel Vergnügen bei der Lektüre!
(mf)
INHALT – Nr. 31 – März 2013
Das Eidophusikon auf dem Geburtstagsgabentisch
von Laetitia Diehl
Seite 2
Noch einmal: Papiertheater im Franz Sales Haus
in Essen
von Christian ReuterSeite 3
Magie und Meilensteine
von Norbert Neumann
Seite 4
Vorschau Seite 5
alle Ausgaben
Das PapierTheater Nr.31
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März 2013
Interview
Das
Eidophusikon auf dem Geburtstagsgabentisch
von Laetitia Diehl (9)
Das Wolkentheater
Das Altonaer Museum in Hamburg pflegt in besonderer Weise das
Papiertheater. So ist es auch die Heimstatt des dort von Robert Poulter
erbauten Eidophusikons. Was das ist, wissen inzwischen die meisten
Papiertheaterleute, und wer es noch nicht weiß, kann es gleich erfahren.
Dass es überdies eine ansteckende Wirkung haben kann, ist der 9jährigen
Laetitia widerfahren, die mit ihren Eltern von weiter her angereist
war. Sie baute es nach, etwas kleiner, sonst hätte es wohl nicht so gut
auf den Geburtstagsgabentisch ihres Vaters gepasst. Und der war mächtig
überrascht. Wie das Ganze im einzelnen vor sich ging, erfahren wir von
Tita, ebenfalls 9jährig, die Laetitia interviewt hat...
Tita interviewt ...
Hallo, hier spricht Tita, auch genannt die
gerissene Reporterin. Ich stehe hier vor Laetitias Anwesen und werde
gleich von ihr, der Erbauerin des höchst interessanten Eidophusikons,
empfangen. Und da ist sie auch schon.
... Laetitia
Guten Tag, Laetitia.
Vielen Dank, dass Sie uns dieses Interview ermöglichen.
Laetitia: Es ist mir ein Vergnügen. Sollen wir
gleich in den Garten gehen? Ich habe mir gedacht, auf der Bank am Teich
ist ein schöner Platz für das Interview.
Ja, Sie haben recht,
hier ist es sehr gemütlich. Ich fange jetzt mal an, meine Fragen zu
stellen. Können Sie ein bisschen über Ihr Privatleben erzählen?
Laetitia: Ich bin 9 Jahre alt, habe zwei
Geschwister und gehe in die 4. Klasse. Meine Hobbies sind Tanzen,
Basteln und Lesen.
Danke. Viele Leute
möchten jetzt bestimmt gerne wissen, was ein Eidophusikon ist!
Laetitia: Vor über 200 Jahren, als es noch kein
Fernsehen gab, dachte sich ein englischer Maler, dass man etwas tun
müsse, um die Leute zu unterhalten. So baute er einen Kasten, der vorne
offen war und hinten eine dünne Leinwand mit verschiedenen Wetterszenen
enthielt, die man weiterkurbeln konnte und die von hinten beleuchtet
war. Vorne konnte man verschiedene Theaterstücke abspielen – also war
es der Vorgänger des Kinos. Der Maler nannte seine Erfindung
Eidophusikon (übersetzt Wolkentheater).
Jetzt wissen wir das
schon mal. Aber wie kamen Sie auf die kuriose Idee, selber ein
Wolkentheater zu bauen?
Laetitia: Zum 50. Geburtstag des Vaters muss ja
schon etwas Besonderes her. Kurz zuvor waren wir im Museum von
Hamburg-Altona und konnten uns dort die Vorstellung eines professionell
nachgebauten Eidophusikons anschauen. Daher wusste ich, dass meinem
Vater das Wolkentheater gut gefällt. Da habe ich beschlossen, ihm eines
zum Geburtstag zu bauen. Ich hatte schon etwas Erfahrung mit so etwas,
weil ich zwei Halbjahre lang die Arbeitsgemeinschaft „Puppenbau und
Puppenspiel“ an meiner Schule besucht hatte. Die Leiterin, Frau
Khodorenko vom „Theater der Nacht“ in Northeim hatte uns Techniken,
Ideen und Spaß an der Sache vermittelt.
Wie lange dauerte der
Bau?
Laetitia: Ich habe drei Wochen gebraucht, aber ich
habe auch nicht 24 Stunden am Tag dran gearbeitet.
Aha. Hatten Sie denn
bei der Arbeit manchmal Zweifel, ob das wirklich so eine gute Idee war?
Oder bekamen Sie Hilfe?
Laetitia: O ja - beides. Schließlich brauchte das
Projekt viel Zeit, die man manchmal mit etwas anderem füllen wollte.
Aber am Ende hatte ich das Ergebnis in den Händen und habe es nicht
bereut! Hilfe hatte ich bei Not-Reparaturen und ein paar technischen
Problemen von meiner Mutter, meiner großen Schwester, meiner besten
Freundin und deren Mutter.
Und wie reagierte Ihr
Vater, als er das Wolkentheater zum ersten Mal sah?
Laetitia: Er war ziemlich erstaunt, dass ich so
etwas Kompliziertes auf die Beine gestellt hatte. Doch er freute sich
sehr. Zum Glück hat er auch gleich erkannt, das es ein Eidophusikon
war. Ich hatte schon Angst, dass ich es ihm erst erklären müsste!
Wie sieht das
Wolkentheater genau aus und aus welchen Materialien besteht es?
Laetitia: Es besteht aus einem großen Pappkarton,
der vorne und hinten offen ist. Die Wolkenbilder-Rolle aus dünnem Stoff
ist an zwei abgesägten Besenstiel-Stücken befestigt, die senkrecht auf
einem Brett stehen und drehbar sind. Auf den Bildern sieht man
Abschnitte von leichter Morgenröte bis zur finsteren Nacht mit
Vollmond. Durch zwei waagrechte bewegliche Stöcke, zwischen denen
blaues Krepp-Papier befestigt ist, wird im Vordergrund die Themse
dargestellt. Ich spielte nämlich ein Theaterstück, in dem meine Familie
am Geburtstag meines Vaters nach London fährt (was leider in der
Realität nicht geschehen ist!) und Gespenstern begegnet, vor denen mein
Vater uns beschützt. Die Pappfiguren, die zum Beispiel die Mitglieder
meiner Familie darstellen, sind an Stöcken befestigt.
Höchst interessant.
Möchten Sie sich weiter mit dem Gebiet des Puppenbaus beschäftigen?
Laetitia: Gute Frage. Eigentlich schon. Es gibt so
viele schöne und verrückte Möglichkeiten!
Können Sie das Projekt
weiterempfehlen?
Laetitia: Man sollte es nicht einfach mal
zwischendurch anfangen und womöglich nie beenden, sondern dafür Zeit
und Geduld mitbringen. Aber dann macht es echte Freude. Auch zu zweit
wäre es möglich.
Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das PapierTheater Nr.31
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März 2013
Papiertheaterworkshop
Noch einmal: Papiertheater im Franz Sales Haus in Essen
von Christian Reuter
Ensemble 1
Ensemble 2
Im vorigen Jahr hat Herr Hans-Günter Papirnik im
Essener Franz-Sales-Haus mit seinen damaligen Schülern, die besondere
Aufmerksamkeit brauchen, als ersten Versuch Hänsel und Gretel in einem
Papiertheater aufgeführt. Er berichtete darüber in unserer Webzeitung
Nr. 25, Januar 2012/gedruckte Ausgabe Nr. 11/April 2012.
Diesmal
konnte ich die neue Aufführung, den Freischütz, sehen und war sehr
angetan, wie gut die Vorstellung war. Der Lehrer traute sich mit seinen
diesjährigen Schülern der Berufspraxisstufe an den Freischütz, den er
sehr geschickt und sehr verständlich auf 32 Minuten inklusive wichtiger
Musikstellen gekürzt hatte. Das vergrößerten Opera-Proszenium von
Pellerin und die Dekorationen und Figuren von Scholz und Schreiber
hatte er bei Peter Schauerte erworben. Die Bühne war aufwändig und
stabil mit den Schülern erbaut und mit guter Technik ausgerüstet.
Die Tonaufnahme hatten Lehrer der
Schule gesprochen, denn Sprache ist nicht jedem der Schüler gut
gegeben. Doch die Führung der Figuren übernahmen die Schüler; auch die
technische Steuerung des Tons, des Lichts, der Motoren, welche die
Krähen und Wildschweine der Wolfsschluchtszene bewegten und der
wichtigen Nebelmaschine wurde von einem Schüler bedient.
Im Forsthaus
Zwei Gruppen waren in diese sie mit
Stolz erfüllenden Aufgaben eingeübt. So saß bei den Proben die jeweils
nicht spielende Gruppe vor der Bühne und konnte für die eigenen
Aufführungen Erfahrung sammeln und auch korrigierende Bemerkungen
machen. Die beiden Gruppen spielten abwechselnd die sechs Aufführungen
am ersten Adventswochenende in einem Theaterraum im Rahmen des
Weihnachtsmarktes auf dem Gelände des Franz-Sales-Hauses mit großem
Erfolg. Ein Erfolg besonders auch für diese Schüler. Sie bekamen einen
Einblick in Themen und Tätigkeiten, die sie nicht vergessen werden.
Wolfsschlucht
Besonders schaurig-schön war natürlich die
Wolfsschluchtszene: mit Flackerlicht im brennendem Holzhaufen, mit
Nebel und schwirrenden Krähen und natürlich dem jagenden Wildschwein.
Die Schreibersche Dorfdekoration war im letzten Akt mit einer links
oben eingesetzten Burg ergänzt, denn im Originaltext spricht der Fürst
von seiner Herkunft, eine gute Idee. Allerdings weiß ich nicht, ob sie
schon im ersten Akt im Dorfhintergrund zu sehen war, denn ich war
gefesselt vom Gespräch der Figuren.
Herr Papirnik plant für das nächste
Jahr eine weitere Inszenierung mit neuen Schülern Lobenswert für ihn,
eine wichtige Erfahrung für seine Schüler und ein wunderschönes
Erlebnis für die Zuschauer aus dem Franz-Sales-Haus und natürlich auch
von außerhalb.
Die Bilder zeigen Freischütz-Szenen
und die Spielergruppe aus der Hänsel-und-Gretel-Aufführung, und aus
diesem Jahr.
Das PapierTheater Nr.31
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März 2013
Serie „Wie ich zum Papiertheater kam“ - Folge 7
Magie und Meilensteine
von Norbert Neumann
Papiertheater im Bücherregal
Mein Weg zum Papiertheater? – Der
begann Mitte der 1970er Jahre auf der Poststraße in der Hamburger
Innenstadt. Auf der Suche nach einem originellen Geschenk für eine
liebe Freundin und Nachbarin entdeckte ich im Schaufenster der
Buchhandlung Kerkhoff (ja, sowas gabs dort damals noch) ein kleines
Theater: zusammengesteckt aus bunt bedruckten und ausgestanzten
Kartonteilen. Der Begriff Papiertheater war mir damals noch nicht
geläufig. Aber es war genau das, was ich suchte: witzig, altmodisch und
eben originell.
Und es wurde ein voller Erfolg mit
damals noch ungeahnten Folgen. Die so beschenkte Freundin – niemand
anderes als Hildegard Metzsch*) – klatschte beim Anblick des
Theaterchens jubelnd in die Hände. Von da an war es ein unverzichtbarer
mit einer kleinen Tischlampe beleuchteter Bestandteil ihres
Wohnzimmers. Um Vorhang und Geheimnis zu lüften: Es handelte sich um
POLLOCK’S REDINGTON TOY THEATRE aus London. 1854 von John Redington
herausgebracht und von den Nachfolgern des Druckers Benjamin Pollock
1972 nachgedruckt.
Doch es blieb nicht lange bei der rein
dekorativen Funktion. Die Magie des kleinen Theaters trieb unseren
Mehr-darüber -wissen-wollen-Drang an. Bald gehörte das Wort
Papiertheater zu unserem täglichen Vokabular, und Namen wie Scholz oder
Schreiber, Röhler oder Speaight wurden zu „alten Bekannten“. Treibende
Kraft war meistens „die Kleine“, wie Hildegard (zur Unterscheidung von
ihrer älteren Schwester) genannt wird. So auch, als ich wenig später
nach London fuhr. „Dann guckst du aber auch mal bei Pollocks rein“,
lautete mein Auftrag.
Pollock’s Toy Museum, 1 Scala Street, wurde zu einem Meilenstein auf
meinem Weg zum Papiertheater. Nicht nur überwältigte mich der Eindruck:
in den zwei verbundenen schmalen alten Häusern ständen hunderte von
alten Papiertheatern; in einem kleinen Theaterraum unterm Dach erlebte
ich auch die erste Papiertheater-Aufführung meines Lebens.
Die hohe Stimme einer Prinzessin und der drohende Bass eines wilden
Seeräubers lockten mich die knarrenden Stufen zum Theater empor.
Barry Clark, damals noch ein Jüngling und der gute Geist des Hauses,
spielte eine der englischen Toy-Theatre-Moritaten und – nahm mich
gefangen, wie der Seeräuber die Prinzessin auf der kleinen Bühne.
Tja,
und als ich nach, ich weiß nicht wie viel, Stunden wieder auf die Scala
Street hin-aus trat, hatte ich Mühe, mich wieder im 20. Jahrhundert
zurechzufinden. Ich fühlte mich so, als wenn ich die ganze Nacht mit
Robert Louis Stevenson und Charles Dickens im Pub gesessen und Gin und
Beer getrunken hätte...
Zu Hause erwartete mich dann schon
bald das nächste Stichwort: Scholz. Die Kleine war auf das Angebot
eines Antiquars gestoßen, der ein Konvolut von Scholz-Bogen anbot. Wir
waren beide gelegentliche Grafiksammler; kannten also das Problem:
Wohin mit den sperrigen Bogen, wenn die Wände voll sind? Ach nee, und
auch noch so künstlerich nicht immer sehr anspruchvolle Bogen mit
Figuren und Kulissen?
Aber anschauen sollte man sich den
Stapel mal. Das saß der Angelhaken, und als dann der Antiquar noch mit
Preisnachlass und/oder Ratenzahlung lockte, war unser Widerstand
gebrochen und wir damit zu Sammlern geworden.
Was nun folgte, war nicht mehr mein Weg zum, sondern mit dem Papiertheater:
Die m+n Reprise hätte es niemals gegeben, wenn es damals schon
Farbkopierer gegeben hätte. Gabs aber nicht, und zerschneiden kann man
solche alten Bogen doch auch nicht. Also, wenn man so’n Theater
bauen wollte, blieb nur, die Bogen nachdrucken zu lassen. Und das macht
für einen Bogen keinen Sinn. Also Auflage, und die muss vertrieben
werden. Das war aus verlegerischer Sicht zwar ein schlechtes Geschäft,
aber ein wunderbarer Weg, um im In- und Ausland Gleichgesinnte
(oder Gleichverrückte?) zu finden.
So folgte 1977 unsere erste kleine
Papiertheater-Ausstellung in Peter Schauerte-Lükes Lübecker
Buchhandlung (bei der ich ihn in Gestalt des Fliegenden Holländers
erstmals als Opern-Arien-Schmetterer erlebte).
1983 brachte dann – „Knallrot, blitzblau und donnergrün...
Papiertheater gibt’s zu sehn!“ – unsere erste große Ausstellung in Kiel
für Norddeutschland den Durchbruch zur Renaissance des Papiertheaters.
UND DANN KAM PREETZ! Ach, wie haben wir das heute größte Internationale
Papiertheatertreffen der Welt in seinen Anfängen unterschätzt! Danke,
Dirk Reimers, dass du deinen norddeutschen Dickschädel durchgesetzt
hast. Ohne das Preetzer Treffen wäre die Papiertheater-Renaissance wohl
doch ein kurzes Feuerwerk geblieben...
Seit vielen Jahren hat mich mein Weg
zum Papiertheater immer mal wieder nach England, nach Dänemark, nach
Holland oder Frankreich geführt. Aber an Preetz führt mich kein Weg
vorbei– bis für mich der letzte Vorhang fällt.
PS: Was gehört zu einem Weg? –
Gefährten. Ich hatte und habe bis heute viele Weggefährten. Weibliche,
männliche, Homos und habe sie nicht vergessen. Was wäre mein Weg ohne
sie gewesen?! Mögen sie mir verzeihen, dass ich sie nicht alle genannt
habe. Ich habe es mit Rücksicht auf die Leser unterlassen. Für die ist
„namedropping“ langweilig... Und für den, der dann doch noch vergessen
wird, kränkend.
*) (das m der Firma m+n-Reprise, mit der wir seit 1976 Nachdrucke von Scholz-Bogen vertrieben haben)
Das PapierTheater Nr.31
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März 2013
Vorschau
Webzeitung 32: Ausblick
In der Mai-Ausgabe werden wir unsere Serie "Wie ich zum Papiertheater kam" fortgesetzen und es
werden sicherlich noch einige weitere Beiträge eingegangen sein.