Ein Vorspann von Uwe Warrach und Sabine Herder
Sonnige Tage, lauschige Abende - fast zu schön, um sich in abgedunkelte
Räume zu verziehen, doch den Papiertheaterleuten ist keine Dachkammer
zu mollig und kein Platz zu Sicht behindernd. O wie schön ist Preetz!
Und wie immer überraschend! Marlis Sennewald berichtet noch von weniger
Stress bei den Vorbereitungen als gewöhnlich: keine plötzlichen Absagen
oder ähnliche Katastrophen, und nur der Pessimist könnte es wagen vom
Tage zu faseln, den man nicht vorm Abend loben solle. Obschon,
Theatermacher wissen um die Heimtücke gelungener Generalproben. Und so
bricht das Unheil denn auch am Sonnabend in nie gekannter Gestalt über
das Papiertheatertreffen herein, jedenfalls über die Bühnen auf der
Straßenseite mit den Hauptspielorten: Stromausfall! Eine Gruppe traf es
im Finale, andere bangten um ihre Darbietungen, Freunde von
Verschwörungstheorien entwickelten erste Hypothesen über bestimmte
Hackerangriffe. Doch die wurden bald ins Reich der Fabel verwiesen;
Organisatoren, Stadtwerke und andere Hilfskräfte retten die
Aufführungen, bringen ein Notstromaggregat und buddeln und flicken bis
in die Nacht. HIER EINFACH MAL EIN
NACHTRÄGLICHER GROSSER DANK AN ALLE GUTEN UND DIESE BESONDERS GUTEN
GEISTER IM HINTERGRUND!
Marlis Sennewalds und Dirk Reimers’ Spielplanpolitik bewährte sich
einmal mehr. Das Festival ist im 26. Jahr seines Bestehens erwachsen
geworden; der schon länger zu beobachtende Trend zur
Professionalisierung setzte sich auch in diesem Jahr fort. Den
Traditionalisten unter den Besuchern – darunter auch ein großer Teil
des Preetzer und des touristischen Gelegenheitspublikums – wurde
Guckkastentheater nach historischen Vorlagen geboten. Doch auch
diejenigen, die einen offeneren Papiertheaterbegriff befürworten, kamen
auf ihre Kosten und konnten ein buntes Panorama dessen betrachten, was
im modernen Papiertheater heute möglich ist.
Man nimmt in diesem Jahr die folgende Erkenntnis mit nach Hause:
Einfache Geschichten mit klarer Dramaturgie, überschaubarem Personal
und schlicht ausgestatteten Bühnen, die aber mit überraschenden
Effekten aufwarten, sind die eigentliche Domäne des Papiertheaters und
für die kleine Form des Theaters wesentlich geeigneter als der
figurenreiche Klassiker vor üppigen Dekorationen. Dabei spielt es keine
Rolle, ob eine traditionelle Form oder das offene Spiel gewählt wurden.
Die einzelnen Aufführungen nach der
Programmfolge
Blaue Pfirsiche, Facto Teatro, Barbara
Steinitz – Barbara Steinitz, Alejandro Benitez, Mauricio Martinez,
Deutschland/Mexiko,
Die erste gemeinsame Arbeit des FACTO TEATRO (Alejandro Ben�tez
und Mauricio Martinez) aus Mexiko City und der Berliner
Illustratorin Barbara Steinitz beim diesjährigen
Papiertheatertreffen in Preetz hat Früchte getragen: Blaue Pfirsiche!
Diese sind für Erwachsene nicht existent, und die Frage des 8jährigen
Pedro diesbezüglich wird beim Spiel stets ausweichend beantwortet. Der
Garten der Großmutter ist der Garten seiner Kindheit,- mit einem Baum,
der seiner Meinung nach blaue Pfirsiche trägt,- faszinierend für den
kleinen Pedro, weil es die wohl nur dort gibt.- Es stellt sich die
Frage, warum Erwachsene einem Kind eine plausible Antwort
schuldig bleiben… Dies führt nun allerdings zu bezaubernden
Spielszenen, die Barbara Steinitz und Alejandro Ben�tez mit Witz und
Charme auf die Leiter bringen. Diese erweist sich als interessante
Spielstätte, die Pedro schließlich mit kindlicher Neugierde
besteigt, um zum „Baum der Erkenntnis“ zu gelangen und zu dessen
unreifen Früchten. Mit vollem Körper- und Stimmeinsatz agieren Steinitz
und Ben�tez bei temperamentvollen Marktschreier-Szenen und
deutsch-spanischem Wortwechsel. Sehr anrührend ist das Schattenspiel
mit alterndem Löwen und seinem Dompteur, stimmungsvoll das Spiel von B.
Steinitz auf der Geige und der singenden Säge. Die von ihr entworfenen
Papierfiguren sind wunderbar. Die Leiter kann hier auch als Sinnbild
für Lebensstufen angesehen werden. Der schließlich erwachsene Pedro
wird am Ende von seinem Sohn auch nach den blauen Pfirsichen gefragt.
Was er ihm wohl antwortet? Vor Kindern gespielt ist diese Aufführung
sicherlich auch für die Darbietenden nochmals ein ganz anderes
Erlebnis. Die Frage nach den rätselhaften Früchten wird dabei dem
kleinen Pedro wahrscheinlich aus dem Publikum beantwortet
werden.
Brigitte und Lothar Rohde
Den Guckkasten-Rahmen sprengten Alejandro Benitez, Mauricio Martinez
und Barbara Steinitz, die sich in diesem Jahr erstmals zu einem Projekt
zusammengefunden haben. Das Stück: eine Fabel über die kindliche
Imaginationskraft aus der Feder von Mauricio Martinez, illustriert von
Barbara Steinitz. Die Bühne hier: Eine Sprossenleiter im offenen Raum,
in dem die menschlichen Darsteller mit ihren Figuren interagierten.
[Der kleine Pedro versucht herauszufinden, warum der Baum im Garten
seiner Großmutter blaue Pfirsiche trägt und bekommt von allen
Erwachsenen ablehnende oder ausweichende Antworten. Auch seine „Abuela“
kann ihn nicht zufrieden stellen, nimmt seine Fragen aber zum Anlass,
ihm wunderbare Geschichten von Rittern, Riesenschlangen und alten
Zirkuslöwen zu erzählen. Barbara Steinitz beschäftigt sich seit einiger
Zeit mit dem Medium Schattentheater, das sie bereits für einige
Buchillustrationen eingesetzt hat. Und so gelangt der nahe
Verwandte des Papiertheaters hier mal wieder auf die Bühne, um die
Erzählung in der Erzählung zu illustrieren. Immer wieder verwandelt
sich der Schauplatz. Mal liegt die Leiter quer, um Pedro und seine
Abuela in der U-Bahn zu zeigen, dann entsteht eine offene
Obstbaumwiese. Ein zwischen den Sprossen liegender geschlossener Raum
wird gesprengt, als sich Pedro im Naturkunde- unterricht zum Thema
„Mond“ in eine Rakete ins All träumt. Geradezu filmisch wirken Elemente
wie Pedros stark vergrößerter Kopf, dem Flausen in Gestalt blauer
Alltagsgegenstände entspringen. Die Zeit vergeht und es kommt, wie es
kommen muss. Pedro, inzwischen erwachsen und selbst Vater, kann sich
nicht mehr erinnern, dass er einst die blauen Pfirsiche sah. Sein
kleiner Sohn steht nun vor dem Baum und … die Früchte sind LILA!]
Professionelles, mit großer Spielfreude vorgetragenes bilinguales
Schauspieler- Papiertheater at it’s best mit großartigen Zeichnungen
von Barbara Steinitz. Hoffentlich wird daraus noch ein Buch!
Sabine Herder
Varney, the Vampire, Robert Poulter’s
New Model Theatre – Robert Poulter, Großbritannien
Robert Poulter hat seinen ganz eigenen Stil, Stücke in seinem New Model
Theatre auf die Bühne zu bringen.
Und auch diesmal gelingt ihm brillant die Umsetzung einer
Groschenromanvorlage von 1847 zu einem spannenden Theaterstück, das
Vergleiche mit den „Biss zum…“-Vampire- Kinofilmen nicht zu scheuen
braucht.
Die vom Tonträger kommende Sprache ist ebenso kräftig wie der
Pinselstrich, mit dem Robert seine Figuren malt.
Als Unschuldiger von Räubern erschossen, lässt der Mond den
Protagonisten als Vampir wiederauferstehen.
Es folgt eine Jagd auf den Vampir bis zu seinem Ende, als er von seinen
beiden Gegenspielern erschossen wird.
Obwohl – so viel sei verraten – es nicht das wirkliche Ende des Stücks
ist, denn der Mond lässt ihn wieder… - siehe oben!
Robert Poulter gelingt es, den Zuschauer von Anfang an in der teils
rasant inszenierten und von fließendem Kulissenwechsel begleiteten
Geschichte mitzunehmen.
Robert arbeitet dabei mit unterschiedlichen Perspektiven und
Figurengrößen, die dem Raum Tiefe und dem Spiel Lebendigkeit verleihen.
Auch Spezialeffekte kommen in diesem Stück nicht zu kurz, wie etwa eine
Verfolgungsjagd innerhalb des Hotels, wo die Figuren von einem Zimmer
ins andere huschen und dabei permanent mit den Türen schlagen…
Um hier das Spiel flüssig halten zu können, bedient sich Robert eines
einfachen aber wirkungsvollen Tricks: in der erste Reihe bleibt ein
Stuhl leer, auf dem Robert einen Spiegel platziert hat. Über sein
Theater hinwegsehend, kann er nun das Spiel der Figuren synchron halten.
An das spiegelverkehrte Bewegen der Figuren muss man sich sicherlich
erst gewöhnen und um Authentizität und Schwierigkeitsgrad noch zu
steigern, ist der Spiegel in mehreren Bruchstücken aufgeklebt.
Programmhefte in deutscher und englischer Sprache verhelfen dem
Zuschauer zum Einstieg in die Phantasiewelt Roberts und des Stücks, an
dessen Ende es wieder nur einen Gewinner gibt:
Den Zuschauer, der mit der Erinnerung an eine beindruckende
Theaterperformance von den Neonlampen-Deckenleuchten wieder in die
reale Welt zurückgeholt wird.
Doch bevor das in Gänze geschieht, darf ein Blick hinter die Kulissen
von Robert’s schwarzem Theater geworfen werden, neben dem sich ein
ansehnlicher Haufen Kulissen und Figuren türmt.
Ein wohlorganisiertes Chaos, in dem Robert souverän den Überblick
behält, während auf der Bühne sich die Mosaikstücke zu einem
großartigen Ganzen verbinden.
Olaf Christensen
Sleeping Beauty – Dornröschen, Joe
Gladwin’s Paperplays – Joe Gladwin, Großbritannien
Zu Beginn der Vorstellung verwandelte sich Joe Gladwin mit Hilfe eines
orientalisch anmutenden Zaubermantels und eines Fezes in Dr. Joseph
Gladwin, welcher nach Preetz gereist war, um vor dem erwartungsvollen
Publikum seine - wie er es selbst nennt – bemerkenswerte
Aufführung von „Dornröschen“ zu zelebrieren. Dr. Joseph zelebrierte in
gewohnter und langjährig bekannter Weise virtuos hinter, vor und neben
seinem Theater und ja, das war tatsächlich bemerkenswert.
Das uns allen bekannte Märchen vollzog sich – beginnend mit einem
faustähnlichen „Prolog im Himmel“ zwischen guter und böser Fee - in und
mit selbstkolorierten Dekorationen und Figuren der englischen
Papiertheaterproduktion. Bevor sich der papierene Vorhang hob, wurde
das Publikum instruiert, alle Auftritte der guten Fee Gossamer mit
„Ooohs“ und ähnlichen Lauten der Begeisterung und Bewunderung zu
begleiten, wohingegen das Erscheinen der bösen Fee Ugliana heftige
„Buuhs“ auslösen sollte. Zusätzlich wurde für die Auftritte der bösen
Fee ein Zuschauer mit einer Geräusch-Erzeugungs-Maschine ausgerüstet,
welche bei korrekter Betätigung ein gar scheußliches Geheul von sich
geben konnte. Das Publikum, insbesondere der ausgewählte
Geräuschemacher, nahm die ihm gestellten Aufgaben sehr ernst und so
wurde diese Aufführung nicht nur auf Grund der bereits erwähnten
Virtuosität des Dr. Joseph Gladwin zu einer sehr lebhaften
Angelegenheit. Die Gefahr, dass das Publikum dabei in einen
hundertjährigen oder auch kürzeren Schlaf fallen könnte, war definitiv
nicht gegeben.
Jens Schröder
Egami, Compagnie Volpinex – Fred
Ladoué, Frankreich
In diesem Jahr präsentierte Fred Ladoué, diesmal als einziger Vertreter
der Compagnie Volpinex in Preetz, eine Hommage an die mutigen
Wüstenflieger über der Sahara. Mit dem Titel „Egami“, dem französischen
Wort „Image“ rückwärts gelesen, sollten wir auf eine poetische
Bilderreise eingestimmt werden.
Ohne Worte, aber mit vollem Körpereinsatz erzählt Fred Ladoué uns in
Bildern und Gesten die Geschichte eines Paketes, das seinen
Bestimmungsort jenseits der Wüste erreichen soll. Wie schon in den
vergangenen Jahren erinnert seine Bühne eher an eine Versuchsanordnung
als an ein Papiertheater. Auf einem Tisch befinden sich ein
Rollhorizont, eine weiße Leinwand, ein weißer Sockel, ein Stativ mit
winziger Kamera und eine grüne Wand, darauf der schwarze Schattenriss
eines Doppeldecker-Flugzeuges. Der Bühne vorgelagert steht ein Rahmen,
in dessen Mitte ein Projektor montiert ist.
Das Flugzeug startet. Mittels „Green-Screen“- Technik erhebt sich der
Doppeldecker in einen projizierten Himmel, während der vermeintliche
Sockel sein wahres Wesen offenbart: Ein Pop-Up-Buch, dessen Seiten, vor
die weiße Leinwand geklappt, die projizierten Bilder kulissenartig
strukturieren. Eine Landkarte mit eingezeichneter Flugroute macht klar:
Es wird eine lange Reise. Der Hintergrund verwandelt sich in
Steppenlandschaft. Flecken unterschiedlichsten Grüns, zusammengesetzt
aus Transparent- papierfetzen (Projektion), werden nun überflogen von
einer schwarzen Flugzeugsilhouette in Draufsicht (Reales Objekt) –
Monotonie wird spürbar. Und plötzlich: eine Gewitterfront! Kein
Ausweichen möglich! Es kommt zum Äußersten. Das Flugzeug stürzt, der
Pilot fällt heraus und fällt … und fällt, … fällt in sein Cockpit
zurück und kann notlanden. Wrack zwischen Dünen. Im Publikum raunt es:
„Saint-Exupéry!“ – „Wind, Sand und Sterne!“ Und das beschädigte
Flugzeug? Kein Problem! Wir sind ja im Werkraum. Fred findet Klebstoff
und schon kann es weitergehen. Das Flugzeug startet und erreicht
glücklich sein Ziel. Im Paket: Ein Ball, dann aufgeklappt, der
Schattenriss eines Mannes, der den Ball schleudert – in wunderbarster
Papp-Mechanik! – ein projizierter Hund rennt, um ihn zu fangen.
Und das soll Papiertheater sein? Überrascht stellt der Zuschauer
schnell fest, dass dieses scheinbar disparate Sammelsurium von
Gegenständen sich, wie schon bei „La belle au bois dormant“, nicht nur
zu einer Erzählung, sondern zu veritablem Papiertheater zusammenfügt.
Bis hin zu den ausgeschnittenen Charakteren ist alles da – bis auf den
Guckkasten. Papiertheater, defragmentiert; Papiertheater, das die
Grenzen auslotet, ohne sie zu sprengen.
Sabine Herder
In the Dust, Théàtre de Table – Eric
Poirier, Frankreich
Erste Assoziation: Ein Kind, das mit Figuren spielt, ganz vertieft, als
sei es selbst eine. Stimmen, Geräusche nur mit dem Mund, allein ein
bisschen Musik vom Tonträger und von der kleinen Gitarre. Die Figuren
nicht an Stangen oder Drähten sondern mit den Händen gesetzt wie
Schachfiguren. Könnte sein, dass das Kind einen Western gesehen hat und
nun den „Geheimnis- vollen Reiter“ nachspielt. „Bängbängbäng!“
Cowboys sausen über den Tisch und durch die Luft. Eric Poiriers
Figurinen haben nichts zu lachen, denn in Tombstone, unterm Sheriff
White Bird, ist der Teufel los. Am Rande wird eine imaginäre Fliege
erschlagen, die die Flugbahn einer Figurine gekreuzt hat. Oder war da
gar nichts? Westernstories greifen in- und durcheinander. Der Treck
nach Westen zieht über eine drehbare Platte. Mitten drin, wenn es
gerade idyllisch wird, eine Schießerei, oder umgekehrt. Aus einer
Pressmaschine faucht die Vorderfront einer Prärie-Lokomotive. Keine
Sekunde ist Ruhe, allenfalls Stille vor einer Explosion. Dann gibt es
dust, wir sind in der nordamerikanischen Wüste.
Eric ist nun eben kein Kind, aber ich denke beim Zuschauen, sein
Theater wäre vielleicht für meine Enkelinnen viel besser geeignet als
die Bühnen, die wir aus Umzugskartons gebastelt haben, mit all den
Schwierigkeiten wie Verhaken der Figuren, umkippende Kulissen,
klappernde Drähte. Eric ist zwar Schauspieler, aber das sind die
meisten Kinder auch, wenn man sie machen lässt.
Jede seiner Aufführungen ist anders, sagt er, richtet sich unter
anderem nach der Atmosphäre, die er blitzschnell beim Auftritt vom
Auditorium erfasst. Es gibt einen Text, aber nur für seinen Kopf,
daraus wird ein Rahmen, und in den stellt und führt er jedes Mal neu
seine Figuren. Eine faszinierende Art von Theater auf dem Tisch.
Uwe Warrach
Ich und Monika, Svalegangens
Dukketeater - Per Brink Abrahamsen, Sören Mortensen, Dänemark
Per Brink Abrahamsen, bekannt als Regisseur und Darsteller
literarischer, ernster und dialoglastiger Papiertheaterinszenierungen,
überraschte uns in diesem Jahr mit einer autobiographischen Reise
zwischen Theaterzauber und Realität: Monika, Hauptdarstellerin seines
ersten Stücks, beklagt sich. Alle Hauptrollen in künftigen Stücken habe
er ihr versprochen und sie dann vergessen. Eifersüchtig auf Erika,
Maria und all die anderen, die sie ersetzten, fordert sie nun ein Leben
von ihm. Vor allem die Liebe will sie kennen lernen – mit allen
Konsequenzen.
Bis hierhin spricht Per Brink vor geschlossener Bühne mit seiner
bezaubernden Puppenpartnerin, die mit ihren trockenen Kommentaren wie
eine lebendige Mitspielerin wirkt. Monika weckt sein Mitgefühl, und Per
beschließt, sie auf eine, dank der wunderbaren Begleitmusik von
Søren Mortensen, atmosphärisch sehr dichten Zeitreise durch seine
25jährige Papiertheaterlaufbahn mitzunehmen. Als sich der Vorhang hebt,
hat sich Per in eine zagende Papiertheaterfigur verwandelt, die Monika
vor allen Gefahren des realen Lebens bewahren möchte. Vor den Kulissen
von „Alladin“ bremst er ihre hochfliegenden Pläne und angesichts
der Piraten aus der “Schatzinsel“ ihre Abenteuerlust. Ihre Sehnsucht
nach Liebe, die sich brennend in der „Schneewittchen“-Szene äußert,
konterkariert er mit einem Ehestreit aus einem weiteren Stück. Auch
Per, der Spieler-Regisseur, der von den Figuren zur Schlichtung
aufgerufen wird, kann nicht vermitteln. Und dann ist Monika plötzlich
verschwunden. Per, die Papiertheaterfigur, findet sie in der Unterwelt,
in die sie mithilfe der Piraten geflüchtet ist. Dort, bei „Pluto“, kann
sie endlich das leichte, frivole Leben genießen. Er versteht: Monika,
das ist nicht sein Geschöpf, sein Geisteskind, sie ist seine
Inspiration, war immer bei ihm, war Erika, war Maria und all die
anderen. Er schließt sie in die Arme, trägt sie von der Bühne, und
dann, die Überraschung: Monika trägt ihn wieder hinein. Eine Piet� –
der Künstler, getragen von seiner Inspiration.
Mitreißend, poetisch und, wenn man Per Brink Abrahamsens Vortrag zur
Dramaturgie des Papiertheaters noch im Kopf hat, klug, philosophisch
und programmatisch. Ein beeindruckendes Exempel zum Fiktionsvertrag,
zum doppelten Spiel des Darstellers und der Figur mit der Rolle.
Chapeau! Spiel’s noch einmal, Per – gerne als Musical!
Sabine Herder
Alice im Wunderland, Amagerscenen –
Winnie und Eva Therese Ebert, Dänemark
Der Auftritt von Winnie Ebert mit Ihrer „Amagerscenen“ vor drei Jahren
beim 23. Preetzer Papiertheatertreffen ist mir noch heute in besonderer
Erinnerung. Nicht nur mich berührten damals die „Geschichten einer
Mutter“ nach Hans-Christian Andersen.
„Geschichten mit Mutter und Tochter“ könnte das diesjährige Motto des
Preetz-Auftrittes von „Amagerscenen“ aus Dänemark lauten, denn Winnie
Ebert hatte in diesem Jahr Ihre Tochter als Mitspielerin mitgebracht;
beide verzauberten ihr Publikum mit ihrer Version des
Kinderbuchklassikers „Alice im Wunderland“ , den Lewis Carrol erstmals
1865 veröffentlicht hat.
Sie erzählen uns die Geschichte des Mädchens Alice, das neugierig einem
Kaninchen mit Weste und Taschenuhr in seinen Bau folgt. So beginnt eine
Reise in eine phantastische Welt voller noch phantastischerer Gestalten
wie der Grinsekatze, dem Märzhasen, dem verrückten Hutmacher oder der
Herzkönigin.
Winnie und Eva Therese Ebert, die den deutschen Text sehr differenziert
live sprechen, gelingt es vorzüglich, diese phantastische Reise in
Papiertheaterbilder umzusetzen. Die Dekorationen der einzelnen
Wunderland-Reise- Stationen stammen allesamt aus der Jacobsen-
Produktion, die Figuren wurde teilweise selbst gestaltet (wo in den
historischen Bögen findet sich auch zum Beispiel ein
Schildkrötensupperich?) Besonders beeindruckt hat mich die Szene der
abschließenden Gerichtsverhandlung, bei der sich der Herzbube vor den
Schranken des Gerichtes der Herzkönigin verantworten muss. Als Alice
als Zeugin auftreten soll, ist sie so groß geworden, dass nur noch Ihre
Beine auf der Bühne sichtbar sind – wunderbar.
Schön zu erleben, wie der Klassenraum einer Schule für drei Tage zum
Wunderland wird.
Jens Schröder
Das Lächeln der Mona Lisa, Théàtre
Mont d’ Hiver – Birthe und Sascha Thiel, Saarbrücken
Modernes Papiertheater im Guckkastenrahmen boten uns auch Birthe und
Sascha Thiel. Ihre eher schlicht gehaltenen Dekorationen warteten mit
zauberhaften Überraschungen auf, die selbst erdachte Geschichte war mit
spritzigen Dialogen gewürzt und mit viel Charme und Esprit präsentiert.
[Die Vorgeschichte. Leonardo da Vinci und König Franz I. treffen ein
Abkommen, dass nach Ableben Leonardos das Porträt der Gioconda an die
königlichen Kunstsammlungen fallen solle. Jahrhunderte später: In
benachbarten Räumen des Louvres hängen die Porträts des Königs und der
von ihm begehrten jungen Dame. Es ist der Vorabend des Karnevals,
wieder einmal sind 100 Jahre vergangen und es ist endlich soweit: Für
eine Nacht dürfen beide ihren Rahmen verlassen und unter den Lebenden
wandeln. Wird König Franz diesmal seine Chance bekommen? In der Nacht:
Auf einem Maskenball sucht König Franz seine Auserwählte, lässt sich
aber von einer junge Frau ablenken, die am Nachmittag das Museum
besucht und dort sein Porträt bewundert hatte. Auch Mona Lisa bleibt
nicht allein. Sie begegnet jenem jungen Mann wieder, der am Nachmittag
eine flirtende Zwiesprache mit ihr gehalten hatte. Beide Paare
verlassen den Ball, nur um kurz vor Morgengrauen festzustellen, dass
ihnen ihre eigentlichen Lieben wert und teuer sind. König Franz eilt in
den Louvre, doch, wo ist Mona Lisa? Erst mit dem Öffnungsklingeln
stürzt sie in ihren Rahmen zurück. König Franz kann gerade noch
beklagen, dass auch diese Chance vertan ist, da lehnt sie sich zurück,
lächelt – und zwinkert uns zu.]
Die Erwartungen an Birthe und Sascha Thiel waren sicher ebenso groß wie
die Fußstapfen, in die sie mit dieser Vorstellung traten. Das erste
gemeinsame Stück von Dirk und Barbara Reimers’ Tochter und ihrem
Ehemann konnte nicht nur bestehen, sondern wurde von der
Flüsterpropaganda zum heimlichen Favoriten des Festivals gekürt. Die
wunderbare Musikauswahl stimmte sehnsuchtsvoll melancholisch, die
Geschichte rührte zu Tränen und die wunderbaren Bildfindungen
überraschten. Ihren wahren Witz enthüllten sie der in der letzten Reihe
sitzenden Autorin allerdings erst im Nachhinein. Der Museumsführer
entpuppte sich als Dirk, eine Besucherin als Barbara Reimers, die
Besuchergruppe wurde aus der Preetzer „Papiertheaterfamilie“
rekrutiert. Langer Applaus und feuchte Augen allenthalben.
Sabine Herder
Martha oder der Markt zu Richmond,
Papiertheater am Ring – Sabine, Arnim, Florentine und Ferdinand Ruf,
Wilhermsdorf
Wir hatten das Vergnügen, die Premiere des ersten Preetz-Auftrittes der
Familie Ruf mit ihrem THEATER AM RING mitzuerleben.
Perfekt eingesetzte Pollock-Kulissen, die ebenso wie die Figuren, durch
eigene Handkolorierung von den z. T. verwirrenden Farben der engl.
Originale wohltuend befreit wurden, machten den Zuschauern die
Umsetzung von Flotows Oper Martha zum Genuss.
Die triviale, ins 18. Jahrhundert der englischen Königin Anna gelegte
Handlung, basiert auf den sozialen Unterschieden der agierenden
Personen. Die daraus entstehenden Verwicklungen führen Lady Harriet
(Martha) nicht nur aus der geplagten Langeweile, sondern letztlich auch
in den Hafen der Ehe.
Der gut verständliche Text wurde von Sabine, Armin, Florentine (13) und
Ferdinand (17) mit variantenreichen Stimmen live
gesprochen.
Durch die Arien (Letzte Rose; Ach so fromm, ach so traut; Martha,
Martha du entschwandest) wurde der Klassenraum zum Opernhaus.
Bühnenbildwechsel bei offener Bühne unterstützten den flüssigen
Erzählstil, der allerdings durch einige längere Umbauten, sicherlich
dem fröhlichen Markttreiben mit Buden und Karussell geschuldet, etwas
gehemmt wurde.
Loriots Inszenierungen in Stuttgart und Meiningen dieser im 19.
Jahrhundert meistgespielten Oper, führten in unserer Zeit zu einem
Aufflackern dieses Werkes, das nun auf der Papiertheaterbühne durch
Rufs ein gelungenes Comeback feiert. BRAVO!
Brigitte und Lothar Rohde
Banditenoperette
oder Klauen aus Leidenschaft, Papieroper am Sachsenwald – Uwe Warrach,
Reinbek
Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?
Der Skandal um den französischen Bankier Jules Mirès, galt für
Jacques
Offenbach als ein Beispiel für die niedergehende Moral im Reich
Napoleons des III. Für seine Opéra-bouffe verlegte er die Handlung in
das Herzogtum Mantua, wo eine nicht gerade vom Erfolg verwöhnte
Räuberbande die vermeintlich Reichen um ihren Zaster zu bringen
suchte.
Schon die Umbenennung des Räuberhauptmann Falsacappa in „falscher
Pappa“ ist eine der sprachlichen Feinheiten der Preetzer
Neuinterpretation durch die PAPIEROPER AM SACHSENWALD. Diese
Namensgebung weist auf seine Tarnung in Mönchskutte
hin.
Das Stück wurde von Hans-Jürgen Gesche und Uwe Warrach, weitgehend in
Reimen, neu getextet. Dabei lag der inhaltliche Schwerpunkt der
humorvoll-satirischen Interpretation auf den Verwerfungen, die die
europäische Banken- und Wirtschaftswelt, sowie die Politik, den
Bürgern in der letzten Zeit zugemutet hat.
In der Geschichte der zyklisch wiederkehrenden Ereignisse ließ
Offenbach zwei insolvente Fürstentümer sich gegenseitig in die leeren
Taschen greifen.
Das
geschah in Warrachs Inszenierung durch ausdrucksstarke
Figuren,
die auch in der Tiefenwirkung das Bild bereicherten. Um den
Operncharakter zu erhalten und die hörenswerten Texte trotzdem
akkustisch verständlich zu machen, legte Uwe Warrach über die
französisch gesungenen Lieder seine im Rhythmus der Musik gesprochenen
Texte. Eine Bravourleistung, die an die Grenzen des Möglichen
ging.
Die „Pubertäterin“ Fiorella (Tochter des Räuberhauptmanns) hat sich in
den „saumäßig anständigen“ Herrn Hoffmann (nicht zu verwechseln mit dem
gleichnamigen Schriftsteller der Erzählung der diesjährigen Aufführung
von RÖMERS PRIVATHEATER) verliebt. Da dieser aufgrund seines bisher
tadellosen Lebenswandels den niedrigen Ansprüchen der Räuber
nicht
entsprechen kann, muss er erst einen Beweis seiner Unredlichkeit
liefern, um in den Kreis der Mikroberlusconis aufgenommen zu
werden.
Den sich daraus entwickelnden Ereignissen und ihrem geistigen
Neuschöpfer applaudierten die Zuschauer anhaltend.
Brigitte und Lothar Rohde
Jacques Offenbach hat sein Schauspiel �Les Brigands� - zu Deutsch „Die
Räuber“ – bereits als komische Oper geschrieben.
Uwe Warrach mit seiner PAPIEROPER AM SACHSENWALD reicht diese Komik
aber lange noch nicht.
Eigentlich dreht sich die Geschichte um einen Räuberhauptmann im
Herzogtum Mantua, der mit seiner Bande zum Ausrauben immer wieder an
arme Schlucker gerät.
Zu allem Überfluss verliebt sich seine Tochter auch noch in eines
dieser Opfer. Der hält um ihre Hand an und muss beweisen, dass er zum
Banditen taugt.
Tatsächlich gelingt ihm die Gefangennahme eines Kabinettkuriers und das
Abfangen eines Briefes, in dem die bevorstehenden Hochzeit des Herzogs
von Mantua mit der Tochter des Fürsten von Granada von der Zahlung von
3 Mio Franc an den Brautvater abhängig gemacht wird.
Die Banditen überfallen die spanische Abordnung, übernehmen deren
Kleider und wollen sich am Hof von Mantua das Geld auszahlen lassen.
Allerdings ist die Staatskasse leer, da der Schatzmeister zur
Finanzierung seines aufwändigen Lebensstils selbige geplündert
hat. Er versucht seinen „spanischen“ Amtskollegen mit sofortigem Erfolg
zu bestechen. Trotzdem werden die als Spanier verkleideten Banditen der
Situation gewahr und verlangen dessen Bestrafung als in dem Augenblick
die echten Spanier erscheinen.
Jetzt sollen die verkleideten Banditen das Zeitliche segnen, aber die
Herzogstochter verwendet sich für sie und dem allgemeinen Happyend
steht nichts mehr im Wege.
Soweit die Handlung.
Komisch und kompliziert genug, hat Uwe Warrach sie mit seinem Wortwitz
überarbeitet und sorgt dafür, dass man ihr in der eingekürzten
Papiertheaterform leicht folgen kann.
Die teilweise gereimten Dialoge würzt er mit norddeutschem Slang und
plattdeutschen Einsprengseln und spielt nicht nur mit seinen Figuren,
sondern vor allem auch mit Worten.
Finanzkrise, Bankenpleiten, Korruption und Euro-Rettungsschirm – nichts
wird da ausgelassen und die Seitenhiebe und Anzüglichkeiten in den
Dialogen zeigen, dass der Wesenskern der Operette keinesfalls
antiquiert ist.
Wenn seine auf Basis klassischer Vorlagen selbstgestalteten Figuren
sich durch die ebenfalls selbst erstellten Kulissen bewegen, bekommt
der Zuschauer nicht nur etwas fürs Auge, sondern auch fürs Hirn.
Gelungene Einbauten im Tonträger wie der Schelllack-Schlager „Lass Dir
nichts von Hoffman erzählen“ oder pointiert eingesetzte „Special
Effects“ wie das Netz bei der Gefangennahme der Spanier runden den
Papiertheatergenuss ab, der in den – gerade heute immer noch passenden
– Worten gipfelt:
„Man sollte entsprechend seiner gesellschaftlichen Stellung stehlen.“
Olaf Christensen
Das Magische Theater, Römers
Privattheater – Motoko und Horst Römer, Wildeshausen
„Ins Kristall bald dein Fall“. Diese Verheißung der Hexe wurde
im „goldenen Topf“ von E.T.A. Hoffmann für den
Studenten Anselmus unwirkliche Wirklichkeit. Er wurde durch den
Zauberspruch in einer Kristallflasche gefangen, was als Hinweis
auf die in der Romantik gängige Entfremdung von der Realität zu
verstehen ist.
RÖMERS PRIVATTHEATER hat, die scheinbar naheliegende Idee,
durch die Neuformulierung des Hexenspruchs „ins
Papier mit dir“, Anselmus das gleiche Schicksal ereilen zu
lassen, das uns Zuschauer auch in dieser Inszenierung verzaubert hat.
Für ihn wird das Papiertheater zur sagenhaften Welt
Atlantis. Im Papierbogen gefangen, kann er nur durch die
Tochter des verhexten Archivarius Lindhorst aus diesem befreit
werden. Anselmus bleibt aber unserem Metier treu und darf mit
seiner geliebten Retterin im Reich der Poesie bleiben. Zum Glück ist
das Papiertheater nicht wie Atlantis untergegangen, sondern konnte auch
durch „Preetz“ gerettet werden.
Diese Erzählung auf das Papiertheater zu übertragen,
erscheint aufgrund ihrer Dialektik zunächst nicht einfach.
Römers ist es erfreulich gut gelungen, den Inhalt so zu
bearbeiten, dass der Text, einfallsreich umgestaltet, im
Sprachstil Hoffmanns bleibt und für die Hörer verständlich ist.
Zuhörern, denen die Ideenwelt Hoffmanns unbekannt ist, erschloss sich
die Handlung nicht gänzlich.
Bärbel Römers Figurenentwürfe sind märchenhaft und kunstvoll gestaltet.
Die Sprecherstimmen waren den handelnden Personen gut
zuzuordnen und verstärkten den Reiz der agierenden Figuren. Die
Bilderwelt Römers hat wieder einmal unsere Phantasie nachhaltig
beflügelt.
Brigitte und Lothar Rohde
Sagten Sie „Ägypten“? , Haases
Papiertheater - Sieglinde und Martin Haase, Remscheid
Auch Martin und Sieglinde Haase setzten nach wie vor auf den guten
alten Guckkasten, in diesem Fall einen 60er Jahre Fernseher, mit
Zimmerantenne! Von gestern ist ihr Theater dennoch nicht.
Die wunderbare Parodie auf die Miss-Marple- Filme der
Schwarzweiß-Fernsehära lebt von unerwarteten Volten, witzigen Dialogen
und großartigen Bildideen. Die Protagonisten, aus rechtlichen Gründen
umgetauft in Miss Marvel und Mr. Swinger, leben ein beschauliches Leben
in London, als ein Zahlendreher in der Anschrift Miss Marvel ein
altägyptisches Artefakt in die Hände spielt. Vom Pensionärsleben
gelangweilt, beschließt die rüstige Dame, in Begleitung ihres Butlers
und Freundes, auf eigene Faust die Herkunft des goldenen Skarabäus zu
ermitteln. Die Reise führt an den Nil, wo sie Grabräubern begegnen,
sich, auf eigene Faust im Auto in der Wüste verirren – eine großartiger
Frontal- „Aufnahme“ durch die Windschutzscheibe – und schließlich im
Fesselballon an den Ursprungsort der Reise zurückkehren. Dass die
letzte Szene wohl eher auf dem Rollfeld eines marokkanischen als eines
ägyptischen Flughafens spielt, ist Martin Haases augenzwinkernden Spiel
mit der kollektiven Erinnerung geschuldet. Die dort wartende
Junkers-Maschine (mit sich drehendem Propeller!) zitiert die
Schlusseinstellung von „Casablanca“, einem Film, den auch wir zahllose
Male auf dem alten Schwarzweißfernseher gesehen haben.
Wunderbar, ein Rentnerpaar in verschiedenen Posen für die Figuren
Modell sitzen zu lassen und einfach großartig, die verblüffenden
mechanischen Tricks, die von Haases eingesetzt werden. Die drehbare
Trommel, die die am Zug vorbeiziehende Landschaft darstellt, die Welle,
die das Ruckeln des Zuges simuliert, die Figur, die nicht nur die
Treppe heruntergeht, sondern im Flachen weiterlaufen kann und vieles,
vieles mehr, machen Haases Papiertheater zur sehenswertesten Bühne des
Festivals.
Sabine Herder
„Sagten Sie Ägypten?“
sollte von Haases Papiertheater angelegt sein als Parodie auf die
Miss-Marple-Filme vom Anfang der 60er Jahre.
Herausgekommen ist allerdings ein Stück, das nicht einfach nur
parodiert, sondern sich in jeder Weise mit dem Original messen kann.
Schon das Proszenium in Form eines alten Röhrenfernsehers stimmt auf
das Kommende ein, zu dem auch der Rollentext in Schwarzweiß gehört.
In den selbstgestalteten Kulissen, die mit allerlei Tricks ausgestattet
sind wie einer begehbaren Treppe, einer räumlichen Wüstenlandschaft mit
Heißluftballon oder einer Autofahrt durch die Wüste, wird der Zuschauer
durch die Figuren mit in ein Abenteuer genommen, das sich um
Antiquitäten und Grabräuber in Ägypten dreht.
Eine Fehllieferung eines ägyptischen Artefakts sorgt für Miss Marvels
Interesse, die aus Urheberrechtsgründen ihren Namen genauso verändert
hat wie ihr Freund Mr. Swinger.
Auch das Aussehen ist ein wenig anders, was daran liegt, dass zwei
Bekannte der Haases die Hauptrollen in Form von Fotofiguren spielen.
Kurz entschlossen, die Herkunft der Antiquität zu eruieren, reisen die
beiden Helden nach Ägypten.
Mit dem durchaus deutlichen Miss-Marvel- Charme, Wortwitz und dem stets
leichte Bedenken tragenden Mr. Swinger gelingt es dann auch, eine Bande
von Grabräubern und Hehlern dingfest zu machen.
Das Stück endet mit einer hervorragenden gestalteten Abschlussszene auf
einem Flugplatz, die nicht nur direkt aus dem Film „Casablanca“
entlehnt zu sein scheint, sondern z. B. mit einem abfliegenden Flugzeug
auch noch mal ein technisches Highlight setzt.
Was Haase’s Papiertheater hier an Räumlichkeit und Tiefe zeigt – ob nun
heimische Diele, Wüste, Grabkammer oder Flugplatz - ist im wahrsten
Sinne des Wortes Großes Kino.
Hinzu kommen zahlreiche Spezialeffekte wie z. B. eine Diashow bei einem
ägyptischen Hehler, die geschickt und sehr effektvoll Elemente des
Schattentheaters nutzt.
Ein stimmungsvolles Theaterstück, das in jeder Beziehung von der Idee
des Stücks über die Dialoge bis hin zur figürlichen Umsetzung perfekt
ist. Dazu gehören selbstverständlich auch die Geräuschkulissen, die zur
Lebendigkeit jeder Szene ihren Beitrag leisten.
Bei so viel gelungener Bühnentechnik stellt sich natürlich des Öfteren
die Frage „Wie haben die das bloß gemacht?“.
Fragen wie diese werden geduldig beantwortet und ein Blick hinter die
Kulissen ist bei Haases Papiertheater mindestens genauso spannend wie
das eben erlebte Stück.
Olaf Christensen
Waren Sieglinde und Martin Haase beim letztjährigen
Papiertheatertreffen ausschließlich reisenderweise auf dem Wasser (des
Rheins) unterwegs, so versprach die Ankündigung in diesem Jahr
Abenteuer zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Diese Ankündigung in
Verbindung mit dem Wissen um die Qualität der Aufführungen auf der
Haaseschen Papiertheaterbühne löste – ich denke nicht nur bei mir -eine
besondere Vorfreude aus. Um das Ende vorweg zu nehmen: meine
Erwartungen wurden mehr als übertroffen.
Haases hatten das Proszenium ihres Theaters als Fernsehgerät - Baujahr
ca. 1960 – gestaltet. Auf dem Programm stand eine Parodie auf die
Miss-Marpel-Filme, deren Entstehungszeit ungefähr mit dem Baujahr des
Proszeniums-Fernsehgerätes übereinstimmen dürfte. Das Fernsehgerät
machte seinem Namen alle Ehre; man konnte durch dieses Gerät
tatsächlich in ferne Länder – in diesem Fall Ägypten - sehen. In
Ägypten sahen wir Miss Marvel und Ihren treuen Begleiter Mr. Swinger;
ein fälschlicherweise bei Ihnen gelandetes Paket mit einem goldenen
ägyptischen Skarabäus war der Auslöser für diesen Abenteuerurlaub der
beiden Hobby-Kriminalisten.
Die einzelnen Stationen der Reise auf den Spuren skrupelloser
Grabräuber wurden grandios in Szene gesetzt: Ob der Dialog im Zugabteil
vor einem Wandelpanorama, das aus dem Pegasus-Repertoire entnommene
Schiffsdeck bei der Überfahrt nach Ägypten, der eindrucksvolle Diaabend
in einem ägyptischen Hotelsalon, die Autofahrt nach Kairo, die Szene in
der Grabkammer, der Show-down vor dem Tempel oder die
Casablanca-würdige Schlußszene auf dem Rollfeld eines Flughafens – jede
einzelne Szene hätte man gerne noch länger betrachtet und genossen.
Mein absoluter Favorit war der Flug im Heißluftballon über die Wüste.
Der Effekt, den Martin Haase hier durch einen im 45�-Winkel
angeordneten Wüstenprospekt in Verbindung mit der richtigen Beleuchtung
erzielt hat, war faszinierend.
Die notwendigen Umbaupausen wurden durch verbindende und die Handlung
weiter vorantreibende Zwischentexte und durch „Einblendungen“ von
verschiedenen und zu den Texten passenden schwarz-weiß-Standbildern auf
der Haaseschen Mattscheibe überbrückt. Im „echten“ Fernsehen wären
diese Unterbrechungen sicher verbunden mit den Hinweis: „Bleiben Sie
dran!“ Dieser Hinweis war bei dieser Aufführung mehr als überflüssig –
wer hier „gezappt“ hätte, hätte wirklich was verpasst!
Jens Schröder
Das Elend – ein Märchen, Hellriegels
Junior – Gerlinde Holland und Willem Klemmer, Kiel
Klein, aber fein, was Gerlinde Holland und Willem Klemmer uns auch in
diesem Jahr wieder boten.
Eine Geschichte, die den Sieg von Liebe, Fleiß und Gutartigkeit über
die Gier feiert. Das Elend, von zu Unrecht armen Menschen in eine Falle
gelockt, wird vom Reichen, der nicht genug bekommen kann, wieder
freigesetzt. Kurz und bündig, eine klare Botschaft, unterhaltsam,
liebenswert. So kann, so sollte Papiertheater sein! Noch purer geht
kaum: in zartem Buntstiftkolorit auf Wellpappe (!) gezeichnet, vermag
uns diese Inszenierung dennoch für kurze 15 Minuten in eine andere Welt
zu entführen. Bravo!
Sabine Herder
Was nach den Schafen kam..., Muthesius
Kunsthochschule – Prof. Dr. Ludwig Fromm mit Student/innen und Martin
Witzel, Kieler Oper, Kiel
Zum wiederholten Male haben Studierende der Muthesius Kunsthochschule
Kiel unter Leitung von Prof. Dr. Ludwig Fromm ein Papiertheaterstück
entwickelt und dem Preetzer Publikum präsentiert.
Wie hängt der Titel des Stückes mit den von den Studentinnen und
Studenten entwickelten Bildern zusammen, wie lässt sich der Inhalt des
Stückes beschreiben? Ich habe das so verstanden: Nach den Schafen, die
als Einschlafhilfe gezählt werden, kommt der Schlaf und im Schlaf kommt
dann der Traum – traumhaft schöne Bilder wurden auf die für die
Preetz-beanspruchten Augen angenehm große Papiertheaterbühne gebracht.
Räume, die auf dem Kopf stehen, Vergrößerungsgläser, die durch die
Szene wandern und einzelne Details hervorheben, rotierende Strudel mit
überzeugender Sogwirkung…Bilder, die zum Mitträumen anregen.
Als besonderes Stilmittel der Muthesius-Projekte habe ich immer die
Einbeziehung des Proszeniums in die Inszenierung wahrgenommen, zum
Beispiel als Projektionsfläche für bewegte Bilder aus dem Beamer.
Besonders beeindruckt hat mich in diesem Jahr eine Szene, bei der die
Bühnenöffnung durch Entfernen von schwarzen Abdeckungen blitzschnell
und völlig überraschend zum Schlund eines gigantischen Ungeheuers
wurde, dessen Rachen sich in die Tiefe der Bühne fortsetzte.
Gespannt freuen wir uns auf die zukünftigen Projekte, die hoffentlich
in den nächsten Jahren folgen.
Jens Schröder
Genovefa, Schmerzenreich und die weiße
Hirschkuh, Papiertheater Pollidor – Barbara und Dirk Reimers, Preetz
Diese Frau ist fast zu gut für diese Welt und dieser Mann hat einen
wirklich fiesen Charakter…
Die Rede ist aber nicht etwa vom Ehepaar Reimers, sondern von der
Heiligen Genofeva und dem Antagonisten der Moritat namens Golo.
Die Geschichte, an der sich neben Friedrich Hebbel, Robert Schumann und
Jacques Offenbach nun auch das Papiertheater Pollidor versucht hat, ist
schnell skizziert:
Graf Siegfried zieht als treuer Gefolgsmann des Königs in den Krieg und
überträgt seinem Statthalter Golo neben den Regierungsgeschäften auch
den Schutz seiner schwangeren Frau Genovefa – nicht ahnend, dass er
damit den Bock zum Gärtner gemacht hat.
Golo - verschlagen und gierig - begehrt die treue Genovefa, die sein
Werben verschmäht und ihn brüsk zurecht- und zurückweist.
Der so Verschmähte sinnt auf Rache, beschuldigt Genovefa fälschlich des
Ehebruchs mit einem Koch und verurteilt sie zum Tode.
Die Exekution im Wald findet aus Mitleidsgründen nicht statt und fortan
lebt die nun frisch gewordene Mutter mit ihrem Sohn, den sie
sinnigerweise „Schmerzenreich“ nennt, sechs Jahre lang in einer Höhle.
Versorgt werden Mutter und Sohn vom himmlischen Lieferservice mittels
weißer Hirschkuh.
Das Ende ist absehbar, aber dann doch nicht ganz happy:
Ehemann Siegfried findet erst seine totgeglaubte Frau im Wald und dann
die Wahrheit heraus, was im Anschluss zum schnellen Ende Golos führt.
Allerdings kommt es nicht zum üblichen „Und sie lebten glücklich…“,
denn auch Geonvefa stirbt.
Der nun alleinerziehende Vater trauert mit seinem Sohnemann um die
Verblichene, was Dirk Reimers entsprechend mit einem der wenigen, dafür
aber pointierten Spezialeffekte begleitet, indem nicht nur Genovefa
sondern optisch wahrnehmbar auch die Hirschkuh das Zeitliche segnet.
An dem Reimers’schen Stück ist nicht nur die Schreibweise Genovefas
ungewöhnlich.
Es gelingt dem live sprechenden Paar hinter der Bühne auch, die von
Barbara Reimers liebevoll mit der Hand gezeichneten Figuren zum Leben
zu erwecken und den Zuschauer in der Handlung mitzunehmen.
Bis zur Emigration Genovefas in den Forst bleibt unklar, ob die
vorgetragene Theatralik ernst gemeint oder bereits augenzwinkernd
überhöht ist.
Erst als Genovefa dann erklärt, sie sei nun Veganerin, bricht sich der
Reimers’sche Witz auch in diesem Stück Bahn.
Am Ende des Stücks ist der Zuschauer um eine Erfahrung klassischen
Papiertheaters reicher:
Geräusche und Stimmen kommen live aus dem Dunkel der Bühne, während
sich das Drama mit den gelungenen Figuren (z. B. die Mehrseitenansicht
der schwangeren Genovefa) vor klassischen Kulissen abspielt.
Olaf Christensen
Das Wichtigste gleich vorweg: Schmerzenreich war es mit Sicherheit
nicht, dieser Aufführung beiwohnen zu dürfen. Barbara und Dirk Reimers
brachten die gar schauerlichen Geschehnisse um die heiligen Genovefa
von Brabant auf ihre Bühne.
Da Pfalzgraf Siegfried auf Grund auswärtiger kriegerischer Aufgaben die
heimische Burg verlassen muss, vertraut er seinem Mitarbeiter Golo
Haus, Hof und Weib an – ein fataler Fehler, wie uns Barbara und Dirk
Reimers in gewohnter Qualität mit variantenreicher Differenzierung der
einzelnen live gesprochenen Personen dieses Ritterdramas vor Augen
führten. Die zwischenzeitlich Mutter gewordene Genovefa, die Ihren Sohn
auf Grund ihrer derzeitigen Verfassung Schmerzenreich genannt hat,
weist Golo ab, wandert dafür in den Kerker und wird, nachdem Golo
Siegfried davon überzeugt hat, dass das Kind die Folge eines Ehebruchs
sei, von Siegfried höchstselbst zum Tode verurteilt. Nur die
plötzlich – ähnlich wie schon bei Schneewittchen – einsetzende
Güte der mit dem Vollzug des Todesurteils Beauftragten und eben die
weiße und wohl auch weise Hirschkuh sichern das Überleben von Mutter
und Kind im tiefen Wald. Glücklicherweise konnte Genovefa die Intrige
Golos noch schriftlich niederlegen und das Dokument in einer Mauerritze
des Kerkers verstecken, wo es von Siegfried nach dessen Rückkehr auch
gefunden wird. Er findet Frau und Kind im Wald, bringt Sie nach Haus
und entfernt den bösen Golo aus dem Kreise seiner Mitarbeiter. Leider
währt das Happy-End nicht lange, da Genovefa der entbehrungsreiche
Aufenthalt im Wald nicht gut bekommen ist und sie Ihren Leiden erliegt.
Dieser Stoff bietet allerbeste Voraussetzungen für ein wunderbares
Papiertheatererlebnis –Barbara und Dirk Reimers haben uns dies in aus
traditionellen Dekorationen gestalteten Bühnenbildern und mit von
Babara Reimers selbst gestalteten Papier-Darstellern wieder einmal
beschert.
Jens Schröder
Außerhalb des Programms:
Eine verrückte Teegesellschaft –
Claudia Grasse
Szenotest – Dr. Celine Kaiser
Nach einem Workshop im September 2012 mit Robert Poulter im Altonaer
Museum, Hamburg, das dem Papiertheater zugetan ist, sind zwei
unterschiedliche Stücke erarbeitet worden.
Vertraut ist Poulter-Zuschauer/innen die schlichte schwarze, kleine
Pappbühne.
Claudia Grasse (Grafikerin und Kunsterzieherin) zeigt eigene, in
Poulter’scher Manier vorbei ziehende Bilder von „verrückten“
Teetrinkern. Eine Teekanne spielt die Hauptrolle. Für die verschiedenen
Geschmacksrichtungen des Tees wurden 3 Figuren entwickelt: Herr Cha Do,
Frau Oolong, Frau Lapsang Souchong, die den Masken im Bild entlehnt
sind und die sich über Teesorten auslassen und dabei den Eindruck
erwecken, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Daneben tauchen
Wesen aus anderen Welten auf: die Molluske, Teegeister, die für
Unordnung sorgen und magische Verwandlung bewirken, z.B. Blumen als
Pflanzentänzerinnen. Die Show wird begleitet von witzigen Kommentaren.
Sehr ernst dagegen Celine Kaisers (Theaterpädagogin) Spiel. Ein als
Psychopath definierter Mensch gerät in die Therapie-Mühlen der
Psychiatrie, die ihm in einem ausgeklügelten Verfahren sein Ich und
damit seine Würde nimmt und ihn passend für die Normen der politisch
korrekten Gesellschaft gemacht wird. Das geschieht mit Schattenspiel
und Musikbegleitung.
Das Stück beruht auf einer Abhandlung des Arztes und Direktors des
Klinikums Halle, Johann Christian Reil. 1803 schrieb er sein Werk
„Rhapsodien über die Anwendung der psychischen Curmethoden auf
Geisteszerrüttungen“. In Reils theoretischen und spekulativem Konzept
sollen in der psychiatrischer Anstalt der Zukunft szenische Mittel als
Behandlungsmaßnahme eingesetzt werden. Um ihn aus seinen Wahnwelten zu
reißen, muss der Patient im Laufe seiner Behandlung immer neuen
überraschenden Situationen ausgesetzt werden, wobei er erst
Ausgeliefertsein und Ohnmacht erfährt, im zweiten Schritt als passiver
Zuschauer in die Szenische Handlung verstrickt wird, um dann im dritten
und heilenden Schritt zum aktiven handelnden Objekt zu werden.
Uwe Warrach